Bauwelt

Deutschland: Open for Maintenance

„Open for Maintenance“ heißt das Konzept für den deutschen Pavillon der 18. Biennale. Das Ziel: zu vermitteln, wie die Bauwende auch mit der Wiederverwendung von Abfällen gelingen kann.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Klingbeil, Kirsten, Berlin

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    Im Gespräch über den Deutschen Pavillon: Christian Hiller, Anh-Linh Ngo, Melissa Makele und Franziska Gö­dicke von der ARCH+ (v. l. n.r. am Tisch) sowie Juliane Greb und Florian Summa (zugeschaltet). Ganz rechts am Tisch Kirsten Klingbeil (vorn) und Ulrich Brinkmann (hinten) von der Bauwelt. Nicht anwesend waren Anne Femmer und Petter Krag.
    Foto: Jasmin Schuller

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    Im Gespräch über den Deutschen Pavillon: Christian Hiller, Anh-Linh Ngo, Melissa Makele und Franziska Gö­dicke von der ARCH+ (v. l. n.r. am Tisch) sowie Juliane Greb und Florian Summa (zugeschaltet). Ganz rechts am Tisch Kirsten Klingbeil (vorn) und Ulrich Brinkmann (hinten) von der Bauwelt. Nicht anwesend waren Anne Femmer und Petter Krag.

    Foto: Jasmin Schuller

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    Eine neue Rampe, gebaut mit Restmaterialien der Kunstbiennale, ...
    Foto: ARCH+/Summacumfemmer/Büro Juliane Greb

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    Eine neue Rampe, gebaut mit Restmaterialien der Kunstbiennale, ...

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    ... macht den deutschen Pavillon auch für Besucherinnen und Besucher mit Rollator oder Kinderwagen durch den Haupteingang zugänglich.
    Foto: ARCH+/Summacumfemmer/Büro Juliane Greb

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    ... macht den deutschen Pavillon auch für Besucherinnen und Besucher mit Rollator oder Kinderwagen durch den Haupteingang zugänglich.

    Foto: ARCH+/Summacumfemmer/Büro Juliane Greb

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    Venedigs Lage wirft Probleme hinsichtlich Lagerung und Transport von Baumaterialien auf.
    Fotos: ARCH+/Summacumfemmer/Buero Juliane Greb

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    Venedigs Lage wirft Probleme hinsichtlich Lagerung und Transport von Baumaterialien auf.

    Fotos: ARCH+/Summacumfemmer/Buero Juliane Greb

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    Indem der deutsche Pavillon direkt mit dem Ende der Kunstbiennale vom Kuratoren-Team der Architekturbiennale übernommen wurde, konnte er so­-fort als Lagerstätte für wiederverwendbare Bauelemente dienen.
    Fotos: ARCH+/Summacumfemmer/Buero Juliane Greb

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    Indem der deutsche Pavillon direkt mit dem Ende der Kunstbiennale vom Kuratoren-Team der Architekturbiennale übernommen wurde, konnte er so­-fort als Lagerstätte für wiederverwendbare Bauelemente dienen.

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    Den Pavillon zum benutzbaren Gebäude zu verwandeln, stellte das Kuratoren-Team vor unerwartete Fragen: ...
    Foto: ARCH+/Summacumfemmer/Büro Juliane Greb

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    Den Pavillon zum benutzbaren Gebäude zu verwandeln, stellte das Kuratoren-Team vor unerwartete Fragen: ...

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    ... Wie lassen sich WC und Teeküche ohne Wasseranschluss bauen?
    Foto: ARCH+/Summacumfemmer/Büro Juliane Greb

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    ... Wie lassen sich WC und Teeküche ohne Wasseranschluss bauen?

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    „Open for Maintenance“ und bereit für die Stadt – ab dem 20. Mai können die Besucherinnen und Besucher des deutschen Pavillons verfolgen, wie vermeintliche Abfallstoffe wieder in den Baukreislauf von Venedig zurückkehren.
    Foto: ARCH+/Summacumfemmer/Büro Juliane Greb

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    „Open for Maintenance“ und bereit für die Stadt – ab dem 20. Mai können die Besucherinnen und Besucher des deutschen Pavillons verfolgen, wie vermeintliche Abfallstoffe wieder in den Baukreislauf von Venedig zurückkehren.

