Leben mit der Ikone
Mies-Bauten in Fotos von Ludwig Glaeser
Text: Wieland, Kerstin, Berlin
Leben mit der Ikone
Mies-Bauten in Fotos von Ludwig Glaeser
Text: Wieland, Kerstin, Berlin
Schon wieder das Farnsworth House, mag man auf den ersten Blick denken – auf den zweiten offenbart sich der Unterschied zu dem, wie man das Haus bisher gesehen hat.
Es muss unzählige Väter geben, die von Beruf Architekten sind und in der Freizeit Mies-Bauten fotografieren. Nicht immer werden sie dabei auf das erhoffte Verständnis, geschweige denn Interesse ihrer Familien stoßen. (Was mitunter auch an der Qualität der Fotos liegen mag.) Im Fall des Initiators der aktuellen Ausstellung im Berliner Mies van der Rohe Haus, Nicolas Köhler, war das zum Glück anders.
Köhlers Vater, der Architekt Ludwig Glaeser, wurde 1930 in Berlin geboren. Er studierte Architektur und Kunstgeschichte in seiner Heimatstadt und in Rom. 1963 ging er in die USA (wo er bis zu seinem Tod 2006 lebte) und arbeitete als Kurator für Architektur am New Yorker MoMA. Auf seine Initiative geht u.a. das dortige Mies van der Rohe Archiv zurück. Nicolas Köhler lebt in Berlin, Kontaktabzüge der Fotos seines Vaters hat er erstmals vor gut zehn Jahren zu Gesicht bekommen. Nahezu 5000 Aufnahmen umfasst das Archiv. Motiv des Architekturfotografen Glaeser wurde, was ihn zu unterschiedlichen Zeiten in seinem Leben an Architektur interessierte. „Ich lernte Architektur zu sehen, wie ich gelernt hatte, sie zu zeichnen – Grundriss, Schnitt, Aufriss. Ich habe versucht, Architektur ebenso zu fotografieren: genauso als ob ich einen Aufriss zeichnen würde“, schreibt er in einem Essay.
Anlässlich Mies’ 125. Geburtstag am 27. März zeigt das Mies van der Rohe Haus eine Auswahl von Fotos aus Glaesers Archiv. Schon wieder das Farnsworth House, mag man auf den ersten Blick denken – auf den zweiten offenbart sich der Unterschied zu dem, wie man das Haus bisher gesehen hat. Bei Glaeser ist es nicht zur Ikone stilisiert, sondern für seine Bewohner gebaut: die Silhouette eines Mannes, der am Schreibtisch steht, ein Paar vor der Küchenzeile, und auch in einem Mies gibt es einen Mülleimer. Der steht, so gar nicht verborgen, dort, wo er gerade hilfreich ist. Und die Architektur hält das aus. Glaesers Aufnahmen wirken wenig inszeniert, sie bilden ein Haus in seiner Umgebung ab: Noch kahle Bäume werfen in der ersten Frühlingssonne kräftige Schatten auf die Terrasse, an einer Stelle hat der Wind vertrocknete Blätter zu einem kleinen Haufen verwirbelt, die Fassade schimmert durch ein Geflecht unbelaubter Zweige.
Eine weitere Bildserie thematisiert am Beispiel des Federal Center in Chicago und der Skyline von New York, wie Mies’ Bauten in den Stadtraum eingebettet sind bzw. wie sie auf ihn reagieren, außerdem sind Aufnahmen aus den Lake Shore Apartments in Chicago zu sehen. Interieurs sind ein wiederkehrendes Motiv in Glaesers Fotografie. Alle 25 ausgestellten Bilder sind Erstabzüge, deren außerordentliche Qualität sich „Kelten Labs“ verdankt; das Labor hat u.a. auch für Helen Levitt und Annie Leibovitz gearbeitet.
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