Wer das Land besitzt, entscheidet, was damit passiert
Das Schweizer Baubüro in situ ist bekannt für seine Umnutzungsprojekte. Oft arbeitet es mit Stiftungen und gemeinwohlorientierten Investoren zusammen. Auch unter diesen Privaten erfahre die Weiterverwendung von Material und Bestand inzwischen eine höhere Wertschätzung, berichtet Architekt und Bürogründer Eric Honegger.
Text: Adam, Hubertus, Zürich
Wer das Land besitzt, entscheidet, was damit passiert
Das Schweizer Baubüro in situ ist bekannt für seine Umnutzungsprojekte. Oft arbeitet es mit Stiftungen und gemeinwohlorientierten Investoren zusammen. Auch unter diesen Privaten erfahre die Weiterverwendung von Material und Bestand inzwischen eine höhere Wertschätzung, berichtet Architekt und Bürogründer Eric Honegger.
Text: Adam, Hubertus, Zürich
1998 wurden Barbara Buser und Sie bekannt mit dem Umbau eines Bankgebäudes in Basel zu einem Kulturzentrum, dem „Unternehmen Mitte“. Heute ist die baubüro mitte GmbH zur in situ AG angewachsen. Wie ist diese Gesellschaft aufgebaut?
Wir sind ein Verbund von verschiedenen Unternehmen. Angefangen hat es mit dem baubüro, das sich auf das Bauen im Bestand konzentriert. Barbara und ich waren zuvor in der humanitä-ren Hilfe in Afrika tätig gewesen. Das war und ist ein prägender Einfluss. Baumaterialien in der Schweiz sind von so hoher Qualität, dass man sie wiederverwenden sollte. Was hier im Abfall landet, ist besser als das, was man beispielsweise in Ruanda neu kauft. Ressourcen zu entsorgen ist also ökonomisch unsinnig – ökologisch sowieso. Barbara hat schon 1995 den Verein Bauteilbörse gegründet. Es folgten die Firmengründungen der denkstatt sàrl für Projektentwicklung, der Zirkular GmbH, eines Fachplanungsbüros für die Wiederverwendung von Materialien und Bauteilen, und die „unterdessen GmbH“ für Zwischennutzungen. Weil Verfall, Vandalismus und auch Besetzungen verhindert werden und zumindest auch gewisse Nebenkosten eingespielt werden, ist Zwischennutzung für Eigentümer günstiger, auch wenn das zunächst nicht so erscheinen mag. Neben diesen vier Familienfirmen gibt es ganz viele Projektfirmen, in denen wir die Menschen einbinden, welche sich für das jeweilige Projekt stark gemacht haben.
Wie arbeiten diese Firmen?
Klassisch ökonomisch: Wir gründen Firmen, übernehmen Risiko, alle Projekte müssen daher nachhaltig und wirtschaftlich funktionieren, wie in jedem Architekturbüro. Der Gewinn wird bei uns aber nicht abgeschöpft und privatisiert, sondern fließt wieder in die Firma. Barbara und ich sind in drei Firmen Mitinhaber, die anderen Anteile sind an andere Mitarbeiter verteilt. Jede Firma hat die klassischen Steuerungsgremien, sind aber personell unabhängig.
Was hat sich seit 1998 hinsichtlich Ihrer Auftraggeber und Projektpartner verändert?
Vor 25 Jahren waren wir Exoten und haben unsere Aufträge selbst kreiert oder akquiriert. Heute finden wir externe Partner. Zentral ist immer die Sicherung der Grundstücke: Wer das Land besitzt, entscheidet, was damit passiert. Es geht also darum, das mit Partnerorganisationen zu erwerben und Investoren zu finden. Einer unserer Partner ist beispielsweise die Stiftung Edith Maryon, bei welcher der Aspekt der sozialverträglichen Arbeitsplätze und Wohnsituationen im Vordergrund steht. Oder auch die Stiftung Abendrot, der es neben dem Anlegen des Pensionskassengeldes um die Gedanken von Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit geht.
Die Stiftung Edith Maryon spielte auch eine entscheidende Rolle bei der Markthalle Basel. Der Kanton Basel-Stadt verkaufte die Markthalle nach einem Investorenwettbewerb 2006 an die Generalunternehmung Allreal.
