Bauwelt

Verzicht auf Komfort ist unausweichlich

Wir sprachen mit Daniel Abraha vom Zürcher Atelier Abraha Achermann über die Dringlichkeit und die Machbarkeit kleine Wohnungen mit räumlicher Qualität auszustatten. Die Aufgabe, erklärt der Architekt, berge ungeahnte Freiheiten. Diverse Projekte des Büros schöpfen sie aus, etwa die Wohnanlage Erlenmatt in Basel, wo vor zwei Jahren die ersten Bewohner einzogen.

Text: Landes, Josepha, Berlin

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    Daniel Abraha gründete 2010 mit Stephan Achermann in Zürich Atelier Abraha Achermann. Von 2015 bis 2017 unterrichteten beide Büro-Partner Entwurf und Konstruktion an der Hochschule Luzern.
    Foto: Rasmus Norlander

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    Daniel Abraha gründete 2010 mit Stephan Achermann in Zürich Atelier Abraha Achermann. Von 2015 bis 2017 unterrichteten beide Büro-Partner Entwurf und Konstruktion an der Hochschule Luzern.

    Foto: Rasmus Norlander

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    Die Idee der Architekten sieht sich verwirklicht: In den Wohnungen von "Erlenmatt" haben Treppen, Schachtverkleidungen und Leitungen Verwendung als Alltagshelfer gefunden
    Foto: Abraha Achermann

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    Die Idee der Architekten sieht sich verwirklicht: In den Wohnungen von "Erlenmatt" haben Treppen, Schachtverkleidungen und Leitungen Verwendung als Alltagshelfer gefunden

    Foto: Abraha Achermann

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    Alle Wohnungen in "Erlenmatt" sind mehrgeschossig angelegt. Raumgliederungen entstehen hauptsächlich durch die Geschossdecken.
    Foto: Rasmus Norlander

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    Alle Wohnungen in "Erlenmatt" sind mehrgeschossig angelegt. Raumgliederungen entstehen hauptsächlich durch die Geschossdecken.

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Verzicht auf Komfort ist unausweichlich

Wir sprachen mit Daniel Abraha vom Zürcher Atelier Abraha Achermann über die Dringlichkeit und die Machbarkeit kleine Wohnungen mit räumlicher Qualität auszustatten. Die Aufgabe, erklärt der Architekt, berge ungeahnte Freiheiten. Diverse Projekte des Büros schöpfen sie aus, etwa die Wohnanlage Erlenmatt in Basel, wo vor zwei Jahren die ersten Bewohner einzogen.

