Bauwelt

Das Haus Tochter der Sonne

Le Corbusiers Gedicht vom rechten Winkel

Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf

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© Fondation Le Corbusier/VG Bild-Kunst, Bonn 2012

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Das Haus Tochter der Sonne

Le Corbusiers Gedicht vom rechten Winkel

Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf

Steht eine Le-Corbusier-Neuinterpretation ins Haus? Das wohl nicht; aber die kleine, anregende Schau des Architekturmuseums der TU München müsste auch noch den letzten Kritiker, der Le Corbusier vor al­lem als Erfinder seelenloser Wohnmaschinen und Pionier funktionalistischer Großformate abkanzelt, zu einer Revision seines Urteils bewegen.
In der Pinakothek der Moderne sind zu sehen: Farbflächen, recht freihändig mit geschwungenen Umrisslinien verknüpft, als würden Léger und Picasso den Kubismus noch einmal neu erfinden; üppige Frauenkörper, die über die Flächen zu schweben scheinen; antikisieren­de Profile, rätselhafte Diagramme. Symbolhaltiges kommt hinzu: Sonne und Mond vor allem, eine Eule, ineinandergreifende Hände, eine Muschel, ein auf­gerichteter Mann, der Modulor am Strand etwa?
 
Le Corbusiers „Le poème de l’angle droit“ (Das Gedicht vom rechten Winkel) ist ein mit 19 Farb­lithografien bebildertes, handgeschriebenes Prosa­gedicht in sieben Strophen. Die Ausstellung fächert es detailliert auf, mit Vorstufen, begleitenden Zeichnungen und mit Gemälden, die eine ähnliche Sym­bolsprache sprechen. Fast sieben Jahre, von 1947 bis 1953, hat der Architekt an seinem selbsterklärten Opus Magnum gearbeitet, bis er es 1955 in einer li­mitierten und teuren, 155-seitigen Faksimile-Auflage von 250 Exemplaren beim Pariser Verlag Éditions Verve herausgab. Der Hingucker der Ausstellung ist die bisher nie realisierte Form, in der Le Corbusier sein Werk ursprünglich präsentiert wissen wollte: als mehrarmiges, aus sieben thematischen „Reihen“ bestehendes Kreuz, das in Anlehnung an byzantinische Ikonostasen sakral anmuten sollte.
 
Bisher war von diesem poetischen Manifest wenig die Rede. Vermutlich fiel es zu kryptisch aus, um als Schlüssel für Le Corbusiers Architektur tatsächlich breite Anerkennung zu finden. Einige Aussagen von ihm, vor allem aber Werbeprospekte und handgeschriebene Briefe an zögernde Subskribenten seines Werks – darunter die befreundete interna­tionale Architektenzunft – belegen: Für Le Corbusier stellte das Gedicht eine Art zusammenfassende Selbsterklärung dar, die davon überzeugen wollte, dass die vermeintlichen Gegensätze sich doch aus einer einzigen kreativ-poetischen Quelle speisen. „Peinture, architecture, sculpture, sont un unique phenomenon de natur plastique“, meinte er einmal.

Bekanntlich pendelt Le Corbusiers Œuvre je nach Auftraggeber zwischen Rationalität und erfindungsreicher, archaischer Plastizität, seriellem Großbau und individualistischer Villa. So ist das Gedicht, das zeitgleich mit der Unité d’Habitation in Marseille und der humanistisch gedachten Maßeinheit des Modulors entstand, wohl auch vor dem Hintergrund der Erfahrung des Krieges zu sehen, die eine humanere, auch stärker der Natur verpflichtete Dimension des Bauens nahelegte.

Die Frage nach der Umsetzung dieser Philosophie in den Bauten Corbusiers verdiente eigentlich eine eigene Ausstellung. Eine ganze Reihe von Details, etwa an den Regierungsgebäuden in Chandigarh, an der Kapelle von Ronchamp, an Le Corbusiers eigenem Refugium, dem kleinen Holzhaus Cabanon an der Côte d’Azur, oder im „Skulpturenpark“ auf dem Dach der Marseiller Unité – der Sonnenseite des Hauses –, ließen sich wahrscheinlich ohne Schwierigkeiten mit dem poetischen Kosmos des Gedichts in Verbindung bringen. Mit der ansprechenden, neu aufgelegten und neu übersetzten Faksimileausgabe des Werks als Führer müsste dies auf eigenen Architekturreisen eigentlich gelingen.

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