Bauwelt

Wie lösen wir den Klammergriff der ökonomischen Ausquetschung?

Ob die Erfahrung des Lockdowns die Sache beschleunigt hat? Anfang Juni verabschiedete die Stadt Offenbach ein vom Hamburger Büro urbanista erarbeitetes ­Zukunftskonzept Innenstadt. Julian Petrin und Sven Lohmeyer von urbanista über den Schlüssel zur Post-Shopping-City und vitale Innenstädte als Daseinsvorsorge

Text: Friedrich, Jan, Berlin

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    Eine Innenstadt, deren Vitalität nicht länger allein vom Schicksal des Einzelhandels abhängig ist: Das Hamburger Stadtplanungsbüro urbanista hat für das Zentrum von Offenbach am Main das Konzept für eine „Post-Shopping-City“ entwickelt.
    Grafik: Johanna Springer

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    Eine Innenstadt, deren Vitalität nicht länger allein vom Schicksal des Einzelhandels abhängig ist: Das Hamburger Stadtplanungsbüro urbanista hat für das Zentrum von Offenbach am Main das Konzept für eine „Post-Shopping-City“ entwickelt.

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    Neben einzelnen Projekten, wie zum Beispiel der hier skizzierten Neuausrichtung der Stadtbibliothek mit Wissenshaus und Kulturzentrum als „Station Mitte“, beschäftigt sich die Studie vor allem auch mit der Frage, welche neuen Planungsinstrumente ein solcher Paradigmenwechsel benötigt.
    Grafik: Johanna Springer

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    Neben einzelnen Projekten, wie zum Beispiel der hier skizzierten Neuausrichtung der Stadtbibliothek mit Wissenshaus und Kulturzentrum als „Station Mitte“, beschäftigt sich die Studie vor allem auch mit der Frage, welche neuen Planungsinstrumente ein solcher Paradigmenwechsel benötigt.

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    Idealerweise treffen die fünf Ebenen des „Innenstadtversprechens“ aufeinander, in den letzten hundert Jahren haben sie sich aber weitgehend entmischt. Die Projekte des Offenbacher Zukunftskonzepts, wie der Rathausplatz ...
    Grafik: Johanna Springer

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    Idealerweise treffen die fünf Ebenen des „Innenstadtversprechens“ aufeinander, in den letzten hundert Jahren haben sie sich aber weitgehend entmischt. Die Projekte des Offenbacher Zukunftskonzepts, wie der Rathausplatz ...

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    oder das „Made.of Designhaus“, zielen darauf ab, neben dem Handel andere Funktionen in die City zurückzubringen.
    Grafik: Johanna Springer

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    oder das „Made.of Designhaus“, zielen darauf ab, neben dem Handel andere Funktionen in die City zurückzubringen.

    Grafik: Johanna Springer

Wie lösen wir den Klammergriff der ökonomischen Ausquetschung?

Ob die Erfahrung des Lockdowns die Sache beschleunigt hat? Anfang Juni verabschiedete die Stadt Offenbach ein vom Hamburger Büro urbanista erarbeitetes ­Zukunftskonzept Innenstadt. Julian Petrin und Sven Lohmeyer von urbanista über den Schlüssel zur Post-Shopping-City und vitale Innenstädte als Daseinsvorsorge