    Foto: ARCH+/Summacumfemmer/Büro Juliane Greb

Deutschland: Open for Maintenance

„Open for Maintenance“ heißt das Konzept für den deutschen Pavillon der 18. Biennale. Das Ziel: zu vermitteln, wie die Bauwende auch mit der Wiederverwendung von Abfällen gelingen kann.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Klingbeil, Kirsten, Berlin

Die ARCH+ Redaktion, Summacumfemmer und Büro Juliane Greb kuratieren den Deutschen Pavillon – wie haben Sie sich für die Bewerbung zusammengefunden, und wie haben Sie das Konzept zusammen entwickelt?
Anh-Linh Ngo Wir haben uns über die Arbeit an unserem Heft zur feministischen Raumpraxis kennengelernt. Darin hatten wir das Projekt San Riemo in München von der Arge Summacumfemmer und Büro Juliane Greb unter dem zentralen Aspekt der Sorgearbeit näher vorgestellt. Als wir uns dann entschieden haben, uns gemeinsam mit ihnen zu bewerben, waren wir uns schnell einig, dass wir ausgehend von diesem Thema auch unseren Beitrag für den Deutschen Pavillon entwickeln wollen.
Melissa Makele Wir verstehen unsere Zusammenarbeit allerdings ganzheitlich, hier steht nicht die Architekturzeitschrift der Architekturpraxis gegenüber. Mit Bezug zum feministischen Ansatz vertreten wir ein erweitertes Verständnis von räumlicher Praxis. Diskurs und Theorieproduktion gehören genauso dazu – und umgekehrt setzen sich kritische Architekturbüros natürlich auch intensiv mit den drängenden gesellschaftlichen Themen auseinander. Insofern war von Anfang an klar, dass wir diese unterschiedlichen Expertisen zusammenbringen wollen, um dabei – trotz klarer Arbeitsteilung – unter enger Absprache und im kollektiven Prozess gemeinsam eine starke Position zu entwickeln. Weder sind Archi­tekt*innen nur die ausführenden Gestalter, noch liefern wir nur das Theorie-Beiwerk. Es ist der Versuch, die unterschiedlichen Aspekte der Diszi­plin zusammenzubringen.
Wie haben Sie die inhaltliche Arbeit verteilt?
Juliane Greb Wir Architekt*innen sind es gewohnt, in einem Team zu arbeiten. Es gibt keine strikte Arbeitsteilung, wir bearbeiten alles gemeinsam.
Christian Hiller Wir haben den deutschen Pavillon unmittelbar nach dem Ende der Kunstbien­nale „instandbesetzt“. Seitdem war das Archi­tekt*innen-Team in verschiedenen Konstella­tionen vor Ort und hat Materialien in einer großen Sammelaktion aus verschiedenen Länderpavillons zusammengetragen. Mit einem Teil der Materialien wurden räumliche Eingriffe vorgenommen, die dazu dienen, den Deutschen Pavillon in eine produktive Infrastruktur zu verwandeln. Von hier aus sollen Hochschulgruppen und Auszubildende des Handwerks mit venezianische Initiativen an der Maintenance sozialräumlicher Strukturen in Venedig zusammenarbeiten. Das Konzept ist, diese Arbeit über die Eröffnung der Biennale fortzuführen, um über den Zeitraum eines Jahres eine starke Vernetzung mit der Stadt zu etablieren. Wir arbeiten mit vielen Initiativen vor Ort zusammen. Wir haben von Berlin aus versucht, die Prozesse aus dem Hintergrund zu unterstützen. Auch die Publikation, die in den Händen von ARCH+ lag, wurde eng mit den Archi­tekt*innen abgestimmt.