Text: Landes, Josepha, Berlin

Woran denken Sie bei „kleine Wohnungen“?
Konsens sind wohl Wohnungen mit wenigen oder kleinen Räumen, Kleinhaushalte, Zweizimmerwohnungen.
Wohnungen aus Ihrer Hand sind teils fast gleich groß, obwohl sie für zwei oder für fünf Leute gedacht sind. Erweitern wir den Begriff der Kleinwohnung um den Aspekt „Effizienz“.
Im Wohnungsbau geht es immer um einen möglichst haushälterischen Umgang mit Flächen. Die Frage ist tatsächlich zu erweitern von „wenig Zimmer“ auf Wohnung mit einer möglichst kleinen Fläche. Und das ist auch die Herausforderung – große Wohnungen sind oft einfacher zu entwerfen als kleine. Sie alle sollen ja auch eine gewisse Anpassbarkeit leisten über die Zeit, unterschiedliche Belegungsmodelle befriedigen.
Was ist Wohnkomfort?
Nicht unbedingt viel Fläche. Es gibt große Wohnungen, die schlecht funktionieren, wenig Komfort bieten, und sehr komfortable kleine Wohnungen. Wohnkomfort hat etwas mit Aneigenbarkeit zu tun. Es ist schön, wenn eine Wohnung offen lässt, wo gewohnt und wo gegessen wird. Eine Wohnung, in der nicht jedes Lebensereignis sofort dazu führt, die Wohnsituation zu hin­terfragen und sich eine neue zu suchen, bietet Wohnkomfort. Der andere zentrale Aspekt ist die räumlich-architektonische Qualität; Raumfolgen, Sichtbezüge im Innenraum, Sichtbezüge zum Außenraum, Licht, Weite. Solche Qualitäten sind langfristig bedeutender als etwa ein möglichst wertvolles und teures Materialkonzept.
Wie sehen das Ihre Auftraggeber?
Im kostengünstigen und im gemeinnützigen Wohnungsbau sind das zentrale Anforderungen. In der Schweiz ist das Niveau im Wohnungsbau sehr hoch, die Sensibilität, sowie die Anforderungen auf der Seite der Auftraggeber ebenfalls. Man will hochwertige, innovative, nachhaltige, bedürfnisorientierte, effiziente und kostengünstige Wohnungen – die Anforderungen sind mitunter widersprüchlich. Projekte mit starken räumlich-typologischen Konzepten schaffen die Freiheit, auf Unwesentliches zu verzichten, und zugleich architektonische Qualität zu bewahren.
Welcher Unterschied besteht im Bauen für Genossenschaften, die Stadt oder Investoren?
In der Schweiz und speziell in Zürich sind Wohnbaugenossenschaften ein großer Akteur. Es gibt sehr viele Nachverdichtungen und Ersatzneubauten. Auch die öffentliche Hand baut viel, die Nachfrage nach gemeinnützigem Wohnungsbau ist sehr groß. Beide haben ähnliche Anforde­rungen. Mit privaten Investoren haben wir weniger Erfahrung, aber mit Stiftungen. Die Stiftung Abendrot zum Beispiel ist die Auftraggeberin unseres Projekts „Erlenmatt“. Da ließen sich Konventionen aufbrechen: Kleine Wohnungen sind durch gemeinschaftliche Nutzungen bereichert. So wird nicht prinzipiell verzichtet, sondern geteilt – das Gemeinschaftliche ist zentraler Bestandteil dieser Wohnvorstellung. Das Projekt ist wesentlich aus dem Schnitt gedacht, die Räume sind gestapelt. Es gibt keine Zimmerwände, die private Zone liegt über der Wohnzone. Diese offene Wohnform lässt sehr viel zu für die Mieter.
Was halten Sie von Cluster-Wohnen?
Ein durchaus zeitgenössischer Ansatz, die wirklich privaten Teile des Wohnens zu minimieren und dafür einen gemeinschaftlichen Wohnteil einzuführen. Es erfordert die Bereitschaft, eine Qualität darin zu erkennen, das Wohnen nicht als anonyme Rückzugssituation zu verstehen sondern als etwas Gemeinschaftliches. Gerade bei Einzelhaushalten oder älteren Personen halten wir dies für eine sehr zukunftsfähige Wohnform.
Wie dreidimensional denken Sie Ihre Entwürfe?
Wir finden es wesentlich, gerade bei kleinen Wohnungen, das Wohnen nicht nur im Grundriss, sondern aus dem Raum heraus, mit dem Schnitt zu denken. Schnittlösungen bergen für sie großen räumlich-architektonischen Mehrwert. Allerdings gibt es eine Menge Regeln und Normen, die einem – völlig zu Recht – ein Korsett anlegen. Etwa die SIA 500, die sicherstellt, dass behindertengerecht gebaut wird. Sie impliziert letztendlich Geschosswohnungen in einer Fläche. Dabei enthält sie eben auch Passagen, die etwas mit Anpassbarkeit zu tun haben, und die zulassen, dass man Wohnungen im Schnitt plant. Man muss die Spielräume finden und das Gespräch mit den Behörden suchen.
