Bauwelt

Gregotti und Salvatore

Vittorio Gregotti und Gaston Salvatore, zwei Namen, die seit Jahrzehnten zu Venedig gehören. Der eine ist Architekt und Stadtplaner, der andere Schriftsteller und Dramatiker. Beide sehen mit großer Sorge auf die Stadt.

Text: Marcello, Delfina, Venedig

Gregotti und Salvatore

Vittorio Gregotti und Gaston Salvatore, zwei Namen, die seit Jahrzehnten zu Venedig gehören. Der eine ist Architekt und Stadtplaner, der andere Schriftsteller und Dramatiker. Beide sehen mit großer Sorge auf die Stadt.

Text: Marcello, Delfina, Venedig

Herr Gregotti, wie sehen Sie die Zukunft Venedigs?
Seit 25 Jahren wird die Lage immer schlechter, weil versäumt wurde, mit neuen Konzepten aus Venedig eine gut funktionierende Kommune zu machen. Die Stadt hat sich in eine Art Hotel Venezia verwandelt. Darin liegt das Problem. Die Zahl der Touristen ist mindestens doppelt so hoch wie die der Einwohner. Sie steigt sogar exponentiell.
Wie ließe sich das Problem lösen?
Mit Regulierungen. In Japan können bestimmte Sehenswürdigkeiten nur besucht werden, wenn man sich sechs Monate vorher angemeldet hat. In Venedig ist man an Regulierungen nicht interessiert. Das Geldverdienen lockt.
Und die Kreuzfahrtschiffe?
Als mein Freund Massimo Cacciari noch Bürgermeister war, wollten wir die Schiffe über die Fahrrinne der Großtanker bis zu den Häfen von Marghera oder Mestre führen. Daraus wurde nichts. Fortan bedrohen die Schiffe die Stadt. Ein weiteres Problem ist das extrem teure Flutabwehrsystem MO.S.E. Wir sind nicht sicher, ob es jemals perfekt funktionieren wird. Sicher ist aber, dass sich, abgesehen von den technischen Fragen, die Realisierung immer weiter verzögert. Es sollte längst fertig sein. Nun sagt man, in zwei Jahren. Ich glaube, es wird noch mindestens doppelt so lange dauern.
Was halten Sie vom Shoppingcenter Fondaco dei Tedeschi, ehemals die Hauptpost?
Ich bin aus drei Gründen absolut dagegen. Erstens: Venedig muss – aus seiner Logik heraus – eine Stadt des Kleinhandels bleiben. Zweitens: Dieses Gebäude der deutschen Kaufleute aus dem 16. Jahrhundert war schon in einem schlechten Zustand, als die Post dort einzog. Man darf nicht vergessen, es ist ein Baudenkmal, mit Giorgione auf den Fassaden und Tizian in den Innenräumen! Das Gebäude braucht eine gewissenhafte Restaurierung. Drittens: Rem Koolhaas ist eine intelligente Person, aber auch ein ausgekochtes Schlitzohr, einer mit viel Sinn für die enge Beziehung zwischen Architektur und der heute alles beherrschenden Finanzwelt, und diese enge Beziehung spiegelt sich hier wider. Ich denke, dass Koolhaas gerade wegen seiner jahrzehntelangen Einstellung gegen die Geschichte, gegen den Ort, den Kontext, nicht mit diesem Projekt für Venedig hätte beginnen dürfen.
Wie kann man Ihrer Meinung nach eine neue Konzeption für den Lido finden?
Mittlerweile gibt es dort noch 16.000 Einwohner, hinzu kommen 4000 Saisonarbeiter. Der Lido lebt fast nur vom Luxustourismus. Es ist nicht so, dass dieser Tourismus in der Krise steckt, im Gegenteil, die Welt ist voll von Reichen und Schönen, die hierher kommen. Sie wollen aber in Venedig sein, und so wird die Stadt zum konkurrierenden Gegenspieler für den Lido. Er muss andere Bestimmungen finden oder Funktionen wiederaufnehmen. Man könnte die Universitätsstandorte zusammenfassen. Die Insel muss eine nachhaltigere Bedeutung bekommen, als an zwei Wochen im Jahr das Filmfestival zu präsentieren. Sie verlangt nach einem Gesamtkonzept, das sowohl diejenigen berücksichtigt, die dort wohnen, als auch neue Perspektiven eröffnet.
Der Immobilienkonzern Hines Italia bittet Sie um einen Plan für den Lido. Was ist vorgesehen?
Die Gespräche hängen noch in der Luft.
Herr Salvatore, ist Venedig zu retten?
Vor ein paar Jahren habe ich mich mit einigen Architekten, darunter Giorgio Lombardi, mit der Stadterneuerung auseinandergesetzt und ein Projekt entwickelt. Es war ein Kunst- und Infrastrukturvorhaben, das wir im ehemaligen Kloster Sant’Anna umsetzen wollten. Es sollte eine Theaterbühne, einen Konzertsaal, Studios für Musik und Dichtung usw. geben – ein Haus für alle Sparten. Das war die Idee. Die Deutsche Bank wollte die Finanzierung übernehmen. Daraus wurde nichts, und ich habe mein Gesicht verloren.