Franziska Gödicke Alle Eingriffe in und um den Pavillon waren Ergebnis einer detektivischen Recherchearbeit. Wir haben unter anderem untersucht, welche Auswirkungen die Biennale auf die Stadt und ihre Bewohnerschaft hat und wie wir das zivilgesellschaftliche Engagement und die vor Ort ansässigen stadtpolitischen Initiativen in ihrer Arbeit unterstützen können, ohne in den Helfergestus zu verfallen. Die Frage war vielmehr: Was können wir von den Initiativen vor Ort lernen, und wie lassen sich die vorhandenen Strukturen weiter verstetigen? Ein Beispiel: Die Rebiennale ist eine vor Ort ansässige Initiative, die schon seit 2008 Materialien beim Abbau einer jeden Biennale einsammelt und wiederverwendet. In dem näheren Austausch mit ihnen stellte sich jedoch heraus, dass die Kapazitäten beim Einlagern von Materialien aufgrund fehlen­-der Lagerflächen begrenzt sind – allgemein ein riesiges Problem beim kreiswirtschaftlichen Bauen. Also haben wir sie gefragt: Was, wenn ihr die Sachen in unserem Pavillon einlagern könntet? So haben wir versucht, in der Konzeptfindung schon früh einen Umgang mit dem Pavillon zu entwickeln, der auf eine breite Analyse unterschiedlicher Bedarfe vor Ort reagiert und damit einen nützlichen Mehrwert für verschiedene Nutzergruppen bringt, anstatt nur zu repräsentieren. Das sehe ich als den großen Gewinn dieses Projekts.
Wie stellt sich dieser Ansatz nach einem Jahr der Zusammenarbeit dar?
Juliane Greb Die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort war eine sehr bereichernde Erfahrung, weil die Arbeit viel auf gegenseitiger Wertschätzung beruhte und es so zu einem
gemeinsamen Projekt geworden ist. Dabei sind auch persönliche Beziehungen entstanden.
Florian Summa Uns war klar, dass wir uns auf einen offenen Prozess einstellen müssen, bei dem viele Entscheidungen vor Ort getroffen werden. Dies hängt natürlich eng mit dem Prinzip zusammen, nur mit vorgefundenen Materialien zu arbeiten. Wenn die Besucher*innen auf die Biennale kommen und eine ganz normale Ausstellung im Deutschen Pavillon erwarten, werden sie stattdessen einen Tag aus einem Prozess sehen, der schon vorher anfing und über die ganze Zeit der Biennale fortlaufen wird. Wir wollen das Material, dass wir eingelagert haben, weiterverarbeiten, sodass der Pavillon am Ende leer ist. Die Materialien sollen wieder in den Stadtkreislauf eingefügt werden, wie es auch die Rebiennale macht. So können kleine Reparaturen und Unterhaltsarbeiten entstehen, die im besten Fall das erhalten, was durch die Initiativen schon da ist.
Das heißt, Besucherinnen und Besucher, die gegen Ende der Biennale nach Venedig kommen, stehen in einem leeren Deutschen Pavillon, weil alle Materialien bereits wieder in
den Baukreislauf eingespeist worden sind?
Juliane Greb Das können wir natürlich schwer voraussagen. Unserer Erfahrung nach kommt ständig noch irgendwas dazu. Zum Beispiel fallen beim Aufbau der anderen Pavillons wieder Materialien an. Überall stehen Stapel, die man noch abholen könnte.
Florian Summa Und ganz leer wird der Pavillon nie sein, weil sich das Lager im Hauptraum be­findet und wir in den Seitenflügeln neue Funktionen entworfen haben: eine Werkstatt, einen Versammlungsraum, eine Teeküche und einen Waschraum mit Toilette – Funktionen, die man braucht, um dort arbeiten zu können. Diese gestalteten Räume werden bis zum Ende bleiben, wie sie sind.
Juliane Greb Damit wollen wir den Pavillon als einen Ort der Repräsentation in einen Ort umwandeln, den man wirklich nutzen kann.
Sie haben den Pavillon mit dem Beitrag der Kunstbiennale übernommen. Was wird mit dem passieren, was Sie vorgefunden haben?
