Bauwelt

Eigenhändig

Das Wiener MAK präsentiert Nomadic Furniture 3.0

Text: Kasiske, Michael, Berlin

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    „Jerszy Seymour – amateur workshop“, 2010, Centre Georges Pompidou, Paris
    © Jerszy Seymour

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Foto: © MAK/Georg Mayer; chmara.rosinke; MALAFOR

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Eigenhändig

Das Wiener MAK präsentiert Nomadic Furniture 3.0

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Auf einem Panel in der Ausstellung wird explizit die Frage gestellt: „Nomadische Möbel – gibt es so etwas überhaupt?“ Tatsächlich führt der Titel „Nomadic Furniture 3.0“ in die Irre. Nomadic Furniture, so hießen zwei Vademekums der Do-it-yourself-Bewegung zum Möbelbau, die vor vierzig Jahren erschienen.
Es geht in der aktuellen Schau des Wiener MAK also nicht um irgendwelche „Nomaden-Möbel“, sondern um Selbstbau: informierte Laien, die ihre Wohngestaltung wortwörtlich selbst in die Hand nehmen. Wie ist der Stand der Dinge im – „3.0“ deutet das an – Computerzeitalter?
Immer wieder hat sich Design in den vergangenen 100 Jahren mit sogenannter Alternativkultur verbunden. Die Ausstellung erläutert das in vier Kapiteln. „Archiv/Forum“ heißt das umfangreichste. Anhand der einschlägigen Literatur lässt sich der Bedeutungswandel des Selbstbaus verfolgen: von prak-tischen Ratgebern über Kompendien der 20er Jahre, die unverkennbar der Wirtschaftskrise geschuldet waren, und konsumkritische Anweisungen der frühen 70er bis zu heutigen Schriften, die im Amateurhandwerk einen Ausgleich zum virtuell geprägten Arbeitsalltag sehen. Frühe Beispiele wie Gerrit Rietvelds „Crate Furniture“ von 1934, eine aus Brettern konzipierte Serie, oder Ferdinand Kramers „Knock-Down-Möbel“, ein System von Kombimöbeln, sind auf Bildschirmen in der Ausstellung präsent und belegen, dass auch Vertreter der Moderne die „gute Form“ zu erschwinglichen Preisen, unabhängig von der Massenproduktion, ermöglichen wollten.
Die Möbel im Kapitel „Wohnen/Leben“ sind als benutzbare Stühle, Tische und Hocker, nicht als Exponate in Szene gesetzt. Und dass die eigenhändige Fertigung mindestens ebenso wichtig ist wie das Ergebnis, verdeutlichen die dokumentierten Selbst­versuche einiger an der Ausstellung Beteiligter, die unter Anleitung der polnischen Designer Maciej Chmara und Ania Rosinke die präsentierten Stücke gebaut haben. Höchst unterhaltsam sind ihre Einschätzungen des Schwierigkeitsgrads, der Brauchbarkeit der Pläne und der Lust zur Wiederholung.
„Werkstatt/Labor“ zeigt Ausgangsmaterialien wie zugeschnittenes Holz oder serielle Halbfertigteile. Meistens enthalten die dazugehörigen Baupläne klare Handlungsanweisungen. Der italienische Designer Enzo Mari, der durch die Studentenbewegung zu einer Eigenbauserie inspiriert wurde, hat seine Anleitungen jedoch absichtlich unpräzise gehalten, um die Kreativität der Monteure anzuregen.
Das Kapitel „Markt/Konsum“ ist den Verfassern der eingangs erwähnten „Nomadic Furniture 1&2“ gewidmet, dem Designer James Hennessey und dem Designphilosophen Victor Papanek. Ihre Bauanleitungen, als Reaktion auf das akademische Wanderleben entwickelt, verstanden die Autoren auch als Kritik am Konsumverhalten Amerikas; ästhetisch wollten sie dem „ärgsten Ramsch“ die Kunst- und Handwerkstradition der skandinavischen Länder entgegensetzen.
Und heute? Obwohl nicht zuletzt die Ökologie ein wichtiges Argument für den Selbstbau ist, wird selten Vorhandenes recycelt, man verwendet meist einfache, aber neue Materialien. Dieses Prinzip bestimmt auch die kongeniale Ausstellungsgestaltung von raumlaborberlin: Die Raumteiler aus rohen Latten, von unverkleideten Holzrahmenbauten in San Francisco inspiriert, lassen die einzelnen Ausstellungsbereiche wie Versuchsanordnungen wirken.
Die junge Generation „Computer“ macht ihre Entwürfe als Download für jedermann zugänglich. Ungelöst bleibt bislang die Frage, wie dabei die Leistung des Urhebers honoriert wird. Die Prosumer-Kultur, das heißt die kooperative Verschränkung von Produzent und Konsument, steckt noch in den Anfängen. Doch ihre Chancen auf Fortsetzung stehen gut, kann sie doch wesentlich besser als die auf Einheitlichkeit ausgelegte Industrieproduktion den Bedarf nach individuell gearbeiteten Produkten befriedigen. Und, nicht zu vergessen, die Herstellung am Ort der Nutzung ist zweifelsohne höchst ressourcenschonend. „Nomadic Furniture 3.0“: Das sind Objekte, die ohne professionelle Marketingstrategen und Servicemanager direkt zur „Basis“ gelangen wollen – sei es als erneuerte Konsumkritik, sei es als sinnvolle Freizeitbetätigung.
Fakten
Architekten raumlaborberlin; Rietveld, Gerrit (1888-1964); Kramer, Ferdinand (1898-1985); chmara rosinke, Wien; Mari, Enzo, Mailand; Hennessey, James; Papanek, Victor (1923-1998)
aus Bauwelt 26.2013
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