Was ist passiert?
Das Problem ist, dass man in dieser Stadt nichts umsetzen kann. Damals hat mir die Universität die Idee weggeschnappt. Ich wurde noch nicht einmal zur Eröffnung eingeladen. Sie sind allerdings kläglich gescheitert. Es gibt so viele Dinge, die Venedig für den Fortbestand des Kulturlebens unbedingt machen muss. Ich war enttäuscht. Mir kommt kein Politiker der Stadt mehr ins Haus. Venedig liegt im Sterben, und diejenigen, die dafür verantwortlich sind, müssen draußen bleiben.
Welche Rolle spielte Venedigs damaliger Bürgermeister Massimo Cacciari?
Cacciari hatte mir viel versprochen. Er hat die Stadt aber sterben lassen, und ich weiß nicht, wie man sie jetzt noch reparieren kann.
Glauben Sie, dass der Philosoph Cacciari für die Politik taugte?
Er ist phänomenal gut darin, im Fernsehen Banalitäten zu verkünden, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Ich habe einen Universitätsabschluss in Volkswirtschaft und sollte Cacciaris Bücher eigentlich verstehen können, aber man kapiert rein gar nichts.
Die einzige wichtige Neuerung in Venedig ist das MO.S.E-Flutabwehrprojekt.
Das MO.S.E war von Beginn an eine Idiotie. Freunde von mir arbeiten beim „Magistrato alle Acque“. Zu denen sage ich immer: „Dass ihr tatsächlich noch frei herumlauft!“ Irgendwann haben sie mir erzählt, was sie dort tun – „Beratung“ nennen sie das – und kassieren jeden Monat ihr Gehalt dafür! Plus ein kleines Extra, falls es schneller gehen soll mit den netten Machenschaften, seit dreißig Jahren geht das so! In Wahrheit will hier keiner was machen, außer Geld.
Gibt es einen Architekten, der Sie interessiert?
Renzo Piano ist ein guter Freund, wir haben uns gerne ausgetauscht. Er hat hier bei mir gewohnt, allerdings war das in einer anderen Zeit, jetzt stehen wir uns nicht mehr so nahe. In Genua hatten wir gemeinsam ein Theater in Hufeisenform entworfen, das eine Ende lag unter freiem Himmel. Eine Inspiration für den Entwurf war die Berliner Schaubühne, der Mendelssohn-Bau mit den neuen Sälen. Wir haben viel daran gearbeitet, doch es ist dann nichts dabei herausgekommen.
Sie haben eine schöne Wohnung und schauen auf die Kreuzfahrtschiffe.
Ich wohne nicht in einem Palazzo am Canal Grande aber in einem privilegierten Haus, denn man hat von überall einen Blick aufs Wasser. Wir alle tun so, als wären die Ozeanriesen gar nicht da. Einer, der es ernst meint mit dem Protest gegen die Durchfahrt dieser Schiffe, der müsste ein Eimerchen nehmen, wie es die Kinder am Strand haben, von irgendeiner beliebigen Stelle in Marghera ein bisschen Erde hineinschaufeln und ins Labor tragen. Nach der Bodenanalyse wäre das gesamte Areal Sperrgebiet. Und was tun die Politiker? Im Park San Giuliano packt man einfach eine dünne Schicht unverseuchter Erde obendrauf. Dann haben sie dort Wohnungen für junge Familien gebaut und teuer verkauft. Bekannte von mir wohnen jetzt dort in Marghera. Sie leben direkt auf dem Gift! Nicht die kleinste Erdbeere hier aus der Gegend würde ich essen, bei meinem Leben nicht. Und was ist mit dem Feinstaub? Kümmert das irgendjemanden, obwohl man doch weiß, dass Menschen daran sterben?
Wollen Sie hier bleiben?
Ich vermiete und ziehe weg. Naja, das bleibt wohl eher frommer Wunsch – was sich ein alter Mann wie ich eben so denkt! Über Venedig habe ich ein paar kurzlebige Sachen geschrieben, und man kennt mich dafür. Jetzt schreibe ich an einem Roman auf Spanisch und würde gern in Chile leben, in Vigna del Mar bei El Paraiso. In Strandnähe gibt es noch diese kleinen Häuser, wo früher die frisch Verheirateten einzogen, nur das Nötigste zum Leben, knapp hundert Quadratmeter, ein Gärtchen. Früher konnte man von dort aufs Meer schauen, jetzt haben sie Wol-kenkratzer davorgeklotzt, die Aussicht ist also futsch. Inzwischen sind dort überall Restaurants, aber in einem solchen Haus würde ich heu-te trotzdem gern leben – mit einer Sekretärin, die nach Diktat eine Reinschrift macht – das stelle ich mir als Alterswohnsitz ganz hübsch vor.
Fakten
Architekten Gregotti, Vittorio, Vendedig; Salvatore, Gaston, Venedig
aus Bauwelt 38.2014
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