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Der Einzelhandel ist seit langem in der Krise – und mit ihm die Innenstädte. Hat Corona Einzelhandel und Innenstädten den Rest gegeben?
Sven Lohmeyer Im Februar, also vor der Corona­krise, prognostizierte das Institut für Handels­forschung aus Köln, dass bis zum Jahr 2030 zwischen 20.000 und 68.000 Einzelhändler in Deutschland ihren Betrieb einstellen. Ende Mai veröffentlichte der Handelsverband aktuelle Zahlen: Er geht davon aus, dass abseits des Lebensmittelhandels jedes dritte Geschäft akut bedroht ist – das wären rund 100.000 Händler. Corona ist ein Brandbeschleuniger, ein Zeitraffer.
Julian Petrin Ging man während des Lockdowns hier in Hamburg in die Innenstadt, war es greifbar: Diese Innenstadt hat ihren Sinn verloren! Zwischenzeitlich war sie leergefegt. Ohne den Konsum-Buzz, den es hier sonst gibt, bleiben in dieser City nur öde Räume übrig, mit denen man nichts anfangen kann. Inzwischen ist Leben zurückgekehrt, ein Stück weit auch die Kauflust, aber man spürt, dass es nicht zusammenpasst. Viele Läden sind nach wie vor leer, andere haben Zugangsbeschränkungen, es gibt Schlangen davor. Das absurdeste Bild, das sich mir eingeprägt hat, ist ein Schild vor einem großen Buchladen: „Bitte gehen Sie zügig rein, kaufen Sie Ihr Buch, gehen Sie schnell wieder raus.“ Damit ist der Sinn eines Buchladens verlorengegangen, denn das kann ich wirklich im Internet besser machen.
So scheinen auch solche neuen Einzelhandelskonzepte, bei denen man etwa versucht, Online-Handel und stationären Handel zu kombinieren, auf absehbare Zeit obsolet.
Sven Lohmeyer Das, was in der Diskussion um zukunftsfähige Handelskonzepte üblicherweise als der Weg aufgezeigt wird, nämlich: Ihr müsst stärker auf Eventisierung setzen, das Einkaufserlebnis in den Vordergrund stellen, ihr müsst eure Beratungskompetenz herausstreichen – auch das fällt gerade in sich zusammen. Mit Abstandsregelung, Mundnasenschutz und einem seltsamen Gefühl beim Einkaufen kann kaum eine Atmosphäre von „Hier halte ich mich gerne auf“ entstehen. Die Anlässe, die Innenstadt aufzusuchen, sind massiv zurückgegangen.
Aber bleibt das so? Irgendwann sind Abstandsregelung und Maskentragen hoffentlich vorbei.
Julian Petrin Sascha Lobo hat während des Lockdowns einen schönen Artikel veröffentlicht, in dem er die Kauflust in den Vordergrund stell­te. Zu dieser Zeit war das Einzelhandelsvolumen derart zurückgegangen, dass sich die Branche in eine tiefe ökonomische Krise gestürzt sah. Lobo dazu: Jetzt kaufen wir mal ein paar Wochen lang nur das, was wir wirklich brauchen, schon funktioniert das Ganze nicht mehr. Und dieses Mehr, als das, was wir wirklich brauchen, basiert auf Kauflust: „Ich gönn’ mir was“, „Jetzt will ich mal was Neues“. Diese Kauflust, meint Lobo, könne durch die Coronakrise beschädigt sein. Weil viele die Erfahrung gemacht haben, dass es eigentlich okay ist, ein bisschen weniger zu konsumieren. Von daher denke ich, dass ein langfristiger Beziehungscrack zwischen Kunden und Anbietern denkbar ist. Das würde im Besonderen die Innenstädte treffen, denn die leben von der Schaumschicht des Mehr-als-wir-brauchen.
Man möchte die Sache gerne als Chance begreifen: Wenn der Handel eine geringere Rolle spielt, entsteht Raum für anderes. Sie arbeiten seit zwei Jahren an einem Konzept für die Innenstadt von Offenbach am Main, das in diese Richtung weist.
Sven Lohmeyer Wir haben für die Offenbacher Innenstadt ein konsequent auf Neuorientierung gedachtes Konzept für eine Post-Shopping-City-Innenstadt entwickelt, für eine neue Form von Stadtmitte, die eben nicht Shopping-City ist. Einige Projekte, die wir konzipiert haben, sind mit erheblichen Investitionen und Anstrengungen verbunden. Das musste die Stadtpolitik erst einmal verdauen. Deshalb stand das Papier eine ganze Zeit lang im politischen Diskurs. Durch Corona hat die Diskussion mächtig Druck erfahren. Die Offenbacher haben den Druck in Produktivität umgemünzt – und das Konzept Anfang Juni im Magistrat beschlossen.
Wo liegt der Schlüssel zur Post-Shopping-City?
Julian Petrin Man muss sich anschauen: Welches Regime herrscht in der Innenstadt? Es ist das Regime von der maximalen Ausnutzung des Bodens. So viel Wertschöpfung pro Quadratmeter wie in der Innenstadt wird kaum irgendwo sonst erzielt, was sich nicht zuletzt in den horrenden Mietpreisen abbildet. Und das ist nur von ganz wenigen Akteuren bedienbar, sowohl auf Seiten der Mieter als auch auf Seiten der Immobilieneigentümer. Die Vorstellung, jetzt wäre Raum etwa für Wohngenossenschaften, die in die Innenstädte strömen und dort selbstbestimmte Wohnprojekte umsetzen – die ist ein schöner Traum, aber dazu muss auf einer ganz anderen Ebene etwas geschehen.
Auf welcher Ebene muss etwas geschehen?