Anh-Linh Ngo Die Arbeit von Maria Eichhorn bildet den Rahmen dafür, dass wir das Projekt überhaupt durchführen konnten. Der Pavillon wäre ansonsten mehrere Monate lang gesperrt gewesen, und wir hätten die Idee, ihn als Lager zu nutzen, gar nicht umsetzen können. Das ist eine pragmatische Überlegung. Die zweite Überlegung ist, mitzunehmen, woran Maria Eichhorn gearbeitet hat. Sie zeigt, dass der Pavillon ständig umgebaut wurde. Ein einschneidender Moment war natürlich der Umbau unter den Nazis, als der Pavillon ideologisch komplett transformiert wurde. Die einfache Erkenntnis, dass man einen Bau mit banalen architektonischen Mitteln inhaltlich komplett umkodieren kann, hat uns bewegt zu fragen: Wie wäre es, wenn wir mit unseren heutigen Vorstellungen von Gesellschaft den Pavillon umbauten? Wäre es möglich, die in ihm eingeschriebene Ideologie zu überwinden, indem wir den Pavillon demokratischer, inklusiver, nutzbarer machen? Und das ist genau das, was passiert ist. Von daher sehen wir die Arbeit als eine wichtige Ausgangsbasis für das, was wir machen. Im intellektuellen Sinne, aber auch im sehr pragmatischen Sinne.
Juliane Greb Wir kämpfen mit unseren Eingriffen vielleicht nicht gegen die Monumentalität des Pavillons an, aber dadurch, dass wir ihn mit einem anderen Programm füllen, steht das Monument nicht mehr für nationale Repräsentation, sondern für die Zusammenarbeit mit den lokalen Initiativen und die Vernetzung mit der Stadt. Die architektonischen Eingriffe am Pavillon knüpfen an den Bestand an und bauen daran weiter, wo wir Bedarf für Anpassung gesehen haben.
Anh-Linh Ngo Die Grundlage ist aber, zu sehen, dass architektonische Eingriffe auch in der Lage sind, die Struktur zu verändern. Auch in der Wahrnehmung und der Nutzung von Bestand. Wir gehen mit kleinen Eingriffen vor. Eine Rampe wird angebaut, eine Toilette, eine Werkstatt, eine Teeküche. Solche kleinen Eingriffe transformieren das System und die Nutzbarkeit. Für die Diskussion über den Bestand, die wir heute haben, ist es von zentraler Bedeutung zu erkennen, dass kleine Eingriffe schon sehr viel bewirken können.
Juliane Greb Zumal der Einfluss bei der Rampe nicht so klein ist. Es war uns wichtig, diesen barrierefreien Zugang zu schaffen, der uns bei der Arbeit mit dem Material dient, aber auch für Besu­-cher*innen im Rollstuhl oder mit Kinderwagen den repräsentativen Eingang nutzbar macht. Bisher gab es nur eine behelfsmäßige Rampe an der Seite, für die man einen Umweg machen musste. Der frontale Eingang für alle ist ein Eingriff, der uns an der Stelle notwendig erschien.
Florian Summa Uns war wichtig, dass alle Eingriffe einen Nutzen haben. Durch die Beschäftigung damit, was diese Nutzung sein könnte, sind wir auf viele Themen gestoßen. Zum Beispiel hatte der Pavillon keine Toilette – wir brauchten aber eine Toilette, damit der Pavillon für die Laufzeit der Biennale ein Gebäude ist, das man nutzen kann. Der Pavillon hat aber keinen Wasseranschluss – und plötzlich beschäftigt man sich damit, wie man eine Toilette ohne Wasser bauen kann. Das haben wir als Chance genutzt, unsere Toilette als eine prototypische Trockentoilette zu bauen, die auch im Geschosswohnungsbau angewendet werden kann. So können wir auf einem sehr pragmatischen Level technische Neuerungen in der Architektur zeigen, die sonst gar nicht bei uns Architekt*innen ankommen, weil sie teilweise sehr spezifische TGA-Fragen betreffen. Indem wir eine konkrete Funktion vorsehen, können wir diese Themen automatisch mitverhandeln, ohne uns fragen zu müssen: Wie stellen
wir aus, wie eine wasserlose Toilette funktioniert?
