Zwanzig Stellen arbeiten bei uns daran, den Klimaschutz voranzubringen
Konstanz beschloss 2019 als erste deutsche Stadt den Klimanotstadt. Was ist seitdem geschehen? Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn berichtet.
Text: Flagner, Beatrix, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin
Zwanzig Stellen arbeiten bei uns daran, den Klimaschutz voranzubringen
Konstanz beschloss 2019 als erste deutsche Stadt den Klimanotstadt. Was ist seitdem geschehen? Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn berichtet.
Text: Flagner, Beatrix, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin
Konstanz war vor vier Jahren die erste Stadt Deutschlands, die den Klimanotstand in ihrem Gemeinderat beschloss. Welche Ziele haben Sie sich damals gesetzt?
Wir wollten mit dem Klimanotstand nicht nur Symbolpolitik betreiben, sondern Ergebnisse produzieren. Gemeinsam mit dem ifeu-Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg haben wir ein ambitioniertes Klimaschutzkonzepterarbeitet, dessen Ziel es ist, dass Konstanz bis 2035 weitestgehend klimaneutral wird. Und das ohne die Beteiligung von Windkraftanlagen in Skandinavien, also wirklich territorial betrachtet: nur auf die Stadt bezogen. Ziel war es zu verdeutlichen, dass so etwas für Kommunen machbar ist, wir aber auf die Unterstützung von Bund und Ländern angewiesen sind. Wir haben uns auf 61 Maßnahmen verständigt, auf die wir uns jetzt konzentrieren.
Sie sagen, Sie wollen keine Symbolpolitik betreiben. Wie stellen Sie das sicher? Machen Sie vor jedem Beschluss einen Klimacheck, bevor er durchgeht?
Genau. Wir berücksichtigen bei allen politischen Beschlüssen die Klimaschutzauswirkungen und die Verankerung des Klimaschutzes in den Beschlussvorlagen.
Was beinhalten die 61 Maßnahmen?
Die Maßnahmen der Klimaschutzstrategie gliedern sich in fünf Handlungsfelder: Strategie und Planung, zweitens Mobilität, drittens nachhaltige Energieversorgung, viertens Gebäude und fünftens Konsum, Freizeit und Bildung. Wir haben das Ziel, aus dem „Masterplan Mobilität“ einen „Klimamobilitätsplan“ zu entwickeln. Seit 2022 haben wir die Busflotte der Stadtwerke vorangebracht und bis Ende 2024 werden die Hälfte der Stadtbusse bei unseren Stadtwerken auf E-Antrieb umgestellt sein. So werden wir mit Sicherheit auch unser Ziel erreichen, unsere öffentlichen Verkehrsmittel bis 2035 klimaneutral zu betreiben. Natürlich immer vor dem Hintergrund, dass die Förderung gewährt wird.
Schön sind für uns Projekte wie das erste Elektroschiff auf dem Bodensee, das in diesem Jahr vom lokalen Reiseanbieter BSB in Betrieb genommen wurde. Stand 2022 haben wir 110 Kilometer Radverkehrsinfrastruktur in Konstanz. Wir haben aber auch einen starken Fokus auf die Solaroffensive und die strategische Wärmenetzplanung. Seit Frühjahr läuft ein Förderprogramm für pri-vate energetische Sanierungsmaßnahmen. Außerdem haben wir von der Stabsstelle Klimaschutz ausgehend, die wesentlich dazu da war, die Klimaschutzstrategie zu erarbeiten, ein Amt für Klimaschutz gegründet, um dem Thema mehr Gewicht zu geben. Inzwischen sind rund zwanzig Stellen damit beschäftigt, das Thema Klimaschutz voranzubringen.
Lässt sich bereits eine Wirkung feststellen?
Uns ist immer wichtig gewesen, dass unsere Erfolge messbar sind und von außen bestätigt werden. Zum Beispiel hat uns der Statusbericht der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg vom August dieses Jahres bescheinigt, dass wir besonders im Bereich Mobi-lität gute Ergebnisse erzielt haben. Wir haben einen Supermodalsplit von 75 Prozent. Das heißt, die Konstanzerinnen und Konstanzer sind innerhalb des Stadtgebiets überdurchschnittlich viel mit dem Rad, dem ÖPNV oder zu Fuß unterwegs. So konnten wir uns von 24 Prozent im Radverkehr auf 34 Prozent steigern. Die Treibhausgasemissionen im Stadtgebiet wurden zwischen 2018 bis 2021 um sechszehn Prozent reduziert, während man deutschlandweit laut Umweltbundesamt in diesem Zeitraum nur zehn Prozent geschafft hat. Auch haben wir uns sehr darü-ber gefreut, 2022 erstmals mit dem European Energy Award in Gold ausgezeichnet zu werden, nachdem wir ihn in den Jahren zuvor schon in Bronze und Silber entgegennehmen durften.
