Kunst im Kreis 5
Ein Festival beleuchtet die aufregendste Gegend von Zürich
Text: Adam, Hubertus, Zürich
Kunst im Kreis 5
Ein Festival beleuchtet die aufregendste Gegend von Zürich
Text: Adam, Hubertus, Zürich
Ein Besuch des Quartiers in all seiner Ambivalenz zwischen alt und neu lohnt allemal, und das Kunstfestival "Art and the City" bietet diesen Sommer gute Gelegenheit dazu.
Für eine neue Tramlinie, die seit jüngstem den Zürcher Hauptbahnhof über den Escher-Wyss-Platz mit dem Bahnhof Altstetten verbindet, werben die Verkehrsbetriebe Zürich mit einem Bild des Prime Tower, der den Glassturz einer Schneekugel durchbricht. Das Hochhaus von Gigon/Guyer, mit 128 Metern derzeit das höchste der Schweiz, ist untrügliches Zeichen dafür, dass sich der Schwerpunkt der Stadt von Bahnhofstrasse, Paradeplatz und Seeufer Richtung Westen verschoben hat – in den Kreis 5, das sogenannte Industriequartier. Wo die Schwerindustrie gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung Zürichs schuf, begann in den 1990ern ein von Stadt und Grundstückseigentümern gemeinsam betriebener Transformationsprozess, der unvermindert anhält. Besonders entlang der Pfingstweidstrasse demonstrieren die im Bau befindlichen Projekte von Meili+Peter, von Gmür & Geschwentner oder von EM2N einen Maßstabssprung, der die Relikte der Industrieära in den Hintergrund treten lässt oder vollends verdrängt. Ob man dereinst von einem Zugewinn an Urbanität oder von einem Verlust von Identität sprechen wird, bleibt abzuwarten.
Ein Besuch des Quartiers in all seiner Ambivalenz zwischen alt und neu aber lohnt allemal, und das Kunstfestival Art and the City bietet diesen Sommer gute Gelegenheit dazu. Initiiert wurde es von der städtischen Arbeitsgruppe „Kunst im öffentlichen Raum“ unter der Leitung von Christoph Doswald, zahlreiche Zürcher Galerien waren in die Umsetzung involviert. Ob man die Veranstaltung als affirmativ oder kritisch versteht, hängt von der Sichtweise ab: Einerseits lenkt Art and the City die Aufmerksamkeit auf bislang ignorierte Orte und macht diese (nicht zuletzt für Investoren) interessant, andererseits regt die Veranstaltung zu Reflektionen über den Transformationsprozess und seine Kollateralschäden an. Mehr als 40 Künstler sind beteiligt, wobei die Arbeiten meist dann besonders überzeugen, wenn sie nicht beliebig platziert sind, sondern sich wirklich direkt auf den Ort einlassen – handelte es sich nun um Arbeiten, die speziell für Art and the City angefertigt wurden oder auch solche, die vom Kurator für einen Standort ausgesucht wurden.
Golemartige Monstren
Pierre Haubensak legt mit einem Wandbild den Finger in eine Wunde: Mit einer seiner Netzstrukturen hat er die Brandwand der Pfingstweidhäuser versehen. Diese stehen einer neuen Straßenführung im Weg, und die Stadt hat den in ihrem Besitz befindlichen Teil des Ensembles schon abreißen lassen, während ein Rechtsstreit mit den privaten Eigentümern den fast surreal erscheinenden Rest bislang bewahrt hat. Ebenfalls gezählt sind die Tage der Schrebergärten an der Pfingstweidstrasse, an deren Rande jetzt zwei Figuren von Paul McCarthy stehen: Apple Tree Boy und Apple Tree Girl. Vorbilder waren spießige Hummelfiguren, die der Amerikaner in golemartige Monstren verwandelt hat und die als expressiv deformierte Versionen von Adam und Eva ad absurdum führen. Sperrig im Weg als Stein des Anstoßes liegt das Objekt von Not Vital, ein Betonblock. Der Künstler betitelte ihn mit „No Problem Sculpture“, weil er nicht zu groß und nicht zu klein, nicht zu aufregend und nicht zu langweilig sei, nicht betreten, nicht bestiegen und nicht zerstört werden könne, keinen Unterhalt erfordere und nicht roste. Der Bezug zum prismatischen Renaissance Zürich Hotel von Diener & Diener besteht einerseits in der Opposition zwischen kristalliner Form und amorphem Gebilde, andererseits darin, dass die Kantenlänge von Vitals Objekt zusammen 81 Meter ergeben soll – die Höhe des Diener&Diener-Turms.
Akkuschrauberbits und hölzerne Tankstelle
Zu Ikonen des Festivals sind die Ziegelsteinstelen des kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros geworden. Sie stehen am Escher-Wyss-Platz, dem Zentrum von Kreis 5, an den Gleisen, über die ab und an ein Zug mit Getreidewagons zur Stadtmühle fährt. Bei ihrer Form handelt es sich – was erst auf den zweiten Blick sichtbar ist – um vergrößerte Bits von Akkuschraubern, welche zu ironischen Monumenten der industriellen Vergangenheit geworden sind. Im Westen, auf einer Brachfläche im Stadtteil Altstetten, haben Michael Meier & Christoph Franz eine hölzerne Tankstelle errichtet. Sie ruft die Follies englischer Landschaftsgärten in Erinnerung und erlaubt in der Nähe eines Autobahnzubringers einen gleichsam elegischen Blick auf die Mobiltäts- und Individualitätsutopie des 20. Jahrhunderts.
