Bauwelt

Das Bekenntnis zur europäischen Stadt ist die Ebene, auf der man sich in Berlin immer getroffen hat

Eine Personalie, die wohl alle überrascht, ­viele verwundert, manche empört und am Jahresende zu mächtig Aufruhr in der Architektenschaft geführt hat: ­Petra Kahlfeldt ist neue Senatsbaudirektorin in Berlin. Ein Gespräch über ihr frisch angetretenes Amt, ihre Vorstellung davon, wie sich die Hauptstadt entwickeln kann und soll – und darüber, was genau sie unter der „europäischen Stadt“ versteht, die sie als ihr Leitbild bezeichnet

Text: Flagner, Beatrix, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin

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    Das Gespräch mit Petra Kahlfeldt fand Anfang Februar im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf statt, wo die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen derzeit Räume nutzt.
    Foto: Jasmin Schuller

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    Das Gespräch mit Petra Kahlfeldt fand Anfang Februar im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf statt, wo die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen derzeit Räume nutzt.

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    Seit Januar ist Petra Kahlfeldt Senatsbaudirektorin in Berlin.
    Foto: Jasmin Schuller

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    Seit Januar ist Petra Kahlfeldt Senatsbaudirektorin in Berlin.

    Foto: Jasmin Schuller

Das Bekenntnis zur europäischen Stadt ist die Ebene, auf der man sich in Berlin immer getroffen hat

Eine Personalie, die wohl alle überrascht, ­viele verwundert, manche empört und am Jahresende zu mächtig Aufruhr in der Architektenschaft geführt hat: ­Petra Kahlfeldt ist neue Senatsbaudirektorin in Berlin. Ein Gespräch über ihr frisch angetretenes Amt, ihre Vorstellung davon, wie sich die Hauptstadt entwickeln kann und soll – und darüber, was genau sie unter der „europäischen Stadt“ versteht, die sie als ihr Leitbild bezeichnet