Juliane Greb Die Toilette passt auch insofern gut in unser Konzept, weil dort ökologische und
so­ziale Themen zusammenkommen. Es war uns wichtig, einen inklusiven Waschraum zu schaffen, der den Pavillon weiter demokratisiert.
Franziska Gödicke Diese Überschneidungen von unterschiedlichen Themen sind entscheidend für unseren Eingriff. Dieser Ansatz steht auch im Zentrum von Lokkos Biennale-Thema „The Laboratory of the Future“. Das wird bei unserem Beitrag sowohl am Beispiel der Toilette als auch am Beispiel der Rampe deutlich. Es geht um die gleichzeitige Betrachtung unterschied­licher Bedarfe: Wir wollen einen gleichwertigen Zugang und angemessene Sanitäroptionen für alle etablieren. Das gilt auch beim Materialdepot, das erst einmal sehr architektonisch wirkt. Wenn man die Systeme dahinter kennt und weiß, wofür das Material verwendet wird, nämlich für die Reparatur der Stadt gemeinsam mit den Initiativen, dann wird auch dort die untrennbare Verschränkung von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit offenkundig.
Stichwort Nachhaltigkeit: Gibt es eine Bleibeperspektive für diese Ergänzungen des Pavillons? Oder müssen Sie alles wieder als sortenrein getrennten Abfallberg übergeben?
Anh-Linh Ngo Das ist das Spiel. Der Pavillon ist ein denkmalgeschützter Bau. Die Anträge sind nur genehmigt worden, weil alle Eingriffe temporär sind. Was bleiben wird, ist die Erkenntnis, wie wir den Pavillon, ohne die Geschichte zu negieren, inklusiver, funktionaler gestalten könnten. Die bestehende Rampe ist morsch und muss erneuert werden. Unsere Rampe könnte einen Anstoß geben, wie eine tatsächlich inklu­sive neue Rampe aussehen könnte. Was wir uns über unser Projekt hinaus als systemische Ver­änderung wünschen, ist der bewusste Umgang mit dem Abfall der Biennalen. Neben der Einrichtung des Materialdepots richten wir nämlich ein digitales Tool zur Inventarisierung von Restma­terial ein. Dieses Werkzeug bieten wir der Bienna­le an. Der größte Erfolg des Projekts wäre es, wenn die Institution diese Möglichkeiten aufgreifen würde. Doch damit es Schule macht, ist es uns ein Anliegen, dass wir nicht nur zeigen, dass es funktioniert, sondern auch, dass dabei tolle Architektur und Gestaltung entstehen kann. Denn das stärkste Argument im Architekturdiskurs ist immer noch die Architektur selbst. Da­-her haben wir von Anfang an gesagt: „From Exhibition to Habitation“, ein Motto, das wir von dem venezianischen Theoretiker und Stadtaktivisten Marco Baravalle übernommen haben. Es bedeutet, weg von der Ausstellung, hin zu einem bewohnbaren Raum. Durch das Benutzen müssen wir keinen abstrakten Diskurs mit den Be­su­cher*innen führen. Die Möglichkeit einer Veränderung wird spürbar. Das ist, glaube ich, das Beste, was von einer Ausstellung bleiben kann.
Florian Summa Wir wollen auch transportieren, dass alles mit viel Arbeit verbunden ist. Zwar haben wir jetzt Vorschläge für viele Fragen, die in der Welt sind, aber erst einmal haben wir uns mit dem, was vorhanden war, und den Fragen, die uns beschäftigen, an die Arbeit gemacht. Es war sehr viel zeitaufwändiger – und aus einer ökonomischen Perspektive auch teurer –, alle Materialien fünfzigmal in die Hand zu nehmen, zu sortieren und zu reinigen. Andererseits macht das sonst nur deshalb niemand, weil es leichter ist, neues Material zu bestellen. Es ist uns wichtig, auch das zu zeigen.
