Beautifully Choreographed Fiction
Nachdem Ana Luisa und Filipe mich vier Tage durchs Archipel fala begleitet haben, reden wir, untermalt von klackernden Tastaturen und murmelnden Kollegen, über Stil, „ugly ducks“ und die Bedeutung von Bildern.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Beautifully Choreographed Fiction
Nachdem Ana Luisa und Filipe mich vier Tage durchs Archipel fala begleitet haben, reden wir, untermalt von klackernden Tastaturen und murmelnden Kollegen, über Stil, „ugly ducks“ und die Bedeutung von Bildern.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Ihr arbeitet mit starken Formen und Farben. Worauf fußt eure Architektursprache?
Ana Luisa Jede Kurve, jede Form hat einen funktionalen Grund – etwa, um mehr Platz für ein bestimmtes Möbel, eine höhere Decke zu haben oder um den Bestand einzubinden. Bei den Ma-terialien und Farben sind wir offen. Wenn wir zum Beispiel Wände und Decken hervorheben möchten, dann müssen sie sich deutlich voneinander abheben.
Was haltet ihr davon, bei eurer Arbeit von einem „Stil“ zu sprechen?
Ana Luisa Es gibt wiederkehrende Themen – wir nennen sie „Tropen“. Angefangen haben wir damit, das Potenzial von Formen auszuloten, um Probleme zu lösen. Wir haben einzelne Elemente wie Türen oder andere Sonderelemente betont, haben mit tragenden und nicht-tragenden Systemen gespielt. Da hat sich etwas entwickelt, was man sicherlich mittlerweile als Stil bezeichnen kann, aber wir sehen es eher als verschiedene Kompositionen von ähnlichen Elementen. All unsere Projekte bestehen aus Wänden und Decken – uns interessiert es nicht, abgefahrene Strukturen zu erfinden.
Filipe Was die meisten Leute als Stil ansehen, ist die Wiederholung von Motivationen. Am Beispiel: Wir lieben es, die horizontalen Bauteile klar von den vertikalen zu trennen. Das kann man durch Material, Farbe, Struktur oder mit Mustern erreichen. Der visuelle Ausdruck ist, was in Erinnerung bleibt, weil er deutlicher als das Konzept hervortritt. Weil unsere Ausdrucksformen anders sind als der Standard, halten uns viele für Sonderlinge. Aber wir sind stolz darauf, weil wir finden, dass es falsch ist, wenn alles gleich aussieht. Wir sind gern die Sonderlinge.
Welche Erwartung haben eure Bauherren, wenn sie zu euch kommen?
Ana Luisa Sie wollen etwas ganz normales, damit es nie Probleme macht, bis sie in Rente sind. Gerade junge Klienten sind deshalb oft wenig flexibel. Es liegt auch daran, dass sie wenig andere Raumerfahrungen gemacht haben, sie trauen sich nicht, etwas auszuprobieren.
Filipe Sie engagieren uns nicht für Experimente, sondern für eine Dienstleistung, so wie man einen Anwalt engagieren würde. Wir sollen ein paar Dokumente ausfüllen und fertig. Sie heu-ern uns für die „erste Sprache der Architektur“ an – das Programm, die Plansammlung, das Budget –, aber uns geht es um die zweite. Wir machen die Dinge, die wir tun müssen, um die Dinge umzusetzen, die wir tun wollen. Wir könnten mehr Geld verdienen und weniger Stress haben, wenn wir das nicht täten. Aber uns sind diese Reibungen wichtig.
Wie überzeugt ihr die Bauherren von euren Ideen?
Ana Luisa Im Prozess: eine Entscheidung folgt auf die andere, ein Thema nach dem anderen. Wenn man Kunden mit zu vielem gleichzeitig konfrontiert, können sie damit nicht umgehen.
Filipe Viele Menschen wollen kein Risiko eingehen. Immobilienmakler in Porto zeigen dir 50 nahezu identische Häuser: Die gleiche Typologie, die gleiche Raumaufteilung, die gleiche Bauweise. Und sogar die wenigen Bauherren, die sich einen Architekten suchen, wollen am Ende, dass wir ihnen „ihre Vision“ dieses gleichen Hauses zeichnen. Unsere Aufgabe ist dann, ihre Eigenart herauszufinden und darauf aufbauend ein Haus zu entwickeln, das für sie nach diesem Haus ausschaut, aber doch etwas anderes ist.
