Bauwelt

Großbritannien: Dancing Before the Moon

Der britische Pavillon beschäftigt sich mit Ritualen, die das Leben der Diaspora-Communities im Vereinigten Königreich bestimmen – vom Waschen und Essen bis hin zur Reinkarnation.

Text: Astbury, Jon, London

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    NONO, Soil Temple, von Yussef Agbo-Ola im Palais de Tokyo in Paris ...
    Foto: © British Council Photography/Taran Wilkhu

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    Foto: © British Council Photography/Taran Wilkhu

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    ... in der Ausstellung „Reclaim the Earth“ im letzten Jahr.
    Foto: Olaniyi Studio

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    ... in der Ausstellung „Reclaim the Earth“ im letzten Jahr.

    Foto: Olaniyi Studio

Großbritannien: Dancing Before the Moon

Der britische Pavillon beschäftigt sich mit Ritualen, die das Leben der Diaspora-Communities im Vereinigten Königreich bestimmen – vom Waschen und Essen bis hin zur Reinkarnation.

Text: Astbury, Jon, London

Alltagsrituale, so argumentieren die Kuratoren, sind ein Mittel, mit dem die Diaspora-Communities Räume schaffen und für sich beanspruchen können, wobei sie einen Rahmen für die Architektur und die gebaute Umwelt bilden, der eher flüchtig und immateriell ist. Eine Arbeit des Ko-Kurators Jayden Ali wird den Eingang des Pavillons einrahmen und den Portikus mit über Kopf angebrachten Skulpturen aus recyceltem Stahl neu interpretieren, die auf trinidadische Trommelmusik und zypriotische Küche verweisen. Im Inneren werden fünf eingeladene Künstlerinnen und Künstler eine Reihe von Auftragsarbeiten präsentieren. Sandra Poluson wird sich mit Reinigungsritualen befassen, unter anderem mit einem Handwaschbecken aus Zement und dem Geruch von Seife, der den Raum durchzieht, während Mac Collins die zentrale Rolle des Dominospiels in der britisch-karibischen Community im Vereinigten Königreich untersucht. Shawanda Corbett wird eine Reihe von Keramikgefäßen herstellen, und eine Installation von Madhav Kidao wird sich mit Ritualen rund um den Tod und das Leben danach beschäftigen. Yussef Agbo-Ola schließlich wird ein Werk aus gewebten Baumwoll- und Ananasfasern präsen­tieren, das sich auf architektonische Strukturen der Yoruba- und Cherokee-Kulturen sowie auf Vorstellungen von Verfall bezieht. In der Haupt­halle wird ein von den Kuratoren und ihrem Team gestalteter Film die wesentliche Rolle von Ritualen in verschiedenen Kontexten im Vereinigten Königreich beleuchten.
Was genau meinen Sie mit „alltäglichen Ritualen“? Woher stammt die Idee, und woher kamen die wichtigsten Inspirationen – aus der Welt der Architektur oder anderen Bereichen?
Mit alltäglichen Ritualen meinen wir die Handlungen und Bräuche, die Menschen ausführen und die oft übersehen werden. Wir wollen die ausgefeilte kulturelle Logik dieser Rituale erforschen und durch den Akt der Gestaltung von Räumen über sie nachdenken. Als Team haben wir über viele Ideen diskutiert, wie wir unsere Kultur in der Architektur würdigen können, um dem Kanon der Architektur neue Erzählungen hinzuzufügen. Der Pavillon stellt eine Hommage an unsere immaterielle Kultur dar, die grundsätzlich räum­­-lich ist, aber wir haben auch Designerinnen und Künstler aufgerufen, diese Rituale durch die Schaffung von Artefakten zum Leben zu erwecken.
Wir haben uns von einem breiten Spektrum an Inspirationen leiten lassen, von Schriftstellern wie James Baldwin – der uns zu dem Namen der Ausstellung inspiriert hat – bis hin zu Menschen wie bell hooks und Stuart Hall. Wir haben auch Duval Timothy und Lex Amor zugehört, Filme von John Akomfrah gesehen und uns über die Ansichten von WR Lethaby informiert. Wir haben uns für den Aufbau einer Welt interessiert, in der die Architektur mit der Kultur verschmilzt und umgekehrt.
Wenn Sie an den britischen Kontext denken, aus dem dieses Projekt hervorgegangen ist, welche zentralen Ideen und Fragen sind dann Ihrer Meinung nach relevant geworden?
Unsere Ausstellung stellt die Frage, wie die gebaute Umwelt Gemeinschaften in der Diaspora besser repräsentieren kann. Wir nutzen den Gedanken der Diaspora, um die Grenzen der nationalen Identität zu hinterfragen und die Diskussion darüber zu erweitern, was es bedeutet, britisch zu sein. Als Mittel, um dies zu erforschen, haben wir Rituale verwendet.
