Bauwelt

Ideas of Ambiente

History and Bourgeois Ethics in the Construction of Modern Milan 1881-1969

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Ideas of Ambiente

History and Bourgeois Ethics in the Construction of Modern Milan 1881-1969

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Hierzulande gilt die Architektur der Moderne nicht nur unter Architekten vielfach als unfähig, historischen Kontext zu respektieren oder gar weiterzuentwickeln; als Produktionsmethode baulicher Einzelerscheinungen, die, mögen sie für sich selbst auch bildgewaltig sein, doch nicht vermögen, Straßen, Plätze, mithin: Stadt zu produzieren. In Italien lässt sich diese Sichtweise auf die Architektur des 20. Jahrhunderts in ihrer Verallgemeinerung nicht nachvollziehen, haben hier doch bis in die 60er Jahre Architekten ganz selbstverständlich weitergebaut an dem großen Erlebnis des Urbanen – und dies mit Mitteln, die in ihrer jeweiligen Zeit sehr wohl als modern wahrgenommen wurden. Im deutschsprachigen Raum, vor allem in der Schweiz, ist das Interesse daran in den letzten Jahren auch anhand von neuen Büchern deutlich geworden. So warf im letzten Jahr etwa der bei Park Books erschienene Titel „Napoli Super Modern“ einen Blick auf urbane Architekturen der Jahrhundertmitte in der Stadt am Vesuv (Bauwelt 25.2020), und im selben Haus sind auch mehrere Auseinandersetzungen mit den Bauten der Mailänder Architekten Asnago & Vender erschienen, die am Lehrstuhl von Adam Caruso an der Zürcher ETH betrieben wurden (Bauwelt 10.2018).
Aus diesem Kontext (und wiederum bei Park Books verlegt) kommt auch das Buch „Ideas of Ambiente. History and Bourgeois Ethics in the Construction of Modern Milan 1881–1969“ von Angelo Lunati. Der Autor ist Architekt in Mailand und betreibt daselbst das Büro Onsitestudio mit seinem Partner Giancarlo Floridi; ihr Trainingszentrum für den USSassuolo wird in dieser Ausgabe vorgestellt (Seite 42). Lunati untersucht in seiner lesenswerten, angenehm unverquasten Schrift jenen Ansatz, der die spezifische Qualität und Aktualität der Mailänder Großstadtarchitektur über Jahrzehnte ausgemacht hat: das „Ambiente“ der Stadt zu respektieren und mit architektonischen Eingriffen fortzuschreiben – und zwar auch mit den avanciertesten Mitteln.
Der italienische Begriff „Ambiente“ ist vieldeutig und meint in diesem Zusammenhang mehr als nur „Umgebung“ oder „Umwelt“, er enthält im Grunde alles, was eine spezifische Situation und ihre Stimmung ausmacht: bis hin zum Material des Stadtraums und wie es das Licht spiegelt. Lunati zeichnet die Entwicklung nach, wie die Mailänder Architekten über einen Zeitraum von rund 90 Jahren diesen Ansatz entwickelten. Nahm er Ende des 19. Jahrhunderts seinen Eingang in die Diskussion um die Erneuerung historischer Monumente der Stadt, die eben nicht als isoliert von ihrem urbanen Rahmen betrachtet, ihres baulichen (und sozialen) Hintergrunds beraubt werden sollten in der von der Industrialisierung ausgelösten Modernisierung, ging es Architekten wie Giovanni Muzio und Piero Portaluppi in der Zwischenkriegszeit bereits darum, neue, mitunter durchaus großmaßstäbliche Eingriffe ins Stadtbild, wie sie von neuen Funktionen und den Anforderungen des wachsenden Verkehrs ausgelöst wurden, mit der kontinuierlichen Wahrnehmung des urbanen Raums zu verbinden: ein Ansatz, der nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs noch einmal in ganz neuer Dimension fruchtbar werden sollte, etwa in der Arbeit der bereits erwähnten Mario Asnago und Claudio Vender oder Ernesto Rogers und seinem Büro BBPR.
Was Lunatis Untersuchung auszeichnet, ist die ebenso anschauliche wie nachvollziehbare Entwicklung seiner Analyse anhand konkreter Gebäude und städtischer Situationen: etwa dem Gebiet um die Piazza Missori südlich des Doms oder rings um die Kirche Sant‘ Ambrogio. Lagepläne, Grundrisse, historische und aktuelle Fotos ermöglichen auch einem nicht hundertprozentig ortsfesten Leser das Verständnis. Lunati bleibt aber nicht bei der architektonischen Betrachtung, sondern koppelt diese an eine Beschreibung der treibenden Kräfte hinter den Mailänder Modernisierungs- und Wiederaufbauprojekten, die sich von der Situation in anderen italienischen Großstädten, etwa in Rom oder Turin, deutlich unterscheiden. Und er endet mit dem Bogenschlag in die Gegenwart, in der die „Ideen des Ambiente“ gänzlich verloren scheinen, nicht nur in Mailand: mit einem hoffnungsvollen Ausblick. Eine Lektüre- und Reise-Empfehlung gleichermaßen.
Fakten
Autor / Herausgeber Von Angelo Lunati
Verlag Park Books, Zürich 2020
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aus Bauwelt 14.2021
Artikel als pdf

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