Text: Flagner, Beatrix, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin

Frau Kahlfeldt, Ihre Berufung zur Senatsbaudirektorin hat zu heftigen Diskussionen geführt. Hat Sie das überrascht?
Dass heftig und leidenschaftlich gestritten wird, kennen wir in unserem Berufsstand. Architekten sind ausdauernd und beharrlich und scheuen keinen Konflikt. Doch Form und Inhalt fand ich nicht gut – das hat mich überrascht und auch negativ berührt. Denn es sind die eigenen Kolleginnen und Kollegen, mit denen man eine Lebenswelt teilt, die so heftig öffentlich agieren. Man fragt sich: Wie soll das beim nächsten Mal werden, wenn dieses Amt neu besetzt wird? Zieht jemand diese Position in Betracht, wenn man sich dafür solch massiven verbalen Angriffen stellen muss?
Kurz vor Ihrer Berufung erging ein Aufruf „Für eine offene und transparente Auswahl des neuen Senatsbaudirektors“ mit mehr als 500 Unterzeichnerinnen vor allem aus der Architektenschaft an die Co-Vorsitzenden der Berliner SPD. Können Sie hier etwas zur Transparenz beitragen?
Die ersten Gespräche habe ich mit der Regierenden Bürgermeisterin, Frau Giffey, geführt. Mit der Konkretisierung der Regierungsbildung sprach ich dann mit Senator Andreas Geisel über das, was man bespricht, bevor man eine neue Stelle antritt: Was sind meine Aufgaben? Wie sind die Rahmenbedingungen? Das fand Anfang Dezember statt. Die Berufung des Senatsbaudirektors bzw. der Senatsbaudirektorin durch den zuständigen Senator oder die Senatorin beruht auf einem Gesetz von 1996. Ein solches Verfahren, ein solches Gesetz, kann man selbstverständlich ändern, aber Gesetzesänderungen brauchen Zeit, die der neue Senat nicht hatte. Das Amt der Senatsbaudirektorin war vor meiner Berufung fast ein halbes Jahr lang unbesetzt.
In der Debatte, die Ihrer Ernennung folgte, konnte man den Eindruck bekommen, eine Senatsbaudirektorin sei in der Lage, sämtliche Probleme Berlins zu lösen. Wo liegen tatsächlich die Kompetenzen des Amtes?
Letztendlich bin ich Teil der Hausleitung und Verwaltung mit dem Auftrag, mich um die gesamtstädtische Entwicklung zu kümmern, Schwerpunkte und Akzente zu setzen, zu steuern und zu moderieren – rechtliche Planungsgrundlagen zu schaffen, Bauleitplanung- und Vergaberecht oder Datenerhebungen voranzubringen, alles Grundlagen, die eine Stadt braucht, um sich weiterzuentwickeln. Zusätzlich kümmert sich die Senatsbaudirektorin um einzelne Projekte, die eine gesamtstädtische Bedeutung haben. Große Entwicklungsgebiete sind in der Hand der Senatsverwaltung, aber auch Teilbereiche wie die City-West, Checkpoint Charlie, Hermannplatz und die Historische Mitte von Berlin. Wenn man es wörtlich nimmt, ist meine Aufgabe Politiktransformation – das umzusetzen, was sich die rot-grün-rote Koalition in ihrem Regierungsauftrag für die Stadtgestaltung vorgenommen hat.
In verschiedenen Interviews haben Sie, nach Ihrem Leitbild für Berlin gefragt, die „europäische Stadt“ genannt. Der Begriff wird oft so verwendet, als sei klar, was damit gemeint ist. Je nachdem, wen man fragt oder wo in Europa man fragt, hört man aber durchaus unterschiedliche Definitionen. Was genau definiert für Sie die „europäische Stadt“?
Es gibt ein schönes Zitat von Fritz Neumeyer: „Stadt heißt, in den Dialog treten und sich mit Blick auf die Geschichte und Gegenwart auf einen zukünftigen Raum des Gemeinsamen verständigen.“ Das, finde ich, gilt im Besonderen für die europäische Stadt. Man hat sich lange gefragt: Ist die europäische Stadt ein Auslaufmodell, oder ist das etwas, das Entwicklungspotenzial hat? Gerade auch für Berlin. Stadtentwicklung ist ja etwas ungeheuer Langfristiges: Was also ist das Kontinuierliche in den vergangenen Jahrzehnten gewesen, die Ebene, auf der man sich wirklich immer getroffen hat? Es ist das Bekenntnis zur europäischen Stadt. Das wird bis heute entweder präzise benannt oder es schwingt mit in der Frage, was Berlin sein sollte.
Auf welche Weise konkretisiert sich diese Vorstellung im Stadtbild?