Der Laubengang erfährt derzeit ein Revival, obwohl er jahrelang als No-Go galt. In Erlenmatt nutzen Sie ihn für Erschließung und Begegnung. Wie funktiniert das Element?
Qualität und Nutzbarkeit der Laube haben damit zu tun, wie man sie flankiert. Eine Herausforderung ist, dass es Fluchtwege sind. Es ist nicht ohne weiteres möglich, möblierte Außenräume der Wohnungen dranzusetzen. Die andere sind die Einsichten und die Privatsphäre. Bei Erlenmatt sind wir dem Problem begegnet, indem die Wohnungen, und damit auch die Lauben, zweigeschossig sind. Der private Teil liegt im oberen Geschoss, von der Laube nicht einsehbar. Es schließen nur Küche und Entree an – Räume, die Reibung und Nachbarschaft zulassen. Außerdem gehen die Balkone Sichtbeziehungen zur Laube ein. Auch das hilft, um sie als Bühne für die Nachbarschaft zu sehen und nicht als toten Erschließungskorridor.
Viele Ihrer Zeichnungen leben von liebevollen Detaillierungen. Welche Grundlage ziehen Sie für diese projizierten Leben heran?
Wir schauen uns natürlich im Alltag Wohnungen an, aber auch architekturhistorische Beispiele oder aktuelle Projekte anderer Architekten. Normalerweise reisen wir außerdem viel. In anderen Ländern findet man spannende Formen des Zusammenlebens. Letztlich versuchen wir, Wohnungen zu entwerfen, in denen wir selbst gern leben würden. Dazu kommen persönliche Erfahrungen und Referenzen. Das ist das Schöne beim Entwerfen im Wohnungsbau: Es ist kein abstraktes Programm, mit dem du dich auseinandersetzt, wie eine Schule oder Bibliothek – man ist eben nicht jeden Tag in einer Bibliothek, vermutlich. Beim Wohnen ist es anders: Wir wohnen jeden Tag, den wir auf der Welt sind.
Wurde in der Pandemie die Dringlichkeit guter Kleinwohnungen deutlicher?
Das Thema der Kleinwohnung ist so oder so total im Zeitgeist. Es geht auch um Energie – in der Klimakrise müssen wir uns mit kleinen Wohnungen arrangieren. In anderen Kulturen geht es durchaus mit weniger Fläche. In Addis Abeba habe ich sechs-, siebenköpfige Familien auf fünfzig Quadratmetern gesehen. Klar, dann sind wir bei der Frage von Komfort. Aber ich glaube, Verzicht auf einen gewissen Komfort ist in unserer pri­vilegierten westlichen Welt unausweichlich. Wir müssen mit weniger Fläche auskommen. Das bedeutet auch, dass diese Flächen mehr leisten müssen, damit sie unserer Lebensvorstellung weiterhin entsprechen. Für mich ist das fast der bedeutendste Anspruch an eine Kleinwohnung: Sie muss dermaßen gut sein, dass sich kein Gefühl des Verzichten-Müssens einstellt. Sonst wird es mit der Akzeptanz schwierig. Umso wichtiger ist es, den Raum zu denken. Bei Erlenmatt etwa haben wir sehr kleine Flächen, aber im Bereich der Wendeltreppe eine Raumhöhe von über fünf Meter. Plötzlich entsteht Weite. Die Luft ist ja wie gratis. Komfort muss nicht verschwenderisch sein.
Wie sehr behalten Sie den Stadtraum im Blick?
Die Qualitäten eines Ortes sind für das Wohnen wesentlich, und so denken wir Innen und Außen stets in einer Abhängigkeit. Wir suchen typologisch-räumliche Themen, die auf dem Kontext aufbauen und ihn zugleich weiterentwickeln.
Sie meinten zum Laubengang, sinngemäß: „Wir machen es anders als in den 70ern.“ Wie schaffen Sie es, die neuen Formen in die Umgebung zu integrieren?
Viele unserer Projekte sind in recht diffusen, heterogenen Quartieren angesiedelt. In Stadtteilen, die so unterdefiniert sind, sehen wir Potenzial zum Experimentieren. Da kann eine starke Form, die von innen heraus geschaffen wurde, etwas aufbauen. Zum Beispiel die Alterssiedlung Helen Keller (Grundrisse auf den Seiten 18 und 19, Anm. d. Red.): Das sind Seniorenwohnungen für eine Stiftung der Stadt Zürich. Die Wohnungen, obwohl sie sehr klein sind, öffnen sich jeweils über mehrere Seiten zur Umgebung. Wir haben sie
so angeordnet, dass sich hohe Häuser ergeben, die von einem Park umflossen sind. Der ist öffentlich zugänglich, und vermittelt zwischen Siedlung und Quartier.
Machen wir einen Maßstabssprung zurück zu den Wohnungen. Vorhin sagten Sie, große Wohnungen ließen sich einfacher planen. Welche Planungsspielräume bieten kleine?