Vor Kurzen haben wir ein Projekt abgeschlossen, bei dem die Bauherren sehr interessiert waren an diesem ganzen Prozess. Sie sind sehr glücklich eingezogen. Dann haben sie es ihren Familien gezeigt, und alle sind ausgerastet, im Sinne von: „Das meint ihr nicht ernst!“ Sie haben uns angerufen, besorgt, ob sie etwas falsch gemacht hätten. Wir haben sie beruhigt, ihnen erklärt, dass die Verwandten eben mit allem auf einmal konfrontiert waren, ihnen hingegen haben wir das Ganze in kleinen Dosen serviert. Es ist doch spannend, dass sie nun etwas mögen, dass sie niemals akzeptiert hätten, wären wir beim ersten Treffen damit um die Ecke gekommen. Sie sind vielleicht, abgesehen von uns, die einzigen Menschen, die es mögen.
Ihr habt mir Fotos von Francisco Ascensão gezeigt. Darauf ähneln eure Projekte denen eurer Vorbilder, zum Beispiel Kazuo Shinohara.
Filipe Wir sind verrückt nach japanischer Architektur, wie so viele. Diese Faszination ließ uns nach den Wurzeln unserer Referenzen suchen. Wir haben Shinohara gefunden, Kazunari Sakamoto, Toyo Ito, Itsuko Hasegawa. Sie sind dann viel wichtiger für uns geworden als die ersten Referenzen. Die Art, wie diese Architektengeneration einen eigenen Kosmos fotografischer Ausdrucksform kreiert hat, war wichtig für sie, weil ihnen klar war, dass die Gebäude nur für kurze Zeit existieren würden. Sie waren günstig gebaut und gewissermaßen irrelevant. Sie haben verstanden, dass ungeachtet der Größe ihrer Projekte über die fotografische Inszenierung sehr viele Menschen von ihnen Notiz nehmen konnten, die die Häuser nie besuchen würden. Für sie waren die Bilder und Artikel das eigentliche Projekt.
Ana Luisa Wir mögen diese Zeit der japanischen Architektur auch, weil damals Häuser nach zehn Jahren an Wert verloren und ersetzt wurden. Die Bauherren mussten folglich keine Lebensentscheidungen treffen, dadurch gab es diese besondere Möglichkeit für Experimente.
Filipe Unsere Gebäude sind keine repräsentativen öffentlichen Bauten, im Gegenteil: kleine Privataufträge. Unsere Projekte haben aber den architektonischen Anspruch von öffentlichen Bauten. Die Fotos müssen diese Lücke schließen.
Die Fotografie ist also sehr wichtig für eure Arbeit.
Filipe Wir haben eine schizophrene Beziehung zu unseren Projekten – zuerst sind sie uns sehr wichtig, oft viel mehr als den Bauherren. Dann manövrieren wir sie mit viel Energie durch den Bauprozess. Und schließlich sind sie fertig, wir schießen ein paar Fotos, wir gehen, und das war’s dann. Unsere Beziehung zu den Projekten – wohlgemerkt nicht zu den Gebäuden, sondern zu den Projekten – besteht dann nur noch in Form der Fotos. Die Fotos werden wichtiger als die Gebäude selbst. Sie frieren das Gebäude auf der Höhe seiner Ausdruckskraft ein. Es wird sich verändern. Meistens nicht zum Besseren. Die Fotos werden überdauern. Sogar wenn das Haus einmal abgerissen wird, verschwindet zwar der Baukörper, aber die Dokumentation, die Fiktion bleibt.
Eure Architektur versprüht Freude und Opti-mismus. Wovor wollt ihr die Welt mit Architektur retten?
Ana Luisa Es gibt das Bonmot: „Nach der Moderne hat sich die Welt auf Beige geeinigt.“ Weiß würde ich verstehen, das ist neutral, es betont die Form, verstärkt das Licht. Aber Beige wirft keinerlei Fragen auf, es ist einfach ein Ton, der sich irgendwie einfügt und zum Standard geworden ist. Wir rebellieren gegen diese standardisierte, langweilige Weltsicht. Die Leute zieren sich vor Entscheidungen. Sie wollen mit dem Finger schnipsen und ein Haus beziehen. Ein Projekt, das ist harte Arbeit.
Ihr würdet gerne eine Schule bauen, die Erwachsenen, sagt ihr, sind ohnehin schon verloren.