Wo lässt sich am meisten CO2 einsparen?
Am wichtigsten ist der Wärmenetzausbau, gefolgt von der Energieversorgung und der Mobilitätswende. Der Verbrauch von Erdgas und Erd-öl macht in der CO2-Bilanz für das Stadtgebiet Konstanz über vierzig Prozent aus, liegt damit also deutlich vor dem Strom und den Kraftstoffen für Mobilität. Deshalb wollen wir zunächst die Wärmenetze ausbauen und mit erneuerbaren Energien betreiben. Da könnte man auf einen Schlag eine ganze Menge fossiler Energie ersetzen. Wir planen unseren neuen Stadtteil Hafner mit 3000 spekulationsfreien Wohnungen und fünfzehn Hektar Gewerbe klimaneutral mit Energie über ein Wärmenetz ab 2027 versorgen.
Wie gehen Sie beim Wärmenetzausbau vor?
Wir hatten 2018 einen Energienutzungsplan erstellt. Da waren wir in Baden-Württemberg Vorreiter und haben Pionierarbeit geleistet. In diesem Energienutzungsplan ist die Energieversorgungssituation sämtlicher Gebäude im Stadtgebiet analysiert worden, was dann später im Bundesland im Rahmen der sogenannten Kommunalen Wärmeplanung Pflicht geworden ist. Aus diesem Energienutzungsplan folgte die Erkenntnis, dass wir über viele dicht bebaute Gebiete verfügen, die sich für Wärmenetze eignen. Daraufhin haben wir mit den Stadtwerken eine strategische Wärmenetzplanung aufgestellt. Die Ergebnisse, die wir schon vorliegen haben, dienen nun einer schrittweisen Umsetzung. Die Stadtwerke haben sieben Prioritätsgebiete identifiziert, die sich für Nahwärme eignen würden, aber die Realisierung ist natürlich unglaublich aufwendig. Das ist die größte Herausforderung: Wie gelingt es, Wärmenetze weiträumig und in kurzer Zeit auszubauen?
Wie handhaben Sie bei der Energiewende Bestand und Denkmalschutz?
Bei der Energiewende sind wir auf einem ausgezeichneten Planungsstand, weil wir als eine der ersten Städte ein Solar-Kataster für die Altstadt angelegt haben, das auch online einsehbar ist. Wir haben eine Positivplanung vorgestellt, wo man in der Altstadt Photovoltaik auf Dächer integrieren kann. Da sieht man, dass ein großes Potenzial vorhanden ist: Nur wenige Gebäude wie das Münster, wo noch handgestrichene Biberschanzziegel verlegt wurden, eignen sich nicht.
Gilt in Konstanz eine PV-Pflicht?
Eine PV-Pflicht für Neubauten hatten wir schon, bevor der Beschluss dazu in Baden-Württemberg kam. Bei Bestandsgebäuden gibt es noch keine rechtliche Grundlage, aber letztendlich rechnet es sich wirtschaftlich.
Was kosten die Maßnahmen die Kommune?
Letztes Jahr haben wir beschlossen, einen Klimahaushalt zu bilden und 150 Millionen für den Klimaschutz von 2023 bis 2030 avisiert – auch um Mittel bereitzustellen, damit man zusätzliche Maßnahmen generieren kann.
Woher nehmen Sie das Geld?
Generationengerechtigkeit hat früher bedeutet, dass man keine Schulden hinterlässt. Wir sagen, heute bedeutet Generationengerechtigkeit, dass man der nächsten Generation keine Klimakatas-trophe hinterlässt. Deshalb ist es legitim, für den Klimaschutz Schulden aufzunehmen, um die Zie-le bis 2035 zu erreichen. Natürlich braucht man dafür auch die Unterstützung der Genehmigungsbehörden, sprich der Regierungspräsidien, die anerkennen müssen, dass die Investitionen in den Klimaschutz nachhaltig sind und eine höhereVerschuldung legitimieren. Das soll auch nicht in Konkurrenz zu anderen Pflichtaufgaben wie Schul- und Kitaausbau stehen.
