Bauwelt

Konzept für den Alten Markt in Potsdam

Auf dem Weg in die Leitbau­tenkultur

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

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Arte4D/Andreas Hummel, Christopher Kühn; im Auftrag von Stadtschloss Potsdam e.V., gesponsert von Friends of Dresden, New York/Prof. Dr. Günter Blobel

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Konzept für den Alten Markt in Potsdam

Auf dem Weg in die Leitbau­tenkultur

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

Die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung hat für das Gebiet um das zum Wiederaufbau vorgesehene Stadtschloss ein „Integriertes Leitbautenkonzept“ be­schlossen. Doch anders als am Dresdner Neumarkt, dem Vorbild für den Rekonstruktionsplan, stehen den neu-alten Barockfassaden in Potsdam Bestandsbau­ten und ihre Bewohner bzw. Nutzer im Weg.
Hinter dem Namen „Integriertes Leitbautenkonzept Potsdamer Mitte“ verbirgt sich eine ambitiöse Planung für die Neubebauung des Gebietes rings um das ehemalige Stadtschloss, das bis zur Zerstörung 1945 mit Adelspalästen aus der Zeit zwischen 1750 und 1800 bebaut war. Dieser Zustand soll zumindest ansatzweise wiederhergestellt werden. Geplant sind fünf insgesamt rund 30.000 Quadratmeter große Baublöcke, auf denen hochwertige Wohnungen, repräsentative Büros und exklusive Hotels in einem historisch anmutenden Ambiente entstehen sollen. Für einige der im Krieg zerstörten Gebäude ist eine weitgehende Rekonstruktion geplant („Leitbauten“); eine annähernd originalgetreue Rekonstruktion soll zum Beispiel der Palazzo Barberini an der Südseite des Alten Markts erfahren. Für sieben Häuser ist die Wiederherstellung der historischen Fassaden vorgeschrieben („Leitfassaden“). Für fünf weitere Gebäude soll es Gestaltungsvorgaben geben.
Der Nachkriegswiederaufbau in der Potsdamer Innenstadt erfolgte gemäß der Prämisse, mit einer Mischung aus Kultur, Bildung, Wohnen und Tourismus ein neues Stadtzentrum zu schaffen. In diesem Sinne entstanden das Interhotel Potsdam (1967–69, Sepp Weber), das Wohnhaus am Staudenhof (1971/72, Hartwig Ebert), die wissenschaftliche Allgemeinbibliothek (1970–74, Sepp Weber) und das Institut für Lehrerbildung (1971–77, Sepp Weber). Daneben wur­­den besonders wertvolle Altbauten wiederaufgebaut, etwa die 1830 bis 1849 von Karl Friedrich Schinkel errichtete Nikolaikirche und das 1753 bis 1755 von Jan Boumann und Carl Ludwig Hildebrandt erbaute Alte Rathaus.
Gegen Ende der 1990er Jahre formierte sich eine einflussreiche Lobbygruppe, die auf eine viel weitergehende Wiederherstellung der Vorkriegsbebau­ung drängte. Zu den Fürsprechern zählten Fernseh­moderator Günther Jauch, der die Wiedererrichtung des Fortunaportals des Stadtschlosses finanzierte, SAP-Gründer Hasso Plattner, der 20 Mio. Euro für die Rekonstruktion der Schlossfassade bereitstellte (Bauwelt 44.09), der Verein „Mitteschön“, der medienwirksam für eine historische Innenstadt trommelte, und der in New York lebende Nobelpreisträger Gün­ter Blobel, der sich bereits für den Wiederaufbau des Dresdner Neumarkts und der Leipziger Paulinerkirche engagiert hatte. Die von Blobel gegründete Stiftung „Friends of Dresden“ finanzierte aufwendige Visualisierungen, die die neu-alte Innenstadt in idealisier­ten Bildern zeigen, angefertigt vom Dresdner Büro Arte4D, das schon die Computersimulationen vom Dresdner Neumarkt erarbeitet hatte.
Diese Lobbyarbeit trug Früchte: Im Mai 2006 beschloss die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung einen Masterplan für die Potsdamer Mitte, der den Abriss von Nachkriegsbauten und eine historisierende Neubebauung vorsah. Im Januar 2007 folgte ein Beschluss für den Wiederaufbau des Stadtschlos­ses. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markiert nun das „Integrierte Leitbautenkonzept“, das Anfang September beschlossen wurde – „mit Stimmenmehrheit bei zahlreichen Gegenstimmen“, wie im Sit­zungs­protokoll nachzulesen ist.
Die Befürworter erhoffen sich vom Wiederaufbau eine „Wiedergewinnung“ der historischen Innen­stadt, eine „Heilung“ von „Wunden“ im Stadtkörper. Politisch umstritten ist das Konzept vor allem deshalb, weil für die neu-alte Innenstadt bestehende Ge­bäude abgerissen werden sollen, so das ehemalige Institut für Lehrerbildung, das heute von der Fachhochschule genutzt wird. Die Planung sieht den Um­zug der FH in einen Neubau auf dem Bornstedter Feld vor. Die Stadtverordneten der Linkspartei und der Gruppe „Die Andere“ dagegen betrachten die Hochschule als eine Bereicherung der Innenstadt und fordern ihren Erhalt, konnten sich in der Stadtverordnetenversammlung damit jedoch nicht durchsetzen. Im August dieses Jahres aber schien wieder alles anders zu werden, als das brandenburgische Wissenschaftsministerium bekanntgab, dass der Neu­bau der FH aufgrund von Sparzwängen nicht realisiert werden könne. Die Hochschule beschloss daraufhin den Stopp aller Umzugsvorbereitungen und die Sanierung ihres Gebäudes. Die Potsdamer Stadtverwaltung will das Haus dagegen weiterhin ab 2013 abreißen lassen. Wie die Sache ausgeht, ist offen.
Für Kontroversen sorgen auch die geplanten Abrisse des benachbarten Wohnhauses am Staudenhof mit 188 preiswerten Wohnungen, die derzeit von einer bunten Mischung aus Studenten und Künst­lern unterschiedlichster Nationalitäten bevölkert werden, und des ehemaligen Interhotels Potsdam, das heute als Hotel „Mercure“ firmiert. Das siebzehn­geschossige Hochhaus zählt dank seiner zentralen Lage und den Panoramablicken, die es bietet, zu
den beliebtesten Hotels der Stadt. In den vergange­­nen Jahren wurde es saniert, der Betreiber Accor geht von einem langfristigen Betrieb aus. Die jetzige Planung sieht jedoch den Abriss des Hotels vor, für Kauf und den Abbruch werden mindestens 10 Mio. Euro kalkuliert. Die Abrissgegner unterschiedlichster Frak­tionen halten einen solchen Kauf aufgrund der schwie­rigen Finanzlage der Stadt für unbezahlbar und befürchten zudem Einbußen beim Tourismus.
Vor einer Umsetzung des Leitbautenkonzepts wären in Potsdam also noch eine Reihe von Streitpunkten zu klären. Zwar hat Ende September die Ausschreibung für zwei der fünf Baufelder begonnen. Doch ob und wenn ja wann die übrigen Baufelder bebaut werden, ist unklar.

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