Man kann andere Raumbildungsprinzipien anwenden, die Raumbildung über Kammern etwa ist sehr effizient. Wir suchen auch Ansätze, die die Erschließungsfläche minimieren oder auflösen, um mehr Wohnraum zu bekommen. Außerdem geht es viel um Zonierung. In Helen Keller haben wir Wohnen und Essen in Raumnischen getrennt, die zwar einen diagonalen Sichtbezug zueinander haben, aber fast so etwas wie ein Zimmer schaffen. Zwar sind sie jeweils kleiner, als würde man sie verknüpfen, aber durch die versetzte Anordnung entsteht Großzügigkeit.
Die Restriktionen spornen den Ehrgeiz an.
Wohnungsbau ist immer Präzisionsarbeit. Ich war während des Studiums das erste Mal in Japan, mit Momoyo Kaijima, die damals Gastdozentin an der ETH war. Wir haben sehr unterschiedlich kleine Häuser besucht, auch einige von Atelier Bow-Wow. Es war unfassbar, zu sehen, wie viel man aus Raum herausholen kann, wenn er knapp ist. Dieser Zwang ist oft viel reizvoller, als wenn verschwenderisch viel Raum verfügbar ist. Das bestätigt die Architekturgeschichte. Auch Ein­familienhäuser von bekannten Architekten: Die wenigsten bestechen durch Größe, sie überzeugen mit räumlichen Themen. Wenn die Luft überall verpufft, wird’s meistens auch recht schlaff. Besser ist dicht und interessant, wenn man den Raum erobern, verhandeln, ihn durch Verdichtung aktivieren muss. Es ist spannender zu entwerfen, wenn man Grenzen hat.
In Ihrem Entwurf für das Ziegeleipark-Areal finden sich multifunktionale Räume, die an Aaltos „Allräume“ erinnern, an Kammergrundrisse oder das flexible japanische Haus. Mit welchen Referenzen arbeiten Sie?
Details finde ich sehr hilfreich zu referenzieren. Es ist wenig sinnvoll, immer alles selber zu erforschen – über vieles hat schon einmal jemand nachgedacht. Beim Entwerfen aber ist es einfacher, sich selber Gedanken zu machen. Es ist beim Wohnungsbau gut möglich, dass eine Referenz auf die Aufgabe zugeschnitten völlig wertlos ist, weil dreißig Zentimeter fehlen. Es gibt Themen, die auf die eine oder andere Art immer wieder ihren Zugang in die Projekte finden, auch wenn wir bewusste Wiederholungen, quasi eine immer wiederkehrende Sprache, grundsätzlich eher zu vermeiden versuchen.
Eingangs kam die Materialisierung gegenüber dem „Raum“ etwas schlecht weg. Sie meinten: „Das Material ist dann eigentlich gar nicht mehr so wichtig.“
Es heißt nicht, dass Materialfragen unwichtig wären. Die räumlichen Voraussetzungen jedoch müssen stark genug sein, dann ist es nicht so wichtig, ob Parkettboden oder Terrazzo reinkommt. Der räumliche Reichtum, die Eigenständigkeit, das konzeptionelle Grundgerüst müssen eindeutig und robust sein, um im Projektverlauf zu überdauern. Es ist ganz und gar nicht so, dass uns Material und Oberfläche nicht interessieren würden – im Gegenteil. Grundsätzlich interessieren uns sämtliche Bestandteile eines Hauses. Bei den sichtbaren Teilen suchen wir einen direkten, einfachen und aus dem Konzept folgerichtigen Umgang.
In Erlenmatt nutzen Sie auch sichtbar verlegte Leitungen als Gestaltungselement.
Das Projekt fokussiert auf soziale, wirtschaftliche aber auch ökologische Nachhaltigkeit. Deshalb haben wir es als Steilpass verstanden, Dinge zu probieren. Alle Bauteile sind komplett voneinander entflochten. Im kostengünstigen Bauen wird normalerweise zum Beispiel die Haustechnik durch die Decke geführt. Die Bauteile verschränken sich ineinander, was dazu führt, dass, wenn etwas nicht mehr brauchbar ist, sofort noch mehrere Bauteile betroffen sind. Wir haben versucht, radikal sämtliche Bauteile voneinander zu entflechten. Das ist auch im Hinblick auf eine mögliche künftige Wiederverwendung einzelner Teile interessant. Die Decken sind 18 Zentimeter dick, Es gibt keine Einlagen darin, deshalb liegen die Leitungen auf. Das Tolle daran ist, dass man sie verändern kann, wie man will. Das machen die Bewohner auch. Sie hängen Sachen an die Treppe, die Schächte nutzen sie als Magnetwände, etc. Die schönst-materialisierte Wohnung ist eben nicht die, die weiß ist und wo alles verschwindet. Wir sind überzeugt, dass man Bewohnern kleinmaßstäbliche Angebote machen muss. Die wissen dann schon, was sie damit anfangen können oder finden es raus.

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