Ist Konstanz vom Klimawandel stark betroffen?
Ja. Trotz wenig dichter Besiedlung sind wir einer der Hotspots, vergleichbar mit dem Rheintal und müssen auch in die Richtung agieren. Unsere Klimapolitik beinhaltet mittlerweile daher auch Klima- wandelanpassungsmaßnahmen. Auch dafür bräuchten wir Unterstützung. In der Bevölkerung ist definitiv angekommen, dass Klimaschutz und Klimawandelanpassung zusammengehören.
Und wie ist es heute – vier Jahre nach dem Beschluss zum Klimanotstand – um den Rückhalt in der Bevölkerung bestellt?
Der ist weiterhin hoch. Klimapolitik ist zu einer anerkannten Pflichtaufgabe geworden. Darum haben wir auch den Klimahaushalt und stellen dar, was wir für den Klimaschutz ausgeben. Es fehlt eher das Verständnis dafür, dass es so lange dauert. Da sind wir auf Dritte angewiesen. Die Überregulierung der letzten Jahrzehnte spüren wir kommunal sehr stark.
Zum Beispiel?
Wenn für kleine Planungsleistungen bei Ausschreibungsverfahren Europarecht angewendet werden muss, dauert das gleich ein halbes Jahr. Es ist wenig nachvollziehbar, dass diese Überregulierung in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, wenn wir auf der anderen Seite den Klimaschutz beschleunigen sollen. Wir haben gerade eine Freiflächen-PV-Analyse gemacht und uns über fünfzig Hektar an PV-Anlagen zum Ziel gesetzt. In dem Bereich ist das Erstellen von Bebauungsplänen enorm sperrig. Es gab jetzt eine Lockerung im Rahmen von 200 Metern an Autobahnen, aber im Grunde benötigen wir eine weitere Ausweitung der Privilegierungstatbestände. Oder der Obstbau: Bei ihm wäre es eine ideale Ergänzung, statt Hagelnetze auf PV-Anlagen zu gehen. Unsere Anbauflächen für den Obstbau liegen jedoch oft in Naturschutzgebieten, wo es enorme Hürden gibt, diese Hagelnetze gegen PV-Anlagen zu ersetzen. Da zeigt sich, dass es viele Dinge gibt, die wir nicht in der Hand haben. Es braucht von Land und Bund mehr als nur Willensbekundungen zur Deregulierung.
Was wünschen Sie sich von der Landes- oder Bundesregierung?
Ein Wunsch wäre, dass wir schnellere Umsetzungsmöglichkeiten für Freiflächen-PV erhalten und eine Ausweitung der Privilegierung erfolgt, um umfangreiche Bauleitplanverfahren zu vermeiden und schneller zu werden. Zudem sind Ausnahmeregelungen und Einzelfallprüfungen, zum Beispiel im Bereich Agri-PV, erforderlich. Umweltbelange müssen geprüft werden, aber allein diese verfahrenstechnische Erleichterung wür-de schon viel bringen. Wir müssen auch ehrlich sagen, dass Kommunen die Wende finanziell nicht stemmen können. Wir sind auf Förderungen angewiesen. Daher wäre es wichtig, die Verfahren zur Förderbeantragung anzupassen: Sie dauern sehr lange. Wenn Sie etwas beantragen, dann läuft das über mehrstufige Verfahren. Zuerst werden diese aufgenommen und man muss nur eine Skizze des Vorhabens anfertigen. Es dauert aber zwei Jahre, bis irgendwann die Bewilligung kommt – und dann muss europaweit ausgeschrieben werden. Wenn wir anerkennen, dass wir in einer Klimakrise sind, sollten die Ausschreibungsverfahren entsprechend angepasst werden. Es gab immer wieder Krisen, in denen bis zu gewissen Wertgrenzen nicht europaweit ausgeschrieben werden musste. Es wird ja niemand aus Spanien anfahren, um in Konstanz PV-Anlagen aufs Dach zu schrauben. Am Ende sind drei Jahre ins Land gegangen, bis irgendwas umgesetzt wurde. Die Zeit haben wir nicht.
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