Argument und Verführung
Architekturfotografie der Moderne in Spanien
Text: Nagel, U.P.W., Dossenheim
Argument und Verführung
Architekturfotografie der Moderne in Spanien
Text: Nagel, U.P.W., Dossenheim
Eine Schau der Fundación ICO in Madrid befasst sich mit der Bedeutung der Architekturfotografie für den Transport der Ideen der Moderne in Spanien. „Fotografía y arquitectura moderna en España, 1925–65“ zeigt 250 Meisterwerke von über 40 Fotografen.
Schon früh im 20. Jahrhundert wurde die Idee der Abbildung avantgardistischer Bauten nicht mehr vom Bemühen um objektive Schilderung von Wirklichkeit getragen, vielmehr diente sie im Interesse ihres Auftraggebers, des Architekten, einer möglichst einfach zu erfassenden Entfaltung seiner Botschaft. Je geschickter die propagandistische Manipulation durch den visuellen Eros des Bildes verschleiert war, umso verlockender trat die architektonische Schöpfung als Glück verheißende Botschaft und Projektion von Sehnsucht ins Licht.
In Madrid beleuchtet aktuell eine umfangreiche Ausstellung der Fundación ICO das vielschichtige Thema. Dabei erhebt die Auswahl der Arbeiten nicht den Anspruch auf lückenlose Dokumentation der Bauten der Moderne und ihrer Architekten. Auch ging es, so der Kurator und Architekt Iñaki Bergera, nicht um eine Auswahl „bester“ Bauten oder der Präsentation architektonischer Ikonen mittels ihrer foto-grafischen Dokumentation durch die bedeutendsten Lichtbildner des Landes. Stattdessen breitet die Schau ein Panorama aus, das die Kultur- und Sozialgeschichte Spaniens auf ihrem steinigen Weg in die Moderne als Vielfalt von Typologie, Episode und Tendenz über vier Jahrzehnte im Dialog von Architektur und Fotografie vor Augen führt – und das durchaus mit Anspruch auf Repräsentativität.
Licht-und-Schatten-Fotografie
Auf den ersten Blick scheint die konsequente bildnerische Ausgrenzung des Gegensatzes von Moderne und Tradition den Oberton aller Architekturfotografie der Moderne vorzugeben. Aber durch unser aus der geschichtlichen Distanz gewonnenes Wissen von den teilweise hohlen Verheißungen der Moderne wandelt sich manches Bild überraschend in ein Dokument erstaunlicher Ambiguität. Das eine oder andere Architekturfoto offenbart, dass es keineswegs nur unreflektierter Diener der ästhetischen und sozialen Prämissen seines Auftraggebers blieb, sondern geradezu seherisch Schattenseiten der Moderne wie Ortlosigkeit, Beschleunigung des Lebens oder Ver-einsamung anklingen lässt.
Auch wenn die ihrer Idee nach dokumentarische Fotografie des Neuen Bauens kaum der „Straight photography“ zuzuordnen war, stand sie doch in eklatantem ästhetischem und politischem Kontrast zur romantisierenden Arbeit des kommerziell wohl erfolgreichsten spanischen Fotografen seiner Zeit, José Ortiz Echagüe (1886–1980). Der antimoderne, nationalkonservative, ethnische „Pictorialismus“ dieses bedeutendsten schauerromantischen Schilderers des „Schwarzen Spaniens“ hatte nicht nur formal wenig mit jener um Plastizität bemühten Licht-und-Schatten-Fotografie der Porträtisten des Neuen Bauens zu schaffen.
Einer deren frühesten Vertreter war der seit 1918 an der Architekturfakultät der ETSA Madrid als Fotograf tätige Luis Lladó y Fábregas. Die Daten über den 1874 in Barcelona geborenen Lichtbildner sind dürr, sein Archiv nur teilweise, bis zum Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1936, erhalten. Lladós Kompositionen zelebrieren die Magie der Nacht im Kunstlicht der Metropole. Damit fing er brillant die mondäne Eleganz von Art déco und Madrider Ratio-nalismus ein. Diese Streamline-Moderne, deren überragender Vertreter der gewandte Luis Gutierrez Soto (1890–1977) war, prägt mit ihrer an der Expressivität Erich Mendelssohns orientierten Architektursprache bis heute das großstädtische Bild des Herzens von Madrid zwischen Gran Via und Plaza Callao. Der Sieg Francos 1939 zwang Lladó jedoch ins mexikanische Exil, wo sich seine Spuren Ende der 40er Jahre verlieren.