Juliane Greb Die Vermittlung des Materials ist Teil des Projekts, und dazu gehört auch das Mate­rial, das am Ende übrigbleibt. Für das genderneutrale Urinal, das wir eingebaut haben, haben wir schon jemanden gefunden, der es übernehmen wird.
Es gab anfangs die Frage, wie man den Pavillon öffnen kann, damit die Bevölkerung reinkommt, weil man ja ein Ticket braucht für die Biennale. Konnte das gelöst werden? Oder ist es nur Ausstellungsbesuchern möglich, bei einem Event mitzumachen oder etwas zu reparieren?
Franziska Gödicke Wir drehen diese Frage um. Wenn wir die Stadt nicht in die Werkstatt bringen können, kommt die Werkstatt eben in die Stadt. Es gibt das Programm „Maintenance 1:1”, in dem Studierende aus über zwanzig Universitäten über ein halbes Jahr in der Stadt Dinge reparieren. Natürlich haben die Teilnehmenden für diese Zeit auch Zugang zum Pavillon. Allerdings haben wir keine Handhabe darüber, jedem/jeder Stadtbewohner*in ein Ticket zu geben, hier ist die Biennale sehr streng. Am Ende bleibt hoffentlich nicht nur kein Müll übrig, sondern bleiben vor allem Strukturen und Allianzen, die uns überdauern. Häufig beginnen die Ausstellungs-macher*innen alle zwei Jahre wieder bei Null. Dabei würden gerade Pavillons, die weite Transportwege haben, von Allianzen mit zum Beispiel der Rebiennale profitieren. Die Idee ist schon, dass die Werkstatt oder das Materiallager auf eine Art erhalten bleiben – vor allem aber die immateriellen Strukturen.
Anh-Linh Ngo Die Biennale funktioniert ja, es geht also nicht darum, noch mehr Leute auf die Biennale zu bringen, sondern mit den negativen Effekten, die die Biennale auf die Stadt hat, umzugehen. Dafür müssen wir in die Stadt gehen und mit den vorhandenen Netzwerken arbeiten. Ich denke, in diese Richtung zu arbeiten, ist fruchtbarer, als allen den Zugang zur Biennale zu verschaffen. Was von dem Projekt und vor allem von „Maintenance 1:1” bleiben wird, sind die sozialen Fragen, die durch die Eingriffe im Pavillon und in der Stadt bearbeitet worden sind. Wir schaffen ein Angebot, innerhalb dessen man eigene Aufgaben finden und durchführen kann.
Juliane Greb Das Projekt geht über die ganze Laufzeit der Biennale, und an „Maintenance 1:1” nehmen eine ganze Reihe an Hochschulen und Berufsschulen teil. Die Studierenden werden, anknüpfend an Projekte verschiedener lokaler Ini­tiativen, kleine Eingriffe und Reparaturen in der Stadt durchführen. Der Pavillon, mit seiner Werkstatt und dem Materialdepot, bietet dafür die Basisinfrastruktur. Auch die venezianische Hochschule IUAV wird eingebunden.
Spielen diese Orte auch für die Besucher eine Rolle? Können die, die zum Pavillon kommen, dann mit einer Art Guide durch Venedig gehen, zu diesen Orten und Initiativen, mit denen Sie sich vernetzt haben?
Florian Summa Wir arbeiten daran, wie wir das im Pavillon widerspiegeln können. Das wird je­-de Gruppe ein wenig anders gestalten. Die Herangehensweise ist aber weniger, die Ergebnisse auszustellen, weil es oft auch nicht so viel zu sehen gibt – die Frage ist eher, was es bedeutet, wenn wir mit kleinen Reparaturen arbeiten. Das sind teilweise sehr unscheinbare Sachen, von denen wir aber glauben, dass sie wichtig sind und dass man genauso viel Freude daran haben kann, wie an größeren Dingen. Das macht es aber für Besucher*innen schwer zu erkennen, was genau an den Orten passiert ist. Im Pavillon, wo immer etwas los sein wird, steht das Tun im Vordergrund; und dadurch wird viel vermittelt. Wer es ganz genau wissen will, kann nachfragen und sich die Reparaturen in der Stadt ansehen.
