Ad-hoc-Städtebau rund um die Uhr
72 Hour Urban Action in Stuttgart
Text: Holl, Christian, Stuttgart
Ad-hoc-Städtebau rund um die Uhr
72 Hour Urban Action in Stuttgart
Text: Holl, Christian, Stuttgart
Als „ersten Echtzeit-Architekturwettbewerb der Welt“ bezeichnen die Auslober von 72 Hour Urban Action ihre Veranstaltung. Nicht allein Format und Aufgabenstellung sind etwas Besonderes – bei der zweiten Ausgabe des Festivals haben vor allem die Energie und die Euphorie beeindruckt, mit denen die Teilnehmer den Wettbewerb bestritten.
72 Hour Urban Action ist 2010 im Rahmen der Biennale of Landscape Urbanism im israelischen Bat-Yam ins Leben gerufen worden (Bauwelt 30.2011).
Im Juli fand der Wettbewerb zum zweiten Mal statt – diesmal in Stuttgart. Fast 1000 Leute aus der ganzen Welt hatten sich um die Teilnahme beworben; gut hundert von ihnen, aus mehr als 20 Nationen, erhielten eine Einladung. Der Wettbewerb ist als dreitägiges Festival organisiert. Zehn Teams mit jeweils etwa zehn Personen sollten Lösungen für neuralgische Orte im Stuttgarter Nordbahnhofviertel erarbeiten. Dieses Viertel ist trotz Innenstadtnähe eines der Quartiere, die die Planersprache mit „benachteiligt“ bezeichnet. Erst die Pläne zu Stuttgart 21 haben die Aufmerksamkeit auf das Gebiet gelenkt – eine integrierte Quartiersentwicklung, die sich um die Bewältigung bestehender und sich abzeichnender Konflikte bemühen würde, hat die Stadt allerdings noch nicht organisiert.
In diese Lücke stieß 72 Hour Urban Action. Der Kunstverein Wagenhallen, der die Organisation maßgeblich stemmte, initiierte im Vorfeld des Wettbewerbs einen Beteiligungsprozess. Dabei sollten Orte im Quartier identifiziert werden, an denen es Konflikte gibt, von denen man annehmen konnte, dass sie durch Vorschläge im Wettbewerb zu entschärfen seien: Konflikte im öffentlichen Raum, die zum Beispiel unwirtlicher Gestaltung, missverständlicher Codierungen oder fehlenden Nutzungsmöglichkeiten geschuldet sind.
Zehn Teams – zehn Missionen
Am Nachmittag des 11. Juli bekam jedes Team einen dieser Orte zugelost. Es galt, innerhalb von 72 Stunden eine Lösung zu erarbeiten – und sie mit einem Budget von 1900 Euro umzusetzen. Die Teilnehmer entwarfen, aßen und schliefen (Letzeres wenig) vor Ort, besorgten das nötige Material. Sie bauten, worauf sie sich in der ersten Nacht geeinigt, was sie mit den Anwohnern diskutiert und sich von einem Prüfstatiker hatten genehmigen lassen.
Am 14. Juli um 18 Uhr war Schluss. Die Jury (u.a. Joseph Grima, Domus-Chefredakteur, und Benjamin Foerster-Baldenius von Raumlabor Berlin) nahm die Ergebnisse unter die Lupe. Als Sieger zeichnete sie das Team „Tüftler“ aus, das sich mit einem nicht eindeutig definierten, hofähnlichen Stadtraum beschäftigt hatte. Dort, zwischen einem Wohnhaus und einem als Atelier genutzten Altbau, parken gerne die Besucher eines Tango-Lokals in der benachbarten Wagenhallen. Die Anwohner versuchen sich dagegen zu wehren, indem sie Spielzeug großflächig im Hof verteilen – keine dauerhaft sinnvolle Lösung. „Schaffe einen Hinterhof für alle!“, lautete also die Aufgabe. Das Team baute eine Holzterrasse um einen Baum herum. Diese Plattform, durch pinkfarbene Streifen akzentuiert, leicht erhöht und geringfügig ansteigend, die hintere Ecke am Haus hochgeklappt, schützt vor unerwünschten Parkern, ohne dass sie den Hof schließen würde. Auf der Terrasse montierten die Tüftler eine Bank; mit ei-ner aus einem alten Fahrradständer geschweißten Lampe lässt sich der Hof jetzt auch am Abend nutzen.