Die europäische Stadt manifestiert sich in einer kompakten Form, in verdichteten Wohnquartieren, baulich gefassten öffentlichen Räumen. Eine gute Funktionsmischung von Wohnen, Arbeiten und Kultur, sozialen Einrichtungen, was wir als „Berliner Mischung“ bezeichnen und wo wir uns, wenn wir das in anderen Städten antreffen, unmittelbar heimisch fühlen, in einer lebendigen Parzellierung und individueller Gestaltung der Häuser. Wichtig sind lebendige Quartiere und Zentren, in denen Teilhabe und Gemeinschaft stattfindet. Ein wesentliches Merkmal der europäischen Stadt ist für mich das selbstverständliche Nebeneinander von Gebäuden und öffentlichen Räumen aus verschiedenen Jahrzehnten, verschiedenen Jahrhunderten. „Im Raum lesen wir die Zeit“, sagt Karl Schlögel. Damit einher geht auch ein hoher Stellenwert von Stadtbild- und Denkmalpflege.
Viele der 200.000 neuen Wohnungen, die in den nächsten zehn Jahren in Berlin entstehen sollen, werden am Rand der Stadt gebaut. Wie erreicht man die Mischung, von der Sie gerade sprachen, in neuen Quartieren, in denen es diese verschiedenen Zeitschichten noch nicht gibt?
Auch gänzlich neuen Stadtquartieren kann es gelingen, als Teil der europäischen Stadt wahrgenommen zu werden, wenn dort tatsächlich Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Schulen und zum Beispiel ein neues Rathaus zusammenkommen. Die neue Stadt Scharnhauser Park, als Teil Ostfilderns bei Stuttgart, wo ich seit 1995 Mitglied im Gestaltungsbeirat bin, ist so ein Beispiel. Grundsätzlich aber ist es unfair, neue Stadtquartiere mit älteren zu vergleichen. Es gibt dort noch keine nicht programmierten Ecken. Alles ist effizient vermietet – so, dass sich auch die Investitionskosten zeigen. Wenn sich das nach zwanzig, dreißig Jahren in ökonomischer Sicht entspannt, kann man die Grundidee der europäischen Stadt auch dort wieder stärker ablesen.
Der Berliner „Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030“ ist in der Formulierung des Leitbilds sehr deutlich: Die Entwicklung der Stadtquartiere folgt dem Leitbild der europäischen Stadt. Egal, ob es die Knorr-Bremse in Marzahn oder der Molkenmarkt ist – das sind urbane Quartiere, die sich in der Grammatik dieser Sprache gleichen Bedingungen unterwerfen. Am Molkenmarkt mit dem Roten Rathaus gegenüber versteht man das sofort. Gleiches gilt aber ebenso für die neuen Quartiere. Der Stadtentwicklungsplan Wohnen legt sich zudem auf das Prinzip „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ fest. Für mich ist das ein wichtiger Denkansatz: Die Stadt dort entwickeln, wo sie schon ist, und dort, wo deutliche Bedarfslücken gesehen werden, ist eine behutsame Außenentwicklung möglich.
Innenentwicklung vor Außenentwicklung bedeutet: Verdichtung.
Die Berliner Infrastruktur ist adäquat als großer Stadtkörper konzeptioniert und so auch unterhalten worden. Diese Infrastruktur verträgt weitere Nachverdichtung. Boden ist eine Ressource, die nicht vermehrbar ist, das macht sie so kostbar, das nutzen manche Investoren aus, ganz klar. Mit Veränderungen im Planungs- und Baurecht, etwa mit der Möglichkeit, „urbane Gebiete“ auszuweisen, kommen wir zu Lösungen, die diese knappe Ressource besser nutzen.
Ein potenzielles Stadterweiterungsgebiet liegt infolge des Volksentscheids 2014 seit Jahren brach: das Tempelhofer Feld. Wie stehen Sie zu einer möglichen Randbebauung?
Ich könnte mich elegant aus der Affäre ziehen und aus dem Koalitionsvertrag zitieren, welcher eine Randbebauung für diese Legislaturperiode nicht vorsieht, weil die Interessenslagen offensichtlich zu unterschiedlich sind. Es hat eine Berechtigung, Dinge liegenzulassen, wenn man nicht zusammenkommt. Ich persönlich hätte mir eine Randbebauung gut vorstellen können. Auch so, wie sie geplant war, mit Wohnen und Gewerbe, welches sich aus den Quartieren heraus wohl überlegt entwickelt und mit einer großen gemeinwohlorientierten Nutzung in Form einer Bibliothek oder dergleichen. Aber ich respektiere den im Koalitionsvertrag vereinbarten Umgang mit dem Volksentscheid. Auch wenn damals, als man abgestimmt hat, vielleicht gar nicht so sehr die Bebauung des Tempelhofer Feldes gemeint war, sondern auf dem Rücken des Tempelhofer Feldes andere Diskussionen ausgetragen wurden.
Die Sanierung des ICC war in der letzten Legislaturperiode bereits beschlossene Sache, wurde dann verschoben und taucht nun im Koalitionsvertrag nicht mehr auf. Welche Zukunft sehen Sie für das ICC?
