„Meine Motivation: Veränderung“
Interview mit Kengo Kuma
Text: Alihodžić, Selma, Stuttgart
„Meine Motivation: Veränderung“
Interview mit Kengo Kuma
Text: Alihodžić, Selma, Stuttgart
Kengo Kuma spricht über seine Arbeitsweise, seine neuen Projekte in Europa und über seine Engagement in der von Erdbeben und Tsunami zerstörten Tōhoku-Region in Japan.
Kengo Kuma ist einer der produktivsten zeitgenössischen Architekten Japans. Trotz großer Wirtschaftskrise eröffnet er 1987, im Alter von 33 Jahren, sein Büro in Tokio. Er widmet sich kleinen Bauaufträgen auf dem Land und bereitet mit seinen ersten Projekten den Weg für einen Neuanfang nach der oft monumentalen japanischen Postmoderne. In nur wenigen Jahren realisierte er zahlreiche Bauten auch in anderen Ländern Asiens. Er arbeitet in unterschiedlichen Maßstäben, von Objekten über Möbel, Kleinarchitekturen bis hin zu Masterplänen. Der subtile Umgang mit Materialien und Konstruktionen sowie die Rückbesinnung auf die japani-sche Bautradition zeichnen seine Projekte aus. 2008 eröffnet er ein zweites Büro in Paris. Er ist Architekturprofessor an der Universität Tokio, an der auch Kenzo Tange, Fumihiko Maki, Arata Isozaki und Tadao Ando gelehrt haben. In seinen Büchern erörtert er Architektur- und Städtebau im Zusammenhang mit der Kultur seines Landes sowie der gesellschaftlichen Verantwortung. Mit zahlreichen Wettbewerbserfolgen in den letzten Jahren wird seine Arbeit auch in Europa zunehmend präsenter. Ein guter Zeitpunkt, um ihn zu treffen und mit ihm über seine realisierten Projekte und sein Engagement in dem vor zwei Jahren von einem Erdbeben und einem Tsunami zerstörten Tōhoku-Region zu sprechen.
Herr Kuma, Sie arbeiten seit mehr als dreißig Jahren als Architekt. Vor Kurzem erschien die Monografie „Kengo Kuma – Complete Works“ von Kenneth Frampton. Wie beschreiben Sie selbst die Entwicklung Ihrer Architektur?
Zu Beginn meines Architekturstudiums befand sich Japan in einem Bau-Boom. Die neue Architektur in Tokio war geprägt von Beton. Der amerikanische Lebensstil war in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, an japanischer Tradition waren meine Zeitgenossen kaum noch interessiert. Während viele meiner Kollegen damit beschäftigt waren, einen eigenen Stil zu finden, versuchte ich zunächst unsere japanische Baukultur zu verstehen. Wie Wright und Taut studierte ich unsere traditionellen Bauwerke, die mich bis heute inspirieren. Als ich nach meinem Studienaufenthalt an der New Yorker Columbia Universität, 1985–86, nach Japan zurückkehrte, hatte ich das Bedürfnis, etwas Neues zu schaffen, das besser zu unserer Kultur passt, als die Betonbauten, die Tokio überwuchern. Wegen der auf den Boom folgenden Wirtschaftskrise waren die Bauaufträge rar. In Japan nennt man diese Zeit „Die verlorenen Jahre“. Doch genau diese Zeit war sehr prägend für mich. Ich eröffnete mein Büro, zog mich aufs Land zurück und arbeitete mit Handwerkern zusammen an kleinen Projekten. Die große Schönheit der Orte faszinierte mich und stellte mich vor die Herausforderung, etwas Kontextbezogenes zu bauen. Verglichen zu den heutigen Projektabläufen hatte ich viel Zeit zum Nachdenken, Entwerfen und Bauen. Aus der engen Zusammenarbeit mit Bauherren, Anwohnern und Handwerkern habe ich viele Erkenntnisse für die nachfolgenden Projekte gesammelt. Mir begegnete bei dieser unkonventionellen Arbeitsweise anfangs viel Skepsis. Es passte nicht in die Zeit. Mich interessiert heute noch, was die japanische Baukultur definiert und neu definieren kann, und ich suche stets nach Architektur, die verbunden ist mit dem jeweiligen Ort. Mein Interesse an Materialien, und wie diese zu einer kohärenten Gesamtform zusammengefügt werden können, hat mich immer an die Grenzen des Baubaren gebracht. Rückblickend haben sich meine Projekte so entwickelt, wie sich die Wünsche meiner Bauherren verändert haben, wie sich die Anforderungen der Gesellschaft verändert haben und wie ich mich selbst verändert habe. Eine eigene Architektursprache gibt es nicht, viel eher habe ich immer eine Motivation: Veränderung.
Welches ist Ihr wichtigstes Projekt?
Mit Sicherheit gibt es mittlerweile einige wichtige Projekte, trotzdem würde ich sagen, das bedeutendste für mich ist das Bato Hiroshige Museum of Art (Foto Seite 24). Während des Entwurfs habe ich mich intensiv mit dem Genre des Ukiyo-e beschäftigt, das mit der Überlagerung von Schichten arbeitet. Die japanische Architektur basiert auf der Schichtung von Räumen. Ich wollte eine neue Methode schaffen, die die beiden Konzepte vereint. Es ist auf den ersten Blick ein einfaches Gebäude mit einer horizontalen Silhouette, jedoch mit besonderer Hülle: Die Fassade ist nicht das trennende Element zwischen Innen- und Außenraum, sondern genau das Gegenteil, die Verbindung und gleichzeitig ein Übergang von der Natur zum Innenraum. Mit der Verwendung von Zedernholz, das in der Region wächst, wollte ich einen besonderen Raumeindruck schaffen, genau wie der Künstler Hiroshige in seinen Arbeiten. Die Szenografie, der man folgt, wenn man das Gebäude betritt, gleicht der bei einer Tee-Zeremonie.