Mit einigen Arbeiten dringt Art and the City auch in die Innenstadt vor. Ai Weiwei hat auf dem Paradeplatz zwei Sessel aus Marmor aufstellen lassen – Insignien des Wohlstands neureicher Chinesen, die im Zentrum der Zürcher Finanzwelt angekommen sind. Zu den poetischsten Arbeiten zählen die postum installierten Lüftungsschächte der 1985 verstorbenen deutschen Künstlerin Charlotte Posenenske. An verschiedenen Stellen in der Stadt integrieren sie sich als Verweise auf eine untergründige Welt der Infrastruktur. Erst bei genauerem Hinsehen werden sie als Kunst erkennbar – was ihre eigentliche Qualität darstellt. Leider haben die Verantwortlichen die Hinweisschilder auf das Festival zum Teil so nahe an die Objekte gerückt, dass dieser Aha-Effekt konterkariert wird.
Ein Besuch des Quartiers in all seiner Ambivalenz zwischen alt und neu aber lohnt allemal, und das Kunstfestival Art and the City bietet diesen Sommer gute Gelegenheit dazu. Initiiert wurde es von der städtischen Arbeitsgruppe „Kunst im öffentlichen Raum“ unter der Leitung von Christoph Doswald, zahlreiche Zürcher Galerien waren in die Umsetzung involviert. Ob man die Veranstaltung als affirmativ oder kritisch versteht, hängt von der Sichtweise ab: Einerseits lenkt Art and the City die Aufmerksamkeit auf bislang ignorierte Orte und macht diese (nicht zuletzt für Investoren) interessant, andererseits regt die Veranstaltung zu Reflektionen über den Transformationsprozess und seine Kollateralschäden an. Mehr als 40 Künstler sind beteiligt, wobei die Arbeiten meist dann besonders überzeugen, wenn sie nicht beliebig platziert sind, sondern sich wirklich direkt auf den Ort einlassen – handelte es sich nun um Arbeiten, die speziell für Art and the City angefertigt wurden oder auch solche, die vom Kurator für einen Standort ausgesucht wurden.
Golemartige Monstren
Pierre Haubensak legt mit einem Wandbild den Finger in eine Wunde: Mit einer seiner Netzstrukturen hat er die Brandwand der Pfingstweidhäuser versehen. Diese stehen einer neuen Straßenführung im Weg, und die Stadt hat den in ihrem Besitz befindlichen Teil des Ensembles schon abreißen lassen, während ein Rechtsstreit mit den privaten Eigentümern den fast surreal erscheinenden Rest bislang bewahrt hat. Ebenfalls gezählt sind die Tage der Schrebergärten an der Pfingstweidstrasse, an deren Rande jetzt zwei Figuren von Paul McCarthy stehen: Apple Tree Boy und Apple Tree Girl. Vorbilder waren spießige Hummelfiguren, die der Amerikaner in golemartige Monstren verwandelt hat und die als expressiv deformierte Versionen von Adam und Eva ad absurdum führen. Sperrig im Weg als Stein des Anstoßes liegt das Objekt von Not Vital, ein Betonblock. Der Künstler betitelte ihn mit „No Problem Sculpture“, weil er nicht zu groß und nicht zu klein, nicht zu aufregend und nicht zu langweilig sei, nicht betreten, nicht bestiegen und nicht zerstört werden könne, keinen Unterhalt erfordere und nicht roste. Der Bezug zum prismatischen Renaissance Zürich Hotel von Diener & Diener besteht einerseits in der Opposition zwischen kristalliner Form und amorphem Gebilde, andererseits darin, dass die Kantenlänge von Vitals Objekt zusammen 81 Meter ergeben soll – die Höhe des Diener&Diener-Turms.
Akkuschrauberbits und hölzerne Tankstelle
Zu Ikonen des Festivals sind die Ziegelsteinstelen des kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros geworden. Sie stehen am Escher-Wyss-Platz, dem Zentrum von Kreis 5, an den Gleisen, über die ab und an ein Zug mit Getreidewagons zur Stadtmühle fährt. Bei ihrer Form handelt es sich – was erst auf den zweiten Blick sichtbar ist – um vergrößerte Bits von Akkuschraubern, welche zu ironischen Monumenten der industriellen Vergangenheit geworden sind. Im Westen, auf einer Brachfläche im Stadtteil Altstetten, haben Michael Meier & Christoph Franz eine hölzerne Tankstelle errichtet. Sie ruft die Follies englischer Landschaftsgärten in Erinnerung und erlaubt in der Nähe eines Autobahnzubringers einen gleichsam elegischen Blick auf die Mobiltäts- und Individualitätsutopie des 20. Jahrhunderts.
Mit einigen Arbeiten dringt Art and the City auch in die Innenstadt vor. Ai Weiwei hat auf dem Paradeplatz zwei Sessel aus Marmor aufstellen lassen – Insignien des Wohlstands neureicher Chinesen, die im Zentrum der Zürcher Finanzwelt angekommen sind. Zu den poetischsten Arbeiten zählen die postum installierten Lüftungsschächte der 1985 verstorbenen deutschen Künstlerin Charlotte Posenenske. An verschiedenen Stellen in der Stadt integrieren sie sich als Verweise auf eine untergründige Welt der Infrastruktur. Erst bei genauerem Hinsehen werden sie als Kunst erkennbar – was ihre eigentliche Qualität darstellt. Leider haben die Verantwortlichen die Hinweisschilder auf das Festival zum Teil so nahe an die Objekte gerückt, dass dieser Aha-Effekt konterkariert wird.
0 Kommentare