Dokumentation oder Inszenierung
Nach der wirtschaftlich schwierigen Dekade der Autarkie im bürgerkriegsverwüsteten Spanien und den düsteren Jahren franquistischer Diktatur mit ihrer Idee einer Baukunst von katholischem Nationalhistorismus, begann das Regime ab Mitte der 50er Jahre die Zügel zu lockern und den entpolitisierten Stilelementen der Zweiten Moderne Raum zuzubilligen. Nach Jahren der Entbehrungen dürstete dem Bürgertum nach den Verheißungen des Kapitalismus – der Moderne von Petticoat, Automobil und Haus am Meer.
Diese Sehnsüchte setzte der Katalane Francesc Català-Roca (1922–1998), überragender Dokumen-tarist des aufstrebenden Barcelonas der Nachkriegsjahre, in bestechende Bilder. Seine Fotografien in Licht gebadeter mediterraner Domizile wurden zu Ikonen des neuen, anderen, sich touristisch öffnenden Spaniens. Allein die Arbeit dieses Fotografen verschaffte einer ganzen Generation katalanischer Architekten internationale Anerkennung, da die Aufnahmen, bedingt durch die traditionell engen Verbindungen zwischen Italien und Katalonien, schnell Eingang in die führenden Fachmagazine des eleganten Lebens wie Domus oder Casabella fanden.
Mit dem Bauboom der 60er Jahre verloren die Planungen der meist an der Peripherie der spanischen Städte gelegenen Wohnungsbauquartiere jeden Maßstab. Das Phänomen hemmungsloser Immobilienentwicklung beschränkte sich bekanntermaßen nicht auf die Großstädte, sondern verunstaltete bald zahllose Küstenabschnitte der Iberischen Halbinsel und der Balearen. Hier verdeutlicht die Ausstellung die Möglichkeiten der Fotografie zwischen Dokumentation oder Inszenierung analoger sozialer Vorgänge.
Unvermittelt treffen Aufnahmen zweier Großprojekte des für die Madrider Schule einflussreichen Architekten Francisco Javier Sáenz de Oiza (1918–2000) aufeinander: die 1958 geplanten Sozialwohnungen im Madrider Quartier Batan und die nur drei Jahre später begonnene, einhundert Appartements umfassende Feriengroßwohnanlage „Ciudad Blanca“ in Alcudia. Die Agentur von Juan Pandos Barrero (1915–1992) veranschaulicht ohne jede Beschönigung den kargen Stadtraum der Sozialwohnungsblöcke in Madrid, die in Barcelona ansässige Agentur von Oriol Maspons (1928–2013) und Julio Ubiña (1921–1988) inszeniert die mallorquinische Ferienanlage als poetisch abstrahierte Licht-und Schattengrafik.
Doch die industrialisierte Moderne war an ihren Wendepunkt gelangt, der Reiz ästhetisierter Baukörper wich dem Bestreben nach Expression und erdiger Stofflichkeit. Die Fotografien des Vordenkers und Mitbegründers der „Schule von Madrid“, Paco Gómez Martinez (1918–1998), oder auch des interdisziplinär arbeitenden Künstlers und Architekten Fernando Higueras (1930–2008) illustrieren den gesellschaftlichen Umbruch und das Revoltieren gegen die Beschönigung gesellschaftlicher Konflikte.
Mit solch frappanten Gegenüberstellungen gelingen der sorgsam kuratierten Schau erhellende Einblicke. Dabei blenden sowohl die Ausstellung selbst als auch der vorzügliche Katalog nicht die gleichermaßen heiklen Möglichkeiten von Fotografie und Fotograf im Transport der Ideen aus, wie sie Edward Weston schon 1917 feststellte: „Man kann die Gegenstände so arrangieren, dass die Ursachen, deren Wirkungen sie darstellen, beschworen werden, oder man kann sie als abstrakte Formen behandeln, um ein bestimmtes Gefühl hervorzurufen, ohne jede Bindung an die Objektivität der Aufnahme.“
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