Es wird auffallen, dass der Pavillon durch die von uns Eingeladenen eine globale Perspektive aufweist, wobei auch Künstler aus den USA und Angola zum Team hinzugekommen sind. Das liegt daran, dass wir wollen, dass die Zukunft Großbritanniens pluralistisch ist. Wir lassen uns weiterhin von der Performance und der Gestaltung im Kontext der britischen Architektur inspirieren und von der Möglichkeit, dass dies eine Bereicherung für die Art und Weise darstellt, wie wir Raum gestalten und schaffen.
Im Mittelpunkt des Films steht die Frage, wie Rituale im Vereinigten Königreich ankommen und wie sie sich in öffentlichen und privaten Räumen manifestieren. Wir wollen wissen, wie Architekten sich an diesem Austausch beteiligen und auf diese Handlungen reagieren können. Dabei sind diese nicht auf Großbritannien beschränkt – Fragen des Klimawandels oder der Repräsentation von Minderheiten innerhalb eines vorherrschenden gestalterischen oder politischen Narrativs sind international – und sollten daher Menschen aus der ganzen Welt ansprechen.
Ihr Entwurf – und das Thema der Biennale – stellt eine Herausforderung für den Status der Biennale als etwas ziemlich Geschlossenes und Elitäres dar. Wie hoffen Sie, Ideen von Kollektivismus, Gemeinschaft und Zusammen­arbeit in diesen Raum einbringen zu können?
Wir haben für dieses Projekt eine umfangreiche Liste von Mitwirkenden entwickelt und mit ihnen zusammengearbeitet. Durch das Nachdenken über die Kultur des Bauens bzw. der Architektur haben wir eine Ausstellung entwickelt, die viele Disziplinen in einem Raum vereint, um eine bestimmte Idee zu durchleuchten. Wir freuen uns auch darauf, Menschen einzuladen, Gespräche zu führen, ihre Arbeiten zu präsentieren und die Haupthalle als öffentlichen Raum zu betrachten. Die Ausstellung beginnt im ersten, großen Raum mit einer Leinwand und Sitzgelegenheiten – dies sind Infrastrukturen für Begegnungen und Präsentationen, und um diese voll auszuschöpfen, arbeiten wir mit anderen Akteuren außerhalb unseres Netzwerks zusammen. Der Pavillon war von Anfang an als Ort des Zusammenkommens von Menschen und Ideen konzipiert.
Raum im Pavillon für Künstlerinnen und Künstler bereitzustellen, ist eine starke Geste. Könnten Sie ein wenig darüber erzählen, warum Sie den Pavillon auf diese Weise konzipiert haben, und wie Sie bei der Auswahl der Beteiligten vorgegangen sind?
Wir wollten mit Menschen zusammenarbeiten, die sich in ihrer Arbeit mit dem Geschichtenerzählen, mit Ritualen und Produktion beschäftigen. Dazu mussten wir die Suche über den Kreis der traditionellen Architekten hinaus ausdehnen. Auch Lesleys Anregung, die Biennale als Labor zu betrachten, und die Freiheit, die sich daraus ergibt, mit verschiedenen Methoden und Prozessen zu experimentieren, hat uns begeistert. Jedes Objekt in der Ausstellung kann als ein architektonisches Experiment zu Material, Produktion und Form unter dem Aspekt von Ritual und Kultur gelesen werden.
Wenn Sie kurz zusammenfassen sollten, was die Menschen aus dieser Ausstellung mitnehmen sollen, was würde das sein?
Dass jeder Mensch einen Anteil daran hat, wie wir Raum herstellen und gestalten. Und dass das Alltägliche nicht alltäglich ist. Es ist sehr schön und sehr wichtig, wie wir unsere gebaute Umwelt gestalten. Und wir sollten uns das Ganze noch einmal genauer ansehen.
Aus dem Englischen von Beate Staib
Meneesha Kellay, Jayden Ali, Sumitra Upham, Joseph Henry
Jayden Ali ist Gründungsdirektor des interdisziplinären Büros JA Projects und Senior Lecturer am Central Saint Martins College. Joseph Henry ist Designer und Urbanist, Mitbegründer der Plattform Sound Advice und Capital Development Manager im Kultur- und Kreativwirtschaftsteam der Greater London Authority. Meneesha Kellay ist Kuratorin und Kommisionsmitglied, derzeit Senior Curator, Contemporary Programme am V&A. Sumitra Upham ist Kuratorin und Autorin, derzeit Head of Programmes beim Crafts Council. Der British Council ist der Auftraggeber des Pavillons.
Fakten
Architekten Ali, Jayden, London; Henry, Joseph, London; Kellay, Meneesha, London; Upham, Sumitra, London
aus Bauwelt 11.2023
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