Ana Luisa Es ist sehr schwer, Erwachsenen etwas beizubringen. Mit jedem unserer Projekte vermitteln wir etwas an Einzelpersonen, aber wir erreichen nicht die Massen. Die Leute werden nicht so schnell verstehen, dass es ihr Leben bereichern kann, mal etwas anderes als eine Box zu bewohnen. Schulen sind Orte, die den architektonischen Standard definieren, an den sich Kinder gewöhnen. Wenn alle Klassenzimmer gleich aussehen – weiße Kisten sind, in denen es nichts zu entdecken gibt –, dann gewöhnen sie sich daran. Sie werden nie verstehen, wie gute Räume ihr Leben bereichern können. Wir kennen Menschen, die in „Architektenhäusern“ aufgewachsen sind, und deren Blick unterscheidet sich stark. Mit Schulen kann man das in der Breite erreichen. Wir wollen auch den 99 Prozent der Menschheit, die nicht in Architektenhäusern aufwachsen können, sagen: Ihr dürft mehr wollen. Ihr solltet mehr wollen!
Wenn ihr das so seht: Warum konzentriert ihr euch trotzdem oft eher auf die Rück- als die Straßenfassade? Dort könntet ihr viel mehr Menschen erreichen.
Ana Luisa Zum einen weil die Straßenfassade oft unter Denkmalschutz steht. Die Stadt möchte keine Veränderungen. Beim Projekt 048 war das zum Beispiel so. Und da gab es noch die Besonderheit, dass es überhaupt die erste Fassade war, die wir gebaut haben.
Filipe Es kam schon vor, dass uns jemand gefragt hat, wo das Haus steht, und es dann nicht gefunden hat. Das führt zurück zum Fotografie-Thema: Wir kreieren das Narrativ, dass die Gartenfassade die Hauptfassade ist. Und das überlagert die Wirklichkeit. Die Bilder werden stärker als das Gebäude. Vielleicht bauen wir irgendwann mal ein Museum oder eine Schule. Dann wird uns wichtig sein, wie die Menschen es wahrnehmen – weil jeder wird das Gebäude sehen können, es fühlen. Aber unsere derzeitigen Projekte halte ich für städtebaulich geradezu irrelevant. Solang sich das nicht ändert, und vielleicht wird es sich nie ändern – Shinohara hat 40 Jahre lang Häuser gebaut, nur ganz wenige öffentliche Gebäude – ist mir die Rückseite, wo wir selbst etwas erzählen können, wichtiger.
Verbindet euch das auch mit den „ugly ducks“, wie ihr sie nennt?
Ana Luisa Die Stadtverwaltung von Porto ist sehr darauf aus, besonders die alten Granit-Bauten zu „schützen“. Was aber zwischen den 1960er und 80er Jahren gebaut wurden – die ugly ducks –, mag keiner. Sie sind nicht alt genug und fühlen sich gleichzeitig nicht modern an. Damals waren sie eine ganz neue Typologie: Mehrgeschosser aus Stahlbeton auf schmalen Grundstücken. Jetzt werden sie umgebaut, sodass sie älter aussehen, Details werden entfernt, oder man reißt sie gleich ab. Dabei sind ihre Fassaden experimentell gestaltet, und zwar mit ganz gewöhnlichen Elementen wie Fenstern, Balkonen, Regenrohren. Diesen Detaillierungsgrad findet man bei kaum einem der heutigen Neubauten.
Filipe Unser Kulturkreis pflegt einen sehr seltsamen Umgang mit „Erbe“ aller Art. Es dominiert eine Idee des Konservierens zu jedem Preis. Das geht bis hin zum „Leben“ ganz allgemein. Was auch immer passiert, der Körper muss intakt bleiben, bis es gar nicht mehr geht. Im Extrem gesprochen wäre da zum Beispiel die Frage der Sterbehilfe. Übertragen auf die Architektur dieser Gebäude: Sie hatten ein gutes Leben. Sie standen für sich selbst und ihre Zeit. Jetzt, wo wir sie nicht mehr mögen, sollen sie ein schicker Abklatsch des 17. Jahrhunderts werden. Die ugly ducks gefallen uns auch, weil sie anonyme Handwerker gebaut haben und nicht irgendwelche Stararchitekten – und dabei besser sind, als das meiste, was Stararchitekten heute fabrizieren.
Da gibt es wieder eine Parallele nach Japan: Ihr habt in einer Art „ugly duck“ gewohnt: In Kisho Kurokawas Nakagin Capsule Tower in Tokio.
