Denkgebäude
von Hans Dieter Schaal im Ulmer Museum
Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm
Denkgebäude
von Hans Dieter Schaal im Ulmer Museum
Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm
Mit dem Zeichenstift und per Modell umkreist der Architekt, Bühnenbildner, Ausstellungsgestalter und Künstler Hans Dieter Schaal Raum und Architektur nun schon einige Jahrzehnte und fördert dabei immer wieder überraschende Variationen zutage.
Die gegenwärtige Werkschau im Ulmer Museum wird mit rund hundert Zeichnungen und über dreißig Modellen zum Beleg seines umfassenden Raumbegriffs.
1943 in Ulm geboren, gehört Schaal einer Generation an, für die es essenziell ist, Erscheinungen und Verhältnisse zu „hinterfragen“. Das erklärt vielleicht den immensen Ertrag an gezeichneten Analysen, Interpretationen und Variationen, die er festhält, wenn er über Architektur, Mensch, Technik und Natur nachdenkt. Schaal nimmt für die Präsentation in Ulm alles unter die Lupe, was sich im Zusammenhang mit dem Ausstellungstitel „Denkgebäude“ zeichnen und formen lässt. Ihn interessieren Behausungen und poetische Gebilde jeder Art, utopische Architekturentwürfe und abgehobene Raumstrukturen, ebenso wie räumliche Darstellungen von Assoziationsketten, Metabildern und Vernetzungen. Die Motive seiner materialisierten Denkprozesse bewegen sich zwischen Fiktion und Realität.
Solche Zwischenzonen, in denen utopische Ideen in gebaute Architektur übertragen werden können, ohne ihre Tauglichkeit als nutzbare Objekte beweisen zu müssen, findet Schaal insbesondere als Bühnenbildner und Ausstellungsarchitekt. Internationale Beachtung fand er mit Arbeiten für Theaterproduktionen, vor allem für Operninszenierungen von Ruth Berghaus. Als Ausstellungsgestalter hat er sich einen Namen gemacht mit Konzepten für das Museum für Film und Fernsehen im Berliner Sony-Center, aber auch für die KZ-Gedenkstätten Mittelbau-Dora, Bergen-Belsen und zuletzt Esterwegen.
Fundament und Fundus für Hans Dieter Schaals Arbeiten ist die Architekturgeschichte. Einen eindrucksvollen Querschnitt durch den Kosmos seiner Konstruktionen bildet die „surreal-poetische Stadtlandschaft“ aus Miniaturmodellen und Versatzstücken auf einer raumfüllenden Bodenplatte ab. Anklänge an die Revolutionsarchitekten Ledoux und Boullée, an Tatlin und El Lissitzky, an die Utopisten des 20. Jahrhunderts sind unverkennbar, und Schaal übersetzt sie ironisierend wie im Fall der Rolltreppe, die geradewegs in die Buchsbaumkugel führt, oder bei einem Haufen Bruchstücke (der Architekturgeschichte?), die sich an anderer Stelle wie Raumakrobaten auf dünnem Gestänge neu formieren.
Analogien liegen nicht immer auf der Hand. Einige Objekte bleiben beziehungslos und deutungsoffen – bis man sie in einem Ausstellungskonzept oder Bühnenbild wiederentdeckt, wie zum Beispiel die elegant geschwungene Treppe für das Ballett „Cinderella“ am Moskauer Bolschoi-Theater. Ein Element, das erst dort Bestimmung und Bedeutung bekommt. Kräftiger fällt die Symbolik beim „Türenfeld“ aus, einem Modell mit Reihen von grauen Türen und eingemauerten Wegen, die ins Nichts führen. Ein Gemälde mit Mond schwebt über der labyrinthischen Anordnung und scheint vom Vorteil der Distanz zu künden, aus der Zusammenhänge deutlicher zu sehen sind.
Schaals Konstruktionen sind keine geometrischen Gebilde nach Maß und Zahl, sondern Bilder, die etwas erzählen wollen. Keine konkrete Architektur, aber Raum für Denkanstöße.
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