Julian Petrin Die entscheidende Frage ist: Wie lösen wir die Innenstadt aus dem Klammergriff der ökonomischen Ausquetschung. Denn die führt unweigerlich dazu, dass immer derjenige zum Zuge kommt, der die höchste Miete zahlt. Das ist dann eben der Textildiscounter, der seinen Vertrag noch einmal um ein Jahr verlängert. Man wird sich mit Fondsmodellen beschäftigen müssen. Man muss an das Regime ran, dann kriegt man es gelöst.
Gab es bei der Stadt Offenbach und dem IHK-nahen Verein, die das Konzept gemeinsam in Auftrag gegeben haben, die Bereitschaft, solch tiefgreifende Veränderungen zu denken?
Sven Lohmeyer Die Bereitschaft, sie zu denken, auf jeden Fall. Es gab einen Termin mit Händlern und Eigentümern, bei dem genau das Thema war: Wir müssen an die 1A-Innenstadtlagen ran, um dauerhaft etwas zu verändern. Wir haben zu einer Gesprächsrunde Verantwortliche aus der Wiener Seestadt Aspern eingeladen, wo es eine Form von gemanagten Erdgeschosszonen gibt. Natürlich sind die Rahmenbedingung in einem neuen Stadtteil wie Aspern andere als in einer gewachsenen Innenstadtlage mit unterschiedlichen Eigentümern. Doch durch solche Impulse haben wir versucht, in Offenbach das Bewusstsein dafür zu erzeugen, was man schaffen könnte, wenn man als Standortgemeinschaft diese Entwicklung langfristig im Blick behält und sich überlegt: Was brauchen wir für eine Mischung? Wie gelingen Querfinanzierungen?
Julian Petrin Wir waren uns schnell mit den Auftraggebern einig, dass der Kern des Problems die Frage ist, wie man den skizzierten Paradigmenwechsel tatsächlich hinbekommt. Unsere These war: Der Innenstadtwandel dauert zehn Jahre. Wir müssen etwas aufsetzen wie eine IBA – das darf nur nicht IBA heißen und nicht diese Last von Bauausstellung und international mit sich herumtragen –, aber wir brauchen ihre Mechanismen. Es muss eine Projektsteuerung außerhalb der Routineverwaltung geben. Und es muss eine Art Stadtkontrakt dahinterstehen.
Sven Lohmeyer Die sogenannte Agentur Mitte ist als Teil des Konzepts beschlossen worden, eine eigene Struktur für den Innenstadtumbau. Wir haben die Aufgabenbereiche, die diese Agentur haben soll, und ein Anforderungsprofil an die Leute, die dort beschäftigt sein werden, in unser Papier geschrieben. Das sehe ich als einen unserer größten Erfolge, dass wir von der Notwendigkeit überzeugen konnten, den Innenstadtumbau perspektivisch anzugehen, und dass es dazu einen eigenen Akteur und eine andere Herangehensweise der Innenstadtplanung, des City-Marketings und so weiter braucht.
Vorhin fiel der Begriff Fondsmodell. Wie kann man sich das konkret vorstellen? Man hat eine Straße, deren Grundstückseigentümer sich vertraglich zusammenschließen. Dann überlegt man, wo welche Nutzung sinnvoll wäre und wer welchen Ausgleich erhält, falls eine Nutzung, die sinnvoll erscheint, nicht die nötige Rendite erwirtschaftet. Das funktioniert?
Julian Petrin Es gibt das Instrument der Standortgemeinschaften oder BIDs (Business Impro­vement Districts), wie sie je nach Bundesland heißen. Deren Grundmechanismus ist sicher nicht falsch für so einen Standort. Es müsste aber darüber hinaus gehen: Schließlich haben ganz unterschiedliche Akteure ein Interesse daran, dass diese Innenstadt funktioniert. Deswegen dürfte ein solcher Fonds, dessen Ziel es ist, den Mietdruck auf die Flächen zu reduzieren, nicht einseitig von den Grundstückseigentümern in ein paar Straßen getragen werden. Es müsste wesentlich größer aufgezogen sein als ein BID.
Sven Lohmeyer Über das Projekt hat sich eine landesweite Initiative entwickelt: Im Herbst soll­te es einen hessischen Innenstadtgipfel geben – Coronabedingt wird der nun etwas anders ausfallen, als geplant. Im Rahmen der Initiative soll es darum gehen, ein gemeinsames Problemverständnis zu schaffen und konzeptionelle Ansätze wie etwa aus dem Offenbacher Prozess auf andere hessische Städte zu mappen. Das Land Hessen spielt als Rahmengeber eine wichtige Rolle. Denn am Ende geht es natürlich auch um Förderung. Es muss neue Fördertöpfe geben.
Julian Petrin Ich würde sogar so weit gehen: So wie wir den öffentlichen Nahverkehr subventionieren, weil wir wissen, dass er nicht kostendeckend fahren kann, so müssen wir uns vielleicht auch fragen: Kann man Erdgeschossflächen kostendeckend, dem Markt überlassen bespielen? Oder ist das nicht etwas, wo wir im Sinne von Daseinsvorsorge sagen: Wir alle haben ein Interesse an vitalen Zentren. Müssen wir die nicht mitfinanzieren, gehört das nicht zu den kommunalen Aufgaben in der ersten Reihe?
Wenn der von Ihnen skizzierte Innenstadt­umbau in Offenbach gelänge – das wäre zumindest in Deutschland ein echtes Novum.
Sven Lohmeyer Wir haben versucht, das als Perspektive aufzuzeigen: Die Rolle des Vorbilds für die Innenstadt der Zukunft – die ist noch vakant. Da könnte Offenbach sich positionieren, als Ort, an dem so etwas zumindest ausprobiert wird.

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