Schwule Architekten
Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert
Text: Meyer, Ulf, Berlin
Schwule Architekten
Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert
Text: Meyer, Ulf, Berlin
„Vielfalt ist Wirklichkeit geworden. Aber in der Architekturgeschichte ist die Ent-Diskriminierung noch nicht angekommen“ – mit diesen Worten leitet Wolfgang Voigt, einst stellvertreten-der Direktor des DAM in Frankfurt, sein zusammen mit Uwe Bresan verfasstes Buch über schwule Architekten ein. Bresan arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Architekturmuseum. Seit 2008 ist er Redakteur, seit 2017 stellvertretender Chefredakteur der AIT. Den Beginn der Liberalisierung der US-Gesellschaft im Umgang mit Homosexuellen verorten die Autoren im Jahr 1969. „In Deutschland kam es durch die Änderung des Paragraphen 175 erst 1994 zu einer Liberalisierung“, so Voigt und Bresan. Was in anderen Disziplinen längst Standard ist, ist ihrer Ansicht nach in der Architekturgeschichte noch ein Tabu. Das möchte das Buch ändern. Die Gretchenfrage ist dabei, ob die „Qualität des Entwurfs über der Frage nach der Person des Entwerfers“ steht, wie die Autoren rhetorisch fragen. Für sie ist die Antwort klar: „Die Person und ihre sexuelle Orientierung ist nicht uninteressant“, man könnte auch sagen „relevant“. Für Voigt und Bresan ist „die Interpretation eines Werkes im Zusammenhang mit der Biografie in Kunst-, Musik-, Film- und Literaturgeschichte gängige Praxis – aber nicht in der Architektur. „Selbstverständlich darf die sexuelle Identität des Künstlers berücksichtigt werden. Sie muss mitunter sogar Eingang in die Deutung finden: Was verstünden wir von Hockney, Tschaikowski, Visconti oder Thomas Mann ohne das Wissen um deren Homosexualität?“, fragt Voigt rhetorisch im Vorwort. Dass die Mehrzahl der in dem Buch vorgestellten Architekten skandalfrei existierte, ändert nichts an der Tatsache, dass sie latent einer Gefahr ausgesetzt waren. Parallel zur AIDS-Krise der 1980er-Jahre, als die „Schwulenkrankheit“ auch unter Architekten Opfer fand, lockerte sich das Tabu.
„Louis Sullivan may have been homosexual“ – mit diesen Worten begann das erste Outing der Architekturgeschichte in Robert Twomblys Biografie. Sullivans Sinn für Ornamentik war für Twombly Ausdruck einer „feminin-emotionalen“ Seite. Weil er Sullivans Vorliebe für florale Dekoration als Ausdruck einer homosexuellen Neigung deutete, wurde Twombly vorgeworfen, Stereotypen zu bedienen. Einen zweiten Höhepunkt erlebte das Coming-out der Architektenschaft 1996, als sich Philip Johnson für das Cover des Schwulenmagazins Out porträtieren ließ. Franz Schulze berichtet über Johnsons Liebhaber, von der „sexuellen Erregung“, die Johnson bei einer Veranstaltung der Nationalsozialisten 1932 in Berlin „angesichts dieser blonden Burschen in schwarzem Leder“ spürte. Während „Schulzes‘ Buch in Nordamerika überzeugte, wurde es hierzulande als geschwätzig und kapriziös abgetan“, so Voigt.
Bei deutschen AIDS-Toten wurde hingegen auf Diskretion geachtet. Es hieß, ihr Leben sei nach „schwerer Krankheit“ zu Ende gegangen. „So will es scheinen, als sei nie ein deutscher Architekt an AIDS gestorben“, so Voigt in seinem Resümee. Dass fast die Hälfte der homosexuellen Architekten „mit homophoben Äußerungen konfrontiert war“, fand das Architects’ Journal bei einer Umfrage heraus. In den USA sind schwule Architekten seit 1991 in der „Organization of Lesbian and Gay Architects and Designers (OLGAD)“ organisiert. In Deutschland gibt es einen ähnlichen Verband (noch?) nicht. Für Voigt ist „die Angst, abgelehnt zu werden, der Beweggrund dafür, dass homosexuelle Architekten vorsichtig sind. Dass ihnen, die der Spießer mit Hedonismus in Verbindung sieht, Solidität zugebilligt wird, darauf können sie nicht bauen“, so Voigt desillusioniert.
Der Hauptteil des Buches breitet interessante Fallbeispiele aus. Den Autoren geht es “nicht darum, einen schwulen Entwurfsstil nachzuweisen“, auch wenn Susan Sontags These von der Kultur des Camp dazu verführt hat, an einen Zusammenhang von sexueller Abweichung und Gestaltung zu glauben. Das Interesse der Autoren gilt der Frage, wie sich die Orientierung auf die Arbeit als Architekt auswirkt. „Es geht um die Rekonstruktion prekärer Existenzen und Bedingungen, unter denen Architekten ihren Beruf ausübten – sei es durch die Abschirmung des Privaten oder den Verzicht auf Sexualleben. Zum anderen interessiert der Einfluss von schwulen Netzwerken unter Kollegen. Dass sich die Forschung zu diesem Thema nur auf einer schmalen Quellenbasis aufbauen lassen, ist dem Gegenstand geschuldet. Die sexuelle Orientierung war ein Geheimnis. „Es genügt, die Quellen queer zu lesen“ und die “Formel zu entziffern und hin-ter den Hüllen das Wahrscheinliche zu erkennen“. Zum Vorschein kamen bei den Recherchen zum Buch nicht nur „Entwerfer mit Hang zu Stil, Dekor, Eleganz und Oberfläche, die dem schwulen Klischee entsprechen“, wie Voigt formuliert, sondern genauso Konstrukteure, Modernisten und Städtebauer.
Das schönste Beispiel im Essay-Teil ist Paul Rudolph. Sein New Yorker Penthouse am Beekman Place eröffnet ein „reiches Spiel mit Raum, der sich über mehrere Ebenen hinweg öffnet und vielfältigste Blick- und Wegebeziehungen generiert“, wie Voigt schreibt. „Die Sinne werden durch gläserne Wände und Böden, verspiegelte Oberflächen und semitransparente Raumabschlüsse verwirrt. Selbst Stühle und Tische bestehen aus Plexiglas. Dem Apartment wurde eine geheime, zweite Wohnung eingeschrieben. Der „offizielle“ Wohnbereich öffnet sich über große Panoramascheiben. Über die Existenz eines weiteren Wohntrakts wurden Besucher im Unklaren gelassen. In ihm lebte der Lebensgefährte. In den Grundrissen werden seine Wohnräume als „Bibliothek“ und „Gästetrakt“ bezeichnet. Während in den Haupträumen Weißtöne dominieren, überwiegen in den „geheimen“ Räumen dunkle Oberflächen und „harte“ Materialien. „Schwarze Ledersofas und Einbauten aus poliertem Stahl lassen Assoziationen an schwule Milieus entstehen“, so Voigt.In einem Badezimmer installierte Rudolph einen gläsernen Waschtisch, der in den Luftraum der „Bibliothek“ auskragte. Dem Whirlpool in seinem Badezimmer gab er einen gläsernen Boden, der sich über Wagners Bett öffnete.
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