Die Gruppe „Bob’s Dream Team“ erhielt als zweitplatzierte die Anerkennung für die beste architektonische Leistung. Ihre Aufgabe: In einen Durchgang, der von der Nordbahnhofstraße in einen Hinterhof führt, derart eingreifen, dass er künftig „Intimität für Anwohner + Zugang für Fremde“ gewährt; gerade die Fremden haben die Anwohner bislang oft genug durch ihren Lärm gestört. Eine an ein auseinanderfallendes Bündel Mikadostäbe erinnernde Skulptur fordert nun von den Passanten mehr Konzentration auf dem Weg von der Straße in den Hof; eine Bank und ein Kräutergarten im Hof machen darauf aufmerksam, dass hier Leute wohnen.
Was bleibt?
Die Bewertung der Arbeiten allein würde in diesem Wettbewerb am Wesentlichen vorbeizielen. Auch wenn nicht alle Beiträge die gleiche Qualität lieferten, so hat doch jeder Teilnehmer dazu beigetragen, dass das Viertel und seine Bewohner gewonnen haben. Der Festivalcharakter, das gemeinsame konzentrierte Arbeiten, das manchmal fast rührende Interesse der Anwohner sorgten für eine berauschende Atmosphäre des Miteinanders, die das Potenzial hat, in den Alltag zu strahlen. Auch von Seiten der Stadt ist gewünscht, dass die Wirkung des Festivals über den Tag hinaus reicht: Vertreter von Ämtern und der Organisatoren haben die Arbeiten nach Abschluss des Wettbewerbs ein weiteres Mal begutachtet und entschieden, sie erst einmal stehen zu lassen – und bei Bedarf so zu ertüchtigen, dass sie dem Viertel noch länger erhalten bleiben.
1. Platz Team „Tüftler“ – Sergio Ramos Ruiz (Teamleitung), Jose Luis de Isasa, Miguel Beloqui Romero, Selma Alihodzic, Daphne Smits, Duco Voker, Jasper van der Zwan,
Hanneke van den Borne, Paul Timmer, Sajoscha Taliirz, Melanie Luchtenveld, Begoña Gassó Palop
2. Platz und Anerkennung für die beste architektonische Leistung Team „Bob’s Dreamteam“ – Doreen Zehring (Teamleitung),
Christiane ten Hoevel, Klaus Pfaffenzeller, Anne Petri, Florian Monchow, Andreas Mayer-Brennenstuhl, Jens Loewe, Nickola
Letroe, Melanie Klauke, Fabian Kirst, Martin Hoffmann, Sabine François
Im Juli fand der Wettbewerb zum zweiten Mal statt – diesmal in Stuttgart. Fast 1000 Leute aus der ganzen Welt hatten sich um die Teilnahme beworben; gut hundert von ihnen, aus mehr als 20 Nationen, erhielten eine Einladung. Der Wettbewerb ist als dreitägiges Festival organisiert. Zehn Teams mit jeweils etwa zehn Personen sollten Lösungen für neuralgische Orte im Stuttgarter Nordbahnhofviertel erarbeiten. Dieses Viertel ist trotz Innenstadtnähe eines der Quartiere, die die Planersprache mit „benachteiligt“ bezeichnet. Erst die Pläne zu Stuttgart 21 haben die Aufmerksamkeit auf das Gebiet gelenkt – eine integrierte Quartiersentwicklung, die sich um die Bewältigung bestehender und sich abzeichnender Konflikte bemühen würde, hat die Stadt allerdings noch nicht organisiert.
In diese Lücke stieß 72 Hour Urban Action. Der Kunstverein Wagenhallen, der die Organisation maßgeblich stemmte, initiierte im Vorfeld des Wettbewerbs einen Beteiligungsprozess. Dabei sollten Orte im Quartier identifiziert werden, an denen es Konflikte gibt, von denen man annehmen konnte, dass sie durch Vorschläge im Wettbewerb zu entschärfen seien: Konflikte im öffentlichen Raum, die zum Beispiel unwirtlicher Gestaltung, missverständlicher Codierungen oder fehlenden Nutzungsmöglichkeiten geschuldet sind.