Wir haben an diesem Wettbewerb teilgenommen. Doch die Allreal bot mehr, und die Stadt wollte auf die sechs oder sieben Millionen nicht verzichten, obwohl sie unser Projekt für das bessere hielt.
Allreal hat die Markthalle 2011, noch vor der Fertigstellung des Umbaus, an eine Anlagestiftung der Crédit Suisse (CS) verkauft. Mit der geplanten Nutzung, einem hochpreisigen Einkaufszentrum, fuhr das Projekt aber an die Wand. Wodurch kamen Sie wieder ins Spiel?
Die CS kam zu uns, weil das Konzept des Einkaufszentrums nicht funktionierte. Ein Wettbewerb unter drei Teams wurde durchgeführt. Wir gewannen und erhielten einen Mietvertrag für vier Jahre, mussten also ins Risiko gehen. Damit zeigten wir aber auch, dass wir selbst an unser Konzept glaubten: ein Überzeugungsargument. Wir haben in kleinen Schritten gestartet, ebenfalls eines unserer Prinzipien. Wenn man viele kleine Schritte macht, kann man viele kleine Fehler machen, aber keinen großen wie die CS zuvor. Und man ist flexibler, kann auf Veränderungen zeitnah reagieren.
Das Konzept, die Markthalle wieder zur Markhalle zu machen und überdies zu einem Ort für Kultur und lokale Produktion, wurde zum Erfolg. Es hat so gut funktioniert, dass wir den Mietvertrag verlängern wollten. Aber die CS forderte eine extrem erhöhte Miete. Daher gab es für uns nur eine Option: die Markthalle kaufen. Das ermöglichte die Stiftung Edith Maryon, die die Markthalle 2016 erwarb und damit die derzeitige Nutzung langfristig sicherte.
Sie sind maßgeblich im Projekt Werkstadt involviert, einer Umnutzung der früheren SBB-Hauptwerkstätten in Zürich-Altstetten. Gemeinhin sind die SBB auf Anweisung des Bundesrats verpflichtet, ihre Immobilien maximal renditeorientiert zu verwerten – siehe Europaallee Zürich. Warum läuft es hier anders?
Sie sind maßgeblich im Projekt Werkstadt involviert, einer Umnutzung der früheren SBB-Hauptwerkstätten in Zürich-Altstetten. Gemeinhin sind die SBB auf Anweisung des Bundesrats verpflichtet, ihre Immobilien maximal renditeorientiert zu verwerten – siehe Europaallee Zürich. Warum läuft es hier anders?
Entscheidend war der Zonenplan der Stadt Zürich, der unter dem Stichwort einer „produktiven Stadt“ Gewerbe an diesem Ort vorsieht, keine Wohnungen. Zudem sind die Gebäude denkmalgeschützt. Aber die SBB wussten nicht recht, wie eine „produktive Stadt“ umgesetzt werden soll. Zusammen mit Kees Christiaanse hat denkstatt sàrl Workshops durchgeführt und das Konzept entwickelt, hier Produktionen von und für Menschen in Zürich zu etablieren. Was vor Ort entsteht, verlässt die Stadt nicht. Dann sind wir mit dem Baubüro in situ gekommen. In den ersten Etappen ging es darum, den Bestand umzunutzen. Auch hier: kleine Schritte. Wir haben angefangen mit Pionier-Mietparteien, um das Areal im Bewusstsein der Zürcher Öffentlichkeit zu positionieren. Es handelt sich also nicht um eine klassische lineare Planung, gleichzeitig aber um ein normales SBB-Projekt, mit den üblichen Verträgen und im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens.
Sie arbeiten oft mit sozial ausgerichteten Auftraggebern oder Stiftungen. Wenn ich aktuell mit Vertretern und Vertreterinnen der Immobilienbranche rede, habe ich das Gefühl, dass einiges in Bewegung ist.