Das ICC liegt dieser Stadtgesellschaft wirklich auf der Seele. Das Gebäude hat eine enorme ikonografische Kraft. Es stammt aus einer Zeit wahnsinniger Maßstabsideen. In Berlin haben wir nicht so viele derartige Bauten, vielleicht noch die Schlangenbader Straße. Vermutlich war der Bau des ICC nur in diesem sehr kurzen historischen Abschnitt möglich. Vor rund sieben Jahren habe ich mich im Rahmen einer Studie intensiv mit dem ICC beschäftigt. Mein fachlicher Schwerpunkt ist ja die bauliche Transformation. Als Architektin steht man in dem Gebäude und denkt: Wahnsinn! Vor dieser Planungstiefe muss man den Hut ziehen. Es tut einem in der Seele weh, wenn das ICC so lange leer steht. Das Haus wird davon nicht besser. Hinzu kommt: Wenn in einem Gebäude die genehmigte Nutzung über längere Zeit nicht mehr ausgeführt wird, verliert es den Bestandsschutz. Es wird nicht einfacher, je länger wir warten.
Wie geht es nun mit dem ICC weiter? Gute Frage. Die Messe will es nicht haben, leider, da wäre es gut aufgehoben. Denn eigentlich bleibt ein Gebäude am besten bei seiner Nutzung, dann muss es nicht so stark überformt werden. Eine ausstrahlende öffentliche Nutzung wäre ideal. Es gab schon viele Projekte dafür, einige waren richtig gut. Der für das ICC zuständige Wirtschaftssenator Schwarz ließ ja gerade öffentlich wissen, dass das ICC ein Aushängeschild für Berlin werden könnte. Man erinnert sich an andere große Bauvorhaben in dieser Stadt, wo plötzlich jemand eine zündende Idee hatte, Dinge miteinander zu kombinieren.
Im Koalitionsvertrag ist die Ausrichtung einer Bauausstellung vereinbart. Das fällt klassischerweise in Ihre Zuständigkeit. Was für eine Art von Bauausstellung stellen Sie sich 2026 für Berlin vor?
Die letzte IBA war 2010 geplant und sollte in Tempelhof die Themen Ökologie und Wohnen vertiefen. Als sie dann dort nicht stattfand, entstand eine inflationäre Vorschlagsliste mit Ideen, was eine IBA in Berlin sonst zum Inhalt haben könnte. Ich muss sagen: Ich bin noch nicht so weit. Ich kann nur das Signal geben: Wohnen und Nachhaltigkeit im Sinne eines Stadtumbaus sind als Themen, als Aufgaben immer noch aktuell. Und es ist eine gute Idee, die Bauausstellung zusammen mit Brandenburg zu veranstalten. Einer meiner Interessenschwerpunkte ist die gemeinsame Landesplanung. Von den zwölf Berliner Bezirken grenzen neun an Brandenburg an, die Landesgrenzen dürfen uns nicht davon abhalten, diesen Raum gemeinsam zu denken, das ist für beide Seiten von großer Bedeutung.
Im Mai werden Sie turnusgemäß das Baukollegium neu besetzen, das Ihre Vorgängerin Regula Lüscher etabliert hat. Wie findet das Auswahlverfahren statt?
Wir haben hier im Hause angefangen, Vorschlagslisten zu erarbeiten. In solchen Gremien sind unterschiedliche Schwerpunkte und Fachexpertisen gefragt: Landschaftsarchitektur, Stadtentwicklung im großmaßstäblichen Zusammenhang, der Blick über den Tellerrand mit internationaler Perspektive, Wohnungsbau, Konstruktion und Nachhaltigkeit, etc. Es ist vereinbart, dass wir mit dem scheidenden und dem neuen Baukollegium bei der Sitzung im Mai eine fundierte Evaluierung durchführen: Was ist gut gelaufen, was ist schlecht gelaufen? Vor allem bei der Prozessgestaltung. Kamen die Projekte zum richtigen Zeitpunkt in die Beratungen?
Neben dem Wohnungsneubau sind Sie auch für Berlins wesentliche große Bauprojekte dieses Jahrzehnts verantwortlich: Neubau und Sanierung der Komischen Oper, Bau eines Hochschulcampus im Terminal A des ehemaligen Flughafens Tegel, eine neue Zentral- und Landesbibliothek. Was ist Ihr Anspruch an die Architektur dieser Stadt?
Die Stadt ist einem permanenten Bauprozess unterworfen, das zeigen die Projekte allesamt, die Sie aufgezählt haben. Diesem Prozess verdankt die Stadt als ein generationenübergreifendes Miteinander von Häusern und Räumen ihre bauliche Komplexität, architektonische Attraktivität und letztendlich Sprachfähigkeit und Identität. Dazu will ich meinen qualitätsvollen Beitrag leisten, durch klein- und großmaßstäbliche Ergänzungen, die sich auf eine selbstverständliche, zeitgenössische Art mit den bestehenden Schichten und Geschichten der Stadt verbinden.
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Petra Kahlfeldt ist seit Januar 2022 Senatsbaudirektorin in Berlin. Sie studierte Architektur in Berlin und Florenz, 1987 bis 2021 war sie in Bürogemeinschaft mit Paul Kahlfeldt selbständig tätig. Sie ist Kuratoriumsmitglied des Architekten- und Ingenieurvereins (AIV) zu Berlin und war bzw. ist Mitglied diverser Gestaltungsbeiräte und Kommissionen wie „Bau des Berliner Humboldtforums Berliner Schloss“, „Wiederaufbau der Altstadt Dom Römer in Frankfurt am Main“ oder „Potsdamer Mitte am Alten Markt“.

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