Archiv mit zwei Arbeitsplätzen
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Archiv mit zwei Arbeitsplätzen
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
„Not much is thrown away because there really is no place to throw it“, hatte Michel Majerus (1967–2002) in seiner Münchner Ausstellung 1999 geschrieben. Tim Heide & Verena von Beckerath haben im einstigen Atelier des Künstlers Platz fürs Aufbewahren geschaffen, der, ähnlich wie manches seiner Werke, den umgebenden Raum miteinbezieht.
Ob Michel Majerus auch heute noch sein Atelier hier hätte? Der vor rund zehn Jahren bei einem Flugzeugabsturz im Alter von nur 35 Jahren tödlich verunglückte, aus Luxemburg stammende Künstler arbeitete in einem Berliner Hinterhof im Bezirk Prenzlauer Berg, gleich gegenüber vom Wasserturm: ein Quartier, das damals von Aufbruchstimmung und Experimentierfreude beseelt war, heute hingegen als ein beliebtes Wohngebiet für zugleich zahlungskräftige und ruhebedürftige Neuberliner gilt. In Majerus’ Atelier wird inzwischen der Nachlass des Künstlers gepflegt; werden Ausstellungen und Kataloge konzipiert, Interessierte empfangen, Sammler, Galerien und Museen betreut. Der Grundriss zeigt eine L-förmige Raumfolge im Erdgeschoss einer Remise im 2. Hof. Der kleinere Raum an der Stirnseite des langgestreckten Hofs – ehedem die Küche des Künstlers und mit Küchenzeile und darüber angebrachter Glühbirne noch von ihm selbst eingerichtet – fungiert heute als Büro, der größere im Seitenflügel – sein eigentlicher Arbeitsbereich – dient Ausstellungszwecken oder gesellschaftlichen Anlässen. Beide Bereiche sind über einen breiten, von einem Stichbogen überwölbten Durchgang miteinander verbunden. Mit dem Einbau einer kombinierten, teil- und verschiebbaren Büro- und Ausstellungseinheit für das Archiv des Künstlers haben die Architekten Heide & von Beckerath dieser Situation nun eine funktionale Aufwertung zuteil werden lassen, die den räumlichen Gesamtorganismus neu justiert und die Arbeit der Nachlassverwaltung einfacher macht.
Raum für Raumkunst
Trotz seines frühen Todes hinterließ Majerus ein Œuvre von rund 2000 Arbeiten: kleine Zeichnungen ebenso wie großformatige Bilder und Installationen. Etliche seiner Arbeiten –auch die vermeintlich nur zweidimensionalen Bilder – besitzen einen ausgeprägten räumlichen Bezug: Sei es sein Wandbild „yet sometimes what is read successfully, stops us with its meaning, no. II“ für die Manifesta 2 in Luxemburg, das Majerus erst im Foyer eines Kinos zur gewünschten Wirkung kommen ließ, sei es die Installation „Sozialpalast“, bei der er einen Ausschnitt von Jürgen Sawades berühmt-berüchtigter Wohnmaschine in Berlin-Schöneberg aufs Brandenburger Tor applizierte und also mitten hinein hieb in die Puppenstubenseligkeit der Kritischen Rekonstruktion, sei es der Bildraum „controlling the moonlight maze“, den Majerus kurz vor seinem Tod in den Räumen „seiner“ Berliner Galerie neugerriemschneider in Berlin-Mitte realisierte. Sie hatte den Künstler seit seinem Umzug von Stuttgart nach Berlin vertreten; sie lagerte dann auch ersteinmal seine hinterlassenen Arbeiten ein. Um weiterhin Ausstellungen seiner Werke vorzubereiten, bedurfte es aber eines räumlichen Angebots, das eine Galerie mit ihren vielen Künstlern und wechselnden Ausstellungen nicht immer vorhalten kann. Auch deshalb gründete sie mit Unterstützung der Familie des Künstlers im Jahr 2011 den Michel Majerus Estate als unabhängige Firma mit Sitz im einstigen Atelier – nicht zuletzt, um diesem eine neue Bedeutung zu geben.
Stauraum, schienengebunden
Die Wahl des Büros Heide & von Beckerath war für die Bauherrin insofern naheliegend, als Verena von Beckerath einst Majerus schon bei der Renovierung der Räume geholfen hatte. Jetzt hieß es, im früheren Atelier zwar Platz für das Archiv des Künstlers zu schaffen und das Lichtkonzept zu überarbeiten, die Räume in ihrer Authentizität aber möglichst zu belassen. Es galt, das Archiv zurückhaltend, aber als neue Zutat erkennbar einzufügen.
Dies ist gelungen; mit einem Objekt, das in der vorgefundenen Situation einen eigenen Raum bilden kann und dabei doch im wahrsten Wortsinn „Möbel“, also mobil, bleibt. Die Architekten haben ein in zwei Hälften teilbares Volumen entworfen, das sich auf eigens in den Boden gefrästen Edelstahlschienen zwischen Küche und Atelier hin und her schieben lässt und das die Verbindung der beiden Räume kappt, wenn es unter der Wölbung im Durchgang parkt. Diesen verschließt es passgenau, oder anders gesagt: Das Archiv wirkt wie aus der Wand herausgesägt. Dazu passt es, dass seine Außenflächen in einem matten Weiß lackiert worden sind (die Innenseiten wurden zweifarbig beschichtet): So ordnet sich der Körper dem Bestand zu, statt in Konkurrenz zu den farbigen Objekten des Künstlers zu treten; im geschlossenen Zustand übernimmt er, für den Besucher auf den ersten Blick erkennbar, in den beiden angrenzenden Räumen eine selbstbewusste Nebenrolle.
