Erinnerungen an Ralf Schüler (1930-2011)
Text: Peschken, Goerd, Berlin
Erinnerungen an Ralf Schüler (1930-2011)
Text: Peschken, Goerd, Berlin
Wir haben zusammen studiert. Er fiel auf durch Begeisterungsfähigkeit. Und Jähzorn. Er konnte nach einem missratenen Strich aufspringen, den Schoeller-Hammer-Karton vom Tisch reißen und in der Luft zerfetzen.
Er hatte Elektro-Mechaniker gelernt, war leidenschaftlicher Techniker. Sein Lehrer Bernhard Hermkes, ein kalter Macher, engagierte den jungen Perfektionisten als Bauleiter für das Architektur-Gebäude der TU Berlin am Ernst-Reuter-Platz. Schüler dürfte bei seinem Temperament und seinem Einsatz auch schon am Entwurf und Innenausbau des Hauses mitgewirkt haben. Er stürzte sich in die Praxis, ließ Diplom Diplom sein. Hermkes hätte dafür sorgen sollen, dass sein Bauleiter auch das Diplom machte. Es kam aber nicht zu Nachteilen. Schüler gewann unsere Kommilitonin Ursulina Witte zur Frau, sie brachte das Diplom in den Firmentitel mit. Sie ist auch erste kritische Instanz für Schülers Entwürfe gewesen.
Kaum dass die Architektur-Fakultät fertig war, gewann das Ehepaar den Wettbewerb um das Kongresszentrum. Das Projekt hing mit der Entspannungspolitik der SPD zusammen. Die gemeinsamen politischen und vor allem wohl wirtschaftlichen Interessen von BRD und DDR sollten dort öffentlich ausgelotet werden. Das war vielleicht ein bisschen blauäugig. Die DDR-Regierung antwortete alsbald mit einem eigenen Kongressbau, dem Palast der Republik. Der wurde, obwohl später begonnen, noch vor dem West-Kongressbau fertig. Ein totalitärer Staat muss keine Ausschreibungsfristen einhalten. Für den großen Saal (5000 Plätze) mit einklappbaren Emporen ist hier wie dort derselbe Fachingenieur, Klaus Wever, tätig gewesen.
Der Bauplatz des Kongresszentrums war meines Entsinnens zuerst bei der Deutschlandhalle vorgesehen. Die Verlegung auf das schmale Grundstück zwischen Stadtautobahn/S-Bahn-Ring und Messedamm erforderte einen ganz neuen Entwurf, brachte aber Urbanität, die einen halben Kilometer weiter draußen völlig gefehlt hätte. Die Anbindung mit Vorfahrt und Hochgarage an Avus-Verteiler und Autobahnring, die Schall-Isolierung u.a.m. waren technische Aufgaben von höchstem Reiz. Schüler erwies sich als großer Organisator. Aber auch als Künstler. Von außen ist der Bau ein Wahrzeichen. Und innen die Foyers, dazu bestimmt, zwischen den offiziellen Veranstaltungen informelle Kontakte zu knüpfen, wirken wunderbar angenehm entspannt.
Schüler hatte sehr gut verdient. Nun konnte sich sein Familiensinn bewähren. Er verwöhnte seine Schwiegereltern, seine Freunde (mich hat er ein ganzes Jahr über Wasser gehalten), auch sich
selber. Er kaufte sich eine Villa in Lichterfelde (Wiener Jugendstil von Sepp Kaiser, der in Berlin sonst nur den Hochbahnhof Gleisdreieck entworfen hat), stellte Mackintosh-Stühle in die Halle. Und sammelte Dampf-Lokomotiven, hatte seine Lust an den dicken Ungetümen aus schwarzem Eisen. Er hatte auch eine Dampfwalze, hatte die Standard-Güterzugslok der Reichsbahn, hatte die 01-Schnellzuglokomotive!
selber. Er kaufte sich eine Villa in Lichterfelde (Wiener Jugendstil von Sepp Kaiser, der in Berlin sonst nur den Hochbahnhof Gleisdreieck entworfen hat), stellte Mackintosh-Stühle in die Halle. Und sammelte Dampf-Lokomotiven, hatte seine Lust an den dicken Ungetümen aus schwarzem Eisen. Er hatte auch eine Dampfwalze, hatte die Standard-Güterzugslok der Reichsbahn, hatte die 01-Schnellzuglokomotive!
Er dachte in Zusammenhängen. Als er den Auftrag für den U-Bahnhof Schlossstraße erhielt, mit den vielen Verkehrsebenen übereinander für U-Bahn, Fußgänger, Straße, konzipierte er dazu die Überführung der Schildhornstraße und das kleine Turmrestaurant, das die Berliner Bierpinsel getauft haben.
Er musste einfach die besondere Situation steigern, baulich beantworten.
Er musste einfach die besondere Situation steigern, baulich beantworten.
Ein anderer Zusammenhang wurde ihm zum Schicksal. Er bekam die Brücke über den Landwehrkanal zur Lichtensteinallee zu bauen. Und fand heraus, dass an der Stelle Rosa Luxemburg erschlagen und ins Wasser geworfen und die Lichtensteinallee weiter hinunter Karl Liebknecht erschossen worden war. Wieder musste er auf die Situation entwurflich antworten. Er schenkte der Stadt zwei Denkmäler. Die Stadt musste die Aufstellung auf öffentlichem Grund genehmigen. Das Abgeordnetenhaus fühlte sich vorgeführt, stimmte gewissermaßen zähneknirschend zu – man konnte doch nicht die Partei der Mörder nehmen. Die beiden Denkmäler, Kunstwerke von gewaltiger Kraft, sind vielleicht das Stärkste, was Schüler gemacht hat. Schüler war beileibe nicht Kommunist; es ging ihm um politische Hygiene. Weil er sich prominent fühlte, glaubte er sich verpflichtet, für das Land einzustehen (im Unterschied zu den Prominenten, die das Land für sich einstehen lassen). Auf einmal gingen alle Türen zu, und Schüler sah sich in den Konkurs getrieben. Er hat darüber sein ganzes Vermögen verloren, sein Haus, die geliebte Lokomotivsammlung. Und empfand den Konkurs auch noch als persönliche Schande. Er hat danach noch dies und das gebaut. Der große Glanz aber kam nicht wieder.
Für das Berliner Schloss hat er 1993 vorgeschlagen, die Mauern zu rekonstruieren, die Höfe zu- zubauen und, wo die Innenräume gewesen waren, Bäume und Sträucher hochwachsen zu lassen, die man durch die leeren Fensterhöhlen gesehen hätte – Trauer-Gebärde einer Generation, die noch das alte Deutschland hat in Trümmer sinken sehen, und die nun geht.
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