Und diese Reparaturen werden alle mit den Materialien aus dem Pavillon durchgeführt?
Anh-Linh Ngo Genau. Die Idee ist, mit dem Material produktiv umzugehen und kein Show-Lager anzulegen. Das Material soll weiterverwendet werden, wie wir es bereits am Pavillon umgesetzt haben. Außerdem wollen wir die gesellschaftlichen Netzwerke in ihrem Tun bestärken. Das sind soziale Initiativen, die kaum über finanzielle Ressourcen verfügen und darauf angewiesen sind, dass Ehrenamtliche mittun. In solchen Strukturen hat es Bedeutung, wenn man eine Dachrinne repariert. Das ist nichts, was man sehen oder ausstellen kann, sondern wichtig, damit die Infrastruktur funktioniert. Es geht darum, sichbewusst zu machen, dass Architektur mehr sein kann als das, was wir in Zeitschriften veröffentlichen. Gerade solche kleinen Eingriffe sind als reproduktive Arbeit im Raum für den gesellschaftlichen Zusammenhalt absolut notwendig.
Wird es denn eine Form von Dokumentation geben, die für die Besucherinnen und Besucher nachvollziehbar ist? Irgendeine Art von Vermittlungsarbeit muss es doch geben, damit diese verstehen, worum es geht und was Sie in der Stadt tun!
Florian Summa Erst einmal geht es um physischeVermittlungsarbeit. Es werden immer Leute vom Kurator*innenteam vor Ort sein und auch externeVermittler*innen, sodass viel im Gespräch erklärt werden kann. Darüber hinaus haben wir viel Material zu dem gesammelt, was geschehen ist, und denken, dass auch die Hochschulgruppen Material sammeln werden. Es wird einen Zettelkasten geben und ein Schwarzes Brett mit den Veranstaltungen. Man wird eintauchen können, aber alles geschieht immer aus dem Prozess heraus. Wir wollen nichts um der Ausstellung willen ausstellen.
Anh-Linh Ngo Die Idee ist schon, dass jede Gruppe auch eine Dokumentation ihrer Arbeit macht. Es wird also Material geben, das wir im Pavillon zur Verfügung stellen können, damit man die Eingriffe nachvollziehen kann.
Juliane Greb Jeden Donnerstag soll es auch ein Treffen der Hochschulen im Pavillon geben, wo die Gruppe, die gerade vor Ort ist, in einer Online-Schaltung denen, die noch kommen, ihren Stand präsentiert. So wird auch zwischen den Gruppen eine Vernetzung entstehen und Wissen weitergegeben.
Christian Hiller Der ganze Prozess wird auch über Social Media begleitet. Es geht immer um Aktionen, die sichtbar sind. Auch das kann in eine Dokumentation für das Publikum zurückfließen, aber es wird auch über andere Medien vermittelt werden müssen. Die ARCH+-Ausgabe dazu erscheint natürlich zur Eröffnung, aber das, was in den nächsten Monaten entstehen wird, ist so wertvoll, dass man sehen muss, wie man diese Ergebnisse für die Zukunft festhält.
Eine Frage wäre noch, wie das Material aus der Ausstellung heraus nachbereitet, aufbereitet, dokumentiert und weitergereicht werden kann, um den Lerneffekt auch über den Zeitpunkt der Ausstellung hinaus zu ermöglichen, hier in Deutschland, in der Fachszene, vielleicht aber auch darüber hinaus.
Florian Summa Die Wissensvermittlung betrifft nicht nur die Zusammenarbeit mit den venezia­nischen Gruppen, wir haben auch deutsche Initiativen mit an Bord geholt. Es gibt also immer eine Rückspiegelung zu deutschen Initiativen, die sich mit den gleichen Themen beschäftigen. In das Projekt ist das Wissen von etlichen hundert Leute eingeflossen, ohne die das Ganze nicht möglich gewesen wäre.