Das sehen wir auch so. Seit zwei oder drei Jahren realisieren Investoren verstärkt, dass sich etwas ändern muss. Sie machen es vielleicht nicht aus ökologischen Gründen, aber aus ökonomischen. Wir haben gerade von Holcim den Global Sustainability Award in Gold erhalten. Auch Holcim hat verstanden, dass sie nicht einfach nur möglichst viel Beton verkaufen können. Daher unterstützen sie beispielsweise die Forschung von Philipp Block an der ETH darüber, wie man mit 75 Prozent weniger Beton schlanke, gewölbte Decken bauen kann. Dieses Umdenken findet aktuell statt – viele merken, dass es sie in zehn Jahren nicht mehr gibt, wenn sie kein neues Geschäftsmodell erfinden.
Wie zeigt sich der Wandel bei Ihren Projekten?
Bei unseren Projekten bewegen wir uns zwischen Geldgebern, die über Subventionen und soziales Kapital finanziert werden, und anderen, bei denen es primär um Gewinn und Rendite geht. Wir bieten Mehrwerte: belebte Orte, nachhaltige Gebäude. Manche Investoren kommen zu uns, weil sie einfach nicht mehr weiterwissen – so wie bei der Markthalle Basel. Inzwischen bekommen wir auch mehr Anfragen von klassischen Anlegern, die uns zum Beispiel mit Machbarkeitsstudien beauftragen. Bislang hat das aber noch nicht zu einem Bauprojekt geführt.
Weil das vom Bedarf entkoppelte Anlagemodell immer noch zu lukrativ ist?
Genau. Je größer der Druck ist, Geld in Immobilien anzulegen, desto risikobereiter ist man. Ein Problem besteht auch darin, dass standardisierte Produkte an unterschiedlichen Standorten realisiert werden. Man muss viel situativer denken, auch langfristiger. Und wie gesagt: in kleinen Schritten. Derzeit bewegt sich viel, auch auf der Seite der Investoren. Sie reagieren zwar noch etwas verhalten, aber ich bin mir sicher, dass sich das in der nahen Zukunft ändern wird.
In Winterthur haben Sie für die Umnutzung des Sulzer-Areals, den „Lagerplatz“, einen Investor in der Stiftung Abendrot gefunden. Diese hat den Boden gesichert und auf einen neuen Gestaltungsplan hingewirkt. Im Juni wurde Ihr dortiges Bauprojekt vollendet: eine Aufstockung aus 70 Prozent recycelten Materialien.
Es handelt sich um ein Pilotprojekt, ein Experiment. Eine Bedingung bestand darin, dass es nicht mehr kosten durfte als ein konventioneller Neubau; eine andere darin, dass es wissenschaftlich begleitet wird, durch die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Das Resultat ist das gemeinsame Buch „Bauteile wiederverwenden“.
Wie plant man einen Bau mit wiederverwendeten Materialien?
Wie einen Umbau, nur dass die Bauteile nicht einfach im Katalog bestellt werden können, sondern vor Ort oder in der Umgebung gefunden werden müssen. Zuerst gilt es, in einem Vorentwurf zu klären, was gesucht wird. Erst wenn man die wichtigsten Bauteile gefunden hat, kann der Entwurf konkretisiert werden. Die Bauteile muss man sichern, demontieren, einlagern – die Bauteilsuche und -sicherung verbraucht etwa zehn Prozent der Baukosten. Die Suche nach Bauteilen erfolgt in der Reihenfolge, wie man sie einbaut: zuerst die großen Teile wie Tragstruktur, Dach und Fassade, dann der Innenausbau, dann die Sanitärausstattung.
In Winterthur kamen neben den wiederverwendeten Materialien nachhaltige Materialien zum Einsatz: Holz, Stroh und Lehm. Wo es unumgänglich war, für die Gewährleistung der Erdbebensicherheit und die Mikropfähle der Fundamente, wurde recycelter Beton verwendet. Auf die Weise haben wir 70 Prozent Wiederverwendung erreicht, ohne dass die Kosten die eines klassischen Neubaus überstiegen. Bereits sechs Monate vor Fertigstellung waren die Räume vermietet – obwohl es sich um Büros zu marktüblichen Mieten handelt –, und die Leute haben sich schnell wohlgefühlt. Ich glaube, dass man sich einen Raum, der Nutzungsspuren aufzeigt, besser aneignen kann. Der Lagerplatz ist zu einem lebendigen Ort geworden. Und für die Stiftung Abendrot zu einem Leuchtturmprojekt.
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