Zehn Teams – zehn Missionen
Am Nachmittag des 11. Juli bekam jedes Team einen dieser Orte zugelost. Es galt, innerhalb von 72 Stunden eine Lösung zu erarbeiten – und sie mit einem Budget von 1900 Euro umzusetzen. Die Teilnehmer entwarfen, aßen und schliefen (Letzeres wenig) vor Ort, besorgten das nötige Material. Sie bauten, worauf sie sich in der ersten Nacht geeinigt, was sie mit den Anwohnern diskutiert und sich von einem Prüfstatiker hatten genehmigen lassen.
Am 14. Juli um 18 Uhr war Schluss. Die Jury (u.a. Joseph Grima, Domus-Chefredakteur, und Benjamin Foerster-Baldenius von Raumlabor Berlin) nahm die Ergebnisse unter die Lupe. Als Sieger zeichnete sie das Team „Tüftler“ aus, das sich mit einem nicht eindeutig definierten, hofähnlichen Stadtraum beschäftigt hatte. Dort, zwischen einem Wohnhaus und einem als Atelier genutzten Altbau, parken gerne die Besucher eines Tango-Lokals in der benachbarten Wagenhallen. Die Anwohner versuchen sich dagegen zu wehren, indem sie Spielzeug großflächig im Hof verteilen – keine dauerhaft sinnvolle Lösung. „Schaffe einen Hinterhof für alle!“, lautete also die Aufgabe. Das Team baute eine Holzterrasse um einen Baum herum. Diese Plattform, durch pinkfarbene Streifen akzentuiert, leicht erhöht und geringfügig ansteigend, die hintere Ecke am Haus hochgeklappt, schützt vor unerwünschten Parkern, ohne dass sie den Hof schließen würde. Auf der Terrasse montierten die Tüftler eine Bank; mit ei-ner aus einem alten Fahrradständer geschweißten Lampe lässt sich der Hof jetzt auch am Abend nutzen.
Die Gruppe „Bob’s Dream Team“ erhielt als zweitplatzierte die Anerkennung für die beste architektonische Leistung. Ihre Aufgabe: In einen Durchgang, der von der Nordbahnhofstraße in einen Hinterhof führt, derart eingreifen, dass er künftig „Intimität für Anwohner + Zugang für Fremde“ gewährt; gerade die Fremden haben die Anwohner bislang oft genug durch ihren Lärm gestört. Eine an ein auseinanderfallendes Bündel Mikadostäbe erinnernde Skulptur fordert nun von den Passanten mehr Konzentration auf dem Weg von der Straße in den Hof; eine Bank und ein Kräutergarten im Hof machen darauf aufmerksam, dass hier Leute wohnen.
Was bleibt?
Die Bewertung der Arbeiten allein würde in diesem Wettbewerb am Wesentlichen vorbeizielen. Auch wenn nicht alle Beiträge die gleiche Qualität lieferten, so hat doch jeder Teilnehmer dazu beigetragen, dass das Viertel und seine Bewohner gewonnen haben. Der Festivalcharakter, das gemeinsame konzentrierte Arbeiten, das manchmal fast rührende Interesse der Anwohner sorgten für eine berauschende Atmosphäre des Miteinanders, die das Potenzial hat, in den Alltag zu strahlen. Auch von Seiten der Stadt ist gewünscht, dass die Wirkung des Festivals über den Tag hinaus reicht: Vertreter von Ämtern und der Organisatoren haben die Arbeiten nach Abschluss des Wettbewerbs ein weiteres Mal begutachtet und entschieden, sie erst einmal stehen zu lassen – und bei Bedarf so zu ertüchtigen, dass sie dem Viertel noch länger erhalten bleiben.
1. Platz Team „Tüftler“ – Sergio Ramos Ruiz (Teamleitung), Jose Luis de Isasa, Miguel Beloqui Romero, Selma Alihodzic, Daphne Smits, Duco Voker, Jasper van der Zwan,
Hanneke van den Borne, Paul Timmer, Sajoscha Taliirz, Melanie Luchtenveld, Begoña Gassó Palop
2. Platz und Anerkennung für die beste architektonische Leistung Team „Bob’s Dreamteam“ – Doreen Zehring (Teamleitung),
Christiane ten Hoevel, Klaus Pfaffenzeller, Anne Petri, Florian Monchow, Andreas Mayer-Brennenstuhl, Jens Loewe, Nickola
Letroe, Melanie Klauke, Fabian Kirst, Martin Hoffmann, Sabine François
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