Bauwelt

Die Enkelgeneration

Editorial

Text: Crone, Benedikt, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin

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Abb.: Europan

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Abb.: Europan


Die Enkelgeneration

Editorial

Text: Crone, Benedikt, Berlin; Friedrich, Jan, Berlin

Die Brache am Hafen, die vergessene ­Siedlung jenseits der Gleise, das Häuschen im Grünen: Junge Architekten beackern das Hinterland der europäischen Stadt
Rätseln Hobbypsychologen über die Entwicklung der Baugeschichte, greifen sie gerne zur Drei-Generationen-Formel: Die Jugend setzt sich ab von dem, was die Elterngeneration ihr hinterlassen hat, und orientiert sich wiederum an der Groß­elterngeneration, deren Werke sie vom schlechten Ruf befreien möchte und unter neuem Vorzeichen kopiert. Durfte man nach dem aktuellen Hype um die Nachkriegsmoderne bei Europan 12 also die Rehabilitation der Postmoderne erwarten?
Ganz so einfach scheint das mit der Baugeschichte doch nicht zu gehen. Das jedenfalls legen die Ergebnisse nahe, die die aktuelle Ausgabe des größten europäischen Wettbewerbs für junge Architekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten unter 40 zeitigte. Fortführung und Abgrenzung – das geschieht parallel. Die Frage etwa, wie sich Großwohnsiedlungen oder Verkehrsinfrastrukturen der sechziger und siebziger Jahre aufwerten lassen, die uns heute so überdimensioniert erscheinen, beantworten manche Teilnehmer, indem sie kleinstparzellierten Misch- und Wildwuchs dazwischensäen. Wohingegen andere abermals zu Großstrukturen greifen, mit denen sie hoffen, zerrissenen Unorten an den Stadträndern mit einem Schlag neues Leben einzuhämmern.
51 Standorte in 16 Ländern, von Porto Brandão in Portugal über Kuopio in Finnland bis nach Gjilan in Kosovo. 1762 eingereichte Entwürfe von Teams aus 44 Nationen. 43 erste Preise, 63 Ankäufe, 64 Anerkennungen, macht zusammen 170 prämierte Arbeiten. Sich Europan zu nähern, das beginnt unweigerlich mit einer Materialschlacht. Und unausweichlich stellt sich die Frage: Wie soll man aus all diesen unterschiedlichen Aufgaben, Projekten und Darstellungsarten eine auch nur annähernd repräsentative Auswahl treffen? Vielleicht hilft das Meta-Thema von Europan 12 weiter, „The Adaptable City“, die anpassungsfähige Stadt? Dazu schreibt allerdings einer der Preisträger treffend in seinem Erläuterungstext, die anpassungsfähige Stadt sei im Grunde eine Tautologie, schließlich sei „Stadt“ per se ein anpassungsfähiger Organismus; das Thema bedeute somit kaum mehr als „die städtische Stadt“. Von dieser Seite also auch wenig Hilfe beim Sortieren.
Aber natürlich lassen sich Themen kondensieren, die auf die eine oder andere Art in den Auslobungen und in den Entwürfen immer wieder auftauchen. Die Frage von Beteiligung zum Beispiel. Wie müssen Planungsprozesse gestaltet sein, die Bürgerbeteiligung wirklich befördern? Welche Rolle spielt der Planer selbst dabei? Die eines Moderators? Oder lassen sich mit den ureigensten Mitteln der Architektur Beteiligungsprozesse anstoßen – wie es die ersten Preisträger im dänischen Aalborg versuchen? Und drückt nicht der ungebrochene Glaube an die Kraft der großen Geste die Hoffnung aus, dass Architekten selbst in Zeiten leerer Kassen mehr Einfluss nehmen können, als nur noch Spielregeln zu entwerfen, die den schlimmsten Ausverkauf öffentlicher Interessen verhindern sollen?
Wettbewerbsteilnehmer, die „klassische“ städtebauliche Lösungen entwarfen, hatten an den meisten Standorten bessere Aussichten auf den 1. Preis. Mit Ankäufen und Anerkennungen wurden experimentellere Konzepte bedacht, die sich ein Stück vom Anforderungskatalog der Auslobungen lösen und die Möglichkeiten ausschöpfen, die ein Ideenwettbewerb wie Europan bietet. Gerade diesen Entwürfen widmen wir die folgenden Seiten. Selten stehen die dort formulierten Ideen für die beste ortsspezifische „Muster“-Lösung, sie können vielmehr Anregung sein für einen generell anderen Umgang mit den Sorgenkindern des Stadtraums: mit Reststücken zwischen Gleisanlagen, Abstandsflächen an Autobahnkreuzen, altlastenverseuchten ehemaligen Produktionsstätten – mit Orten also, die üblicherweise als Rück- und Kehrseite der „europäischen Stadt“ betrachtet werden. Dass in nicht allzu ferner Zukunft die Ein- und Zweifamilienhausgebiete vieler deutscher Städte dazugehören werden, haben wir – mit einigem Erstaunen – auch erst durch Europan 12 gelernt.

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