Christian Hiller Allein das Kernteam, mit dem wir zusammenarbeiten, besteht aus etwa 200 Menschen. Dazu kommen die Universitäten, aktuell 23 an der Zahl, mit jeweils 15 bis 20 Studierenden, und natürlich die ganzen Netzwerke in Venedig selbst, die selbst Workshops anbieten. Diese aktive Wissensvermittlung, also das direkte miteinander Tun an konkreten Problemstellungen, Situationen und Orten, ist das Größte, was dieser Pavillon an Wissensvermittlung erreichen kann. Die Studierenden, die über eine Woche oder länger bei diesen Prozessen da­-bei waren, werden hinterher sicherlich anders über ihre Praxis nachdenken. Gerade wenn
wir eine junge Generation erreichen, können wir auch die Frage aufwerfen: Was ist Architektur überhaupt?
Melissa Makele Dass große Netzwerk ist jedoch kein Selbstzweck, sondern geht damit einher, dass wir im Sinne des Maintenance-Begriffs das persönliche Engagement in den Mittelpunkt stellen. Diese Vernetzungs- und Maintenance-Arbeit, nicht nur in Bezug auf das Materialdepot, sondern auch auf die sozialen Beziehungen vor Ort, ist auf den gesamten Zeitraum des Projekts ausgelegt. Der Ansatz ist nicht, auf vier Eröffnungstage hinzuarbeiten, sondern über ein Jahr hinweg zu schauen, wie man sich wirksam an der Demokratisierung der Gesellschaft beteiligen kann.
Was wird Thema der ARCH+-Ausgabe sein? Wird es eine theoretische Rückbindung geben?
Anh-Linh Ngo Klar, wir sind schließlich die ARCH+. Wir dokumentieren nicht einfach nur die Arbeiten. Die Ausgabe behandelt die ganze Bandbreite von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Eine der zentralen Thesen unseres Projekts lautet, dass zur Nachhaltigkeit eben nicht nur die technische Performance gehört, sondern die sozialen Fragen untrennbar damit verbunden sind. Von der Frage der Inklusion
bis hin zu zirkulärem Bauen.
Melissa Makele Insofern steht das Heft auch in einer Linie mit der Ausgabe zur zeitgenössischen feministischen Raumpraxis und der Ausgabe „The Great Repair“, die wir zum Konzept der Reparatur gemacht haben. Diese Themen kommen jetzt zusammen. In der Biennale-Aus­gabe sind feministische Perspektiven im Zusammenhang mit dem Maintenance-Begriff und der Frage von Fürsorge zentral.
Anh-Linh Ngo Das macht auch nochmal bewusst, dass das Soziale im Material gebunden ist. Wie wir damit umgehen, welche Netzwerke das Material initiiert, welche Arbeitsprozesse damit verbunden sind, sind Fragen, die uns wieder an den Anfang des Gesprächs zurückbringen.Theorie und Praxis, das Soziale und das Mate­rielle gehören zusammen.
Anh-Linh Ngo
Architekturtheoretiker, Kurator und Mitherausgeber von ARCH+.
Franziska Gödicke
arbeitet seit Juli 2021 im redaktionellen Team der ARCH+.
Christian Hiller
ist Medienwissenschaftler, Redakteur und Kurator und war tätig für die Stiftung Bauhaus Dessau, das Haus der Kulturen der Welt und die ARCH+.
Melissa Angela Alemaz Makele
ist Redakteurin bei ARCH+. 2022 war sie Berlin-Stipendiatin an der Akademie der Künste, Berlin.
Juliane Greb ist Architektin und leitet seit 2015 ihr eigenes Büro in Gent. Seit 2017 ist Petter Krag Partner des Büros.
Florian Summa ist Architekt und zusammen mit Anne Femmer Mit - gründer von SUMMACUMFEMMER Architekt*innen in Leipzig.
Fakten
Architekten Ngo, Anh-Linh, Berlin; Gödicke, Franziska, Berlin; Hiller, Christian, Berlin; Alemaz Makele, Melissa Angela, Berlin; Greb, Juliane, Gent; Summa, Florian, Leipzig
aus Bauwelt 11.2023
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