Erst auseinandergeschoben gibt das Objekt seine volle Bedeutung preis, indem es zwei Arbeitsplätzen Raum bietet. Die Fächer und Regale des Möbels können aufgrund einer Tiefe von jeweils 2 x 32 Zentimetern von vier Seiten genutzt werden; sie bieten innen Platz für Ordner und Kästen, außen, auf der Seite des Ausstellungsraums, für Bücher, Kataloge und Originalmaterialien: Videos, Dias, Ektachromes, Fotos und Publikationen. Ein Drucker und flache Schubladen nehmen die gesamte Tiefe eines Elementes in Anspruch.
Nicht zuletzt ist es ein neuer Rost aus Leuchtstoffröhren an der Decke der Küche, der mit seinem dimmbaren Ausstellungslicht auch den kleineren der beiden Räume als Teil des Nachlasses und mithin als eigenes Objekt der Anschauung wahrnehmbar werden lässt – eine Wahrnehmung, die unweigerlich zurück zu jenem Nebeneinander von Dingen und Motiven unterschiedlicher Zeit und Herkunft führt, das Majerus selbst in seinem Werk so freimnütig erzeugt hat.
Raum für Raumkunst
Trotz seines frühen Todes hinterließ Majerus ein Œuvre von rund 2000 Arbeiten: kleine Zeichnungen ebenso wie großformatige Bilder und Installationen. Etliche seiner Arbeiten –auch die vermeintlich nur zweidimensionalen Bilder – besitzen einen ausgeprägten räumlichen Bezug: Sei es sein Wandbild „yet sometimes what is read successfully, stops us with its meaning, no. II“ für die Manifesta 2 in Luxemburg, das Majerus erst im Foyer eines Kinos zur gewünschten Wirkung kommen ließ, sei es die Installation „Sozialpalast“, bei der er einen Ausschnitt von Jürgen Sawades berühmt-berüchtigter Wohnmaschine in Berlin-Schöneberg aufs Brandenburger Tor applizierte und also mitten hinein hieb in die Puppenstubenseligkeit der Kritischen Rekonstruktion, sei es der Bildraum „controlling the moonlight maze“, den Majerus kurz vor seinem Tod in den Räumen „seiner“ Berliner Galerie neugerriemschneider in Berlin-Mitte realisierte. Sie hatte den Künstler seit seinem Umzug von Stuttgart nach Berlin vertreten; sie lagerte dann auch ersteinmal seine hinterlassenen Arbeiten ein. Um weiterhin Ausstellungen seiner Werke vorzubereiten, bedurfte es aber eines räumlichen Angebots, das eine Galerie mit ihren vielen Künstlern und wechselnden Ausstellungen nicht immer vorhalten kann. Auch deshalb gründete sie mit Unterstützung der Familie des Künstlers im Jahr 2011 den Michel Majerus Estate als unabhängige Firma mit Sitz im einstigen Atelier – nicht zuletzt, um diesem eine neue Bedeutung zu geben.
Stauraum, schienengebunden
Die Wahl des Büros Heide & von Beckerath war für die Bauherrin insofern naheliegend, als Verena von Beckerath einst Majerus schon bei der Renovierung der Räume geholfen hatte. Jetzt hieß es, im früheren Atelier zwar Platz für das Archiv des Künstlers zu schaffen und das Lichtkonzept zu überarbeiten, die Räume in ihrer Authentizität aber möglichst zu belassen. Es galt, das Archiv zurückhaltend, aber als neue Zutat erkennbar einzufügen.
Dies ist gelungen; mit einem Objekt, das in der vorgefundenen Situation einen eigenen Raum bilden kann und dabei doch im wahrsten Wortsinn „Möbel“, also mobil, bleibt. Die Architekten haben ein in zwei Hälften teilbares Volumen entworfen, das sich auf eigens in den Boden gefrästen Edelstahlschienen zwischen Küche und Atelier hin und her schieben lässt und das die Verbindung der beiden Räume kappt, wenn es unter der Wölbung im Durchgang parkt. Diesen verschließt es passgenau, oder anders gesagt: Das Archiv wirkt wie aus der Wand herausgesägt. Dazu passt es, dass seine Außenflächen in einem matten Weiß lackiert worden sind (die Innenseiten wurden zweifarbig beschichtet): So ordnet sich der Körper dem Bestand zu, statt in Konkurrenz zu den farbigen Objekten des Künstlers zu treten; im geschlossenen Zustand übernimmt er, für den Besucher auf den ersten Blick erkennbar, in den beiden angrenzenden Räumen eine selbstbewusste Nebenrolle.
Erst auseinandergeschoben gibt das Objekt seine volle Bedeutung preis, indem es zwei Arbeitsplätzen Raum bietet. Die Fächer und Regale des Möbels können aufgrund einer Tiefe von jeweils 2 x 32 Zentimetern von vier Seiten genutzt werden; sie bieten innen Platz für Ordner und Kästen, außen, auf der Seite des Ausstellungsraums, für Bücher, Kataloge und Originalmaterialien: Videos, Dias, Ektachromes, Fotos und Publikationen. Ein Drucker und flache Schubladen nehmen die gesamte Tiefe eines Elementes in Anspruch.
Nicht zuletzt ist es ein neuer Rost aus Leuchtstoffröhren an der Decke der Küche, der mit seinem dimmbaren Ausstellungslicht auch den kleineren der beiden Räume als Teil des Nachlasses und mithin als eigenes Objekt der Anschauung wahrnehmbar werden lässt – eine Wahrnehmung, die unweigerlich zurück zu jenem Nebeneinander von Dingen und Motiven unterschiedlicher Zeit und Herkunft führt, das Majerus selbst in seinem Werk so freimnütig erzeugt hat.
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