Ja, 30 Jahre lang hat man versucht, ihn unter Denkmalschutz zu stellen, aber das war unmöglich, eben weil er nicht alt wirkte. Er stand vielmehr für die Zukunft, war futuristisch. Als müsste unser „Erbe“ alt sein, damit es schützenswert ist. Schau- en wir also auf den Nakagin – der gerade jetzt abgerissen wird – und schauen wir auf die modernistischen Gebäude, die es in Porto auf die Liste geschafft haben – keins von ihnen dürfte heute gebaut werden. Nicht einmal in den Gebieten, wo wir bauen, in engen Straßen, nicht neben der Kathedrale. Warum sollte irgendjemanden interessieren, ob unser Haus rosa, gelb oder blau ist? Warum muss ich einem grauen Herren von der Stadt- verwaltung überhaupt rechtfertigen, dass dieses blau „zu stark“ ist, dass es nicht „harmonisch“ wirkt, dem „Gesamteindruck“ schadet? Was soll das denn heißen! Alle Häuser sind unterschiedlich in Portugal, erst recht in Porto, all die Fliesen.
Wie könnt ihr trotzdem immer wieder eurem Anspruch gerecht werden?
Ana Luisa Wir umgehen das ein bisschen, indem wir uns an Stellen austoben, wo es ihnen egal ist: eben auf der Rückseite zum Beispiel. „An der Gartenfassade wollt ihr Marmorstreifen anbringen? Okay, macht ruhig.“ Wir können damit leben, dann erzählen wir aber eben allen, dass die Gartenfassade die Hauptfassade ist, und dass die Straßenseite uns egal ist. Die Frage, wem etwas wichtig ist, und wem nicht, bedeutet uns viel.
Meint ihr das ernst, euch als „naives Architekturbüro“ zu bezeichnen?
Filipe Wir sind mehr als naiv. Ich würde sagen, dass wir mittlerweile eher zynisch sind. Und das will ich auch gar nicht verstecken. Anfangs hat „naiv“ uns sehr gut charakterisiert. Zwischen 2013 und 2017 hat sich unsere Identität stark geformt. Damals haben wir wirklich geglaubt, wenn wir nur kämpfen würden, könnten wir alles ändern: die Welt, die Marktlogik, die Prinzipien der Stadtverwaltung, die Begeisterungsfähigkeit der Bauherren. Aber die Welt ist, wie sie ist. Naivität setzt voraus, man verstünde nicht, was vor sich geht. Wir wollen nicht aufhören, die zu sein, die wir waren. Aber wir wissen, wer wir sein müssen: Ich denke, zynisch zu sein heißt, sehr gut zu verstehen, was um einen herum passiert. Stell dir vor, Don Quijote hätte gewusst, dass Windmühlen Windmühlen sind. Das ist, wer wir sind. Im alten Griechenland war Zynismus eine Tugend.
Außer Don Quijote bemüht ihr auch gern Peter Pan.
Filipe Viele Architekten haben sich verloren, als sie den Maßstab wechselten. In der Generation vor uns, die jetzt 45-50-Jährigen, gibt es einige Beispiele, die, als sie anfingen, große, öffentliche Aufträge zu bearbeiten, implodiert sind. Ich glaube, diese Architekten waren sich ziemlich bewusst, was ihnen geschieht. Vielleicht passiert es uns jetzt schon, oder es wird uns passieren. Wer weiß.
Der Hook-Film von Steven Spielberg berührt uns, weil er die unschuldigste aller Figuren, Pe-ter Pan, beim Erwachsenwerden zeigt. Das ist eine wunderschöne Metapher, und sie entspricht uns: Wir wollen erwachsen werden. Wir wollen uns ausprobieren. Und wenn wir dabei scheitern, dann scheitern wir in Bewegung. Wir wollen es probieren! Und wenn es nicht klappt, dann ist es auch nicht schlimm – dann bauen wir eben für alle Zeiten Häuser, suchen weiter verschiedene Antworten auf gleiche Fragen.
Außerdem haben wir die Lehre. Wenn wir die Welt nicht mit Gartenfassaden ändern können – und ich bezweifle, dass wir das können –, können wir immerhin jungen Menschen vermitteln, dass es andere Wege gibt, um Architektur zu machen. Wir können ihnen unsere Vorbilder zeigen – die sie selbstverständlich überhaupt nicht interessieren, weil es alte Herren sind, die nicht sehr aufregend scheinen – und ihnen zeigen, dass sie es eben doch sind.
Wir wollen auf keinen Fall unsere Freude an der Architektur verlieren. Die erste Sprache der Architektur ist oft ein bisschen dröge, langwei-lig, ernst, wenig ansprechend – Haftungsbestimmungen zum Beispiel: unsexy! Nur Probleme. Aber die zweite Sprache, das eine Prozent unserer Arbeit, ist wichtiger als der ganze Rest.
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