Hier, heute
Bestandsaufnahme der Bouroullec-Brüder in Paris
Text: Kabisch, Wolfgang, Paris
Hier, heute
Bestandsaufnahme der Bouroullec-Brüder in Paris
Text: Kabisch, Wolfgang, Paris
Es ist eine der besten und erfreulichsten Designausstellungen der letzten Jahre. So viel vorneweg. „Momentané“ heißt diese Bestandsaufnahme nach 15 Jahren Designtätigkeit: Ronan und Erwan Bouroullec (Jg. 1971 bzw. 1976) „hier, heute, im Augenblick“ sozusagen.
Betritt man das Musée des Arts Décoratifs in Paris, staunt man erst einmal über die Veränderung des Hauptsaals: Ein künstliches Tonnengewölbe gibt dem schwierig zu bespielenden Raum eine neue Dimension. In Verbindung mit den Raumteilern aus Kunststoffalgen (Vitra) und Filzwolken (Kvadrat) der bretonischen Brüder ist ein beeindruckendes Geflecht aus Großskulpturen und Möbelentwürfen entstanden. Die zentrale Halle bietet jedem Besucher etwas: Fachleute wie Designinteressierte erhalten unterhaltsame Einblicke in die Welt des Designs.
Um den Arbeitsprozess selbst geht es in den beiden langen Nebenräumen des Museums. Zeichnungen, Videos, Konstruktionsdetails in Verbindung mit großen Wohn- und Bürolandschaften sind auf eine Weise aufeinander abgestimmt, dass sich das Gesamtkonzept geradezu spielerisch als Mosaik zusammensetzt. Beim Rundgang wird deutlich, dass zu der breitgefächerten Entwurfsarbeit von Ronan und Erwan Bouroullec auch eine enorme Fähigkeit zur Inszenierung gehört. Selten überzeugen Künstler, Architekten, Designer als ihre eigenen Ausstellungskuratoren. Einer solchen Ausnahme begegnet man hier.
Vorreiter mit begrenztem Einfluss
Es ist viel über die Qualität der Entwürfe der beiden geschrieben worden. Man muss deshalb an dieser Stelle nicht ein weiteres Mal im Detail auf ihre Industrieprodukte eingehen. Ronan und Erwan Bouroullec haben mit der Ausstellung erkennbar ein weitergehendes Anliegen. Sie ist als Plädoyer zu verstehen, die Rolle des Designers und seine Arbeit endlich ernst zu nehmen. Dieser Ansatz ist in seiner Bedeutung für Frankreich nicht zu unterschätzen. Während man im vergangenen Jahrhundert in Deutschland, Skandinavien oder Italien immer wieder Designer in den Führungsetagen von Unternehmen finden konnte (man denke da nur an Peter Behrens oder Dieter Rams), ist in Frankreich in dieser Hinsicht wenig passiert. Noch lange nach dem Krieg herrschte in der Öffentlichkeit die Meinung vor, Design sei das aus Kunststoff fabrizierte Souvenir. Dann plötzlich wurde Philippe Starck „das Design“. Erst in den letzten Jahren hat sich die Generation der Bouroullecs, wie Matali Crasset oder Mathieu Lehanneur, eine begrenzte Aufmerksamkeit als Vertre-ter einer eigenen Berufssparte sichern können. Allerdings arbeiten sie immer noch überwiegend für ausländische Firmen. Design als Wirtschaftsförderung mittelständischer Unternehmen ist bei den zuständigen Pariser Ministerien kein feststehender Begriff.
Die beiden Brüder sind sich ihrer Vorreiterfunktion sehr wohl bewusst. Und ihrer begrenzten Einflussmöglichkeiten ebenfalls. Deshalb bewegen sie sich zum Beispiel konsequent nur auf ihrem eigentlichen Arbeitsfeld. Beharrlich widerstehen sie jeglicher Ausweitung ihrer Tätigkeit in Gefilde der Architektur, selbst wenn sich das angesichts ihrer gelungenen Ausstellungsinszenierungen und ihres Gespürs für Raumlösungen anbieten würde. Ihre Eingriffe gehen allenfalls bis zur Hierarchisierung von Räumen durch Möbelentwürfe. Da sehen sie noch eine Lücke, die zwischen Architektur und Design zu schließen ist. Forschungsarbeit, die die Kosten treibt, finanzieren sie über Kleinserien für eine Pariser Galerie (Kreo). Einzelstücke für Sammler her-zustellen, das interessiert sie dagegen nicht.
Betrachtet man das Universum „der Bouroullecs“ anlässlich dieser Bestandsaufnahme etwas genauer, erkennt man: Sie sind nicht Teil einer Bewegung, Gruppe oder Strömung. Die beiden verkörpern entgegen anders lautenden Kategorisierungen keinesfalls „das junge französische Design“. Sie sind Individualisten, die sich auf hohem Niveau bewegen, die mit einer Ernsthaftigkeit und mit Konsequenz ihren selbstgesetzten Zielen folgen – sodass man über ihren Erfolg letztlich kaum erstaunt sein muss.
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