Wie würden Sie Ihre Entwurfsmethodik beschreiben?
Ich versuche, eine authentische Architektur zu schaffen. Die Materialien verleihen Gebäuden Charakter und stärken den lokalen Bezug. Mein Ziel ist es, neue Wege zu finden, mit altbewährten, einfachen, natürlichen Materialien wie Holz und Stein umzugehen und diese in einem modernen Kontext zu verwenden. Ich plane auch andersherum, moderne Materialien in traditionellem Kontext, wie zum Beispiel den Ballon und das Organza beim Floating Tea-Room „Fu-an“ in Fukuoka, Stahl und Glas beim Baisoin Tempel in Tokio oder die aufblasbare Membran-Struktur beim Teehaus für das Museum für Angewandte Kunst Frankfurt am Main.
Sie arbeiten in sehr unterschiedlichen Maßstäben. In Ihrem Büro gibt es heute zahlreiche Großprojekte und einen straffen Zeitplan. Warum widmen Sie sich noch den kleinen Aufträgen?
An kleinen Projekten zu arbeiten, hat für mich einen besonderen Charme, vor allem weil ich mich auf die Detaillierung konzentrieren und eng mit den Handwerkern zusammenarbeiten kann. 2007 haben wir „Chidori“ entwickelt, ein kleiner Pavillon für die Mailänder Möbelmesse. Mit den Handwerkern arbeiteten wir an diesem traditionellen Holzverbindungssystem. Ohne Nägel oder Schrauben schafft es eine starke, selbstaussteifende Struktur. Später haben wir kontinuierlich die Detaillierung weiterentwickelt, um auch in größeren Maßstäben die Struktur selbsttragend zu machen. 2010 wurde dieses System als Wand bei unserem GC-Prostho Museum Research Center genutzt. Danach haben wir das Chidori nochmals bis an seine Grenzen weiterentwickelt und als Konstruktionselement im Yusuhara Wooden Bridge Museum eingesetzt. Wie Sie sehen, sind die kleinen Projekte auch für die großen Projekte sehr wichtig.
Im vergangenen Jahr wurde das Asakusa Culture Centre in Tokio fertiggestellt. Warum konnte sich besonders die ältere Generation nicht mit dem Neubau anfreunden?
Das Hauptproblem der älteren Menschen von Asakusa war die Gebäudehöhe. Wir wollten etwas schaffen, das einen Bezug zu der alten Asakusa-Dachsilhouette herstellt. Da das Raumprogramm für das Grundstück sehr umfangreich war entschieden wir uns, die verschiedenen Funktionen in Form von einzelnen Häusern zu stapeln und sie nach außen hin ablesbar zu machen. So konnten wir das geforderte Raumprogramm erfüllen, ein schlankes Gebäude bauen, und trotz-dem den menschlichen Maßstab im Inneren wahren. Die unterschiedlichen Dachformen der einzelnen Volumina sind innen ablesbar und spürbar. Als das Gebäude schließlich eröffnet wurde und die Besucher die Räume begehen konnten, haben sie die Absicht hinter den Dachformen verstanden. Inzwischen haben auch die älteren Menschen ihre „vertikale Nachbarschaft“ für sich entdeckt.
Sie haben viele Wettbewerbe in Japan und nun auch in Europa gewonnen, u.a. in Dundee, Lausanne und Boulogne-Billancourt. Entwerfen Sie in Europa anders als in Japan?
Natürlich gibt es andere Anforderungen. Klima, Standort und Raumprogramm verlangen eine andere Herangehensweise. An der Geschichte des jeweiligen Ortes mit den lokalen Materialien und Bauweisen bin ich auch in Europa sehr interessiert. In dieser Hinsicht ist unsere Arbeitsweise gleich. Beim Victoria & Albert Museum in Dundee haben mich die schottische Klippenbucht und die horizontale Gesteinsschichtung stark inspiriert. Ich wollte bei dem Projekt das Gefühl einfangen, in einer Höhle zu sitzen und den Ausblick auf das Meer zu haben.
Was erwarten Sie von Ihren ersten in Frankreich gebauten Projekten in Besançon und Marseille?
Besançon wird dominiert von einer heterogenen Stadtstruktur. So wollten wir bei der Cité des Arts etwas Verbindendes schaffen. Das Konzept ist einfach: Wir haben ein Dach vorgeschlagen, das alle Gebäudeteile zu einem Ensemble vereint. Wie beim Hiroshige Ando Museum haben wir einen Übergangsraum als Verbindung zwischen Natur und Architektur geschaffen. Das Dach besteht aus einem Mosaik unterschiedlicher Flächen. Von den Anhöhen kann es als fünfte Fassade wahrgenommen werden. Marseille ist geprägt von vielen Gassen, so entschieden wir uns, dieses Gassensystem im Neubau fortzusetzen. Wir entwarfen eine Abfolge von Innen-, Halbaußen- und Außenräumen für Künstler und Besucher. Wir wollen, dass man die Stadt und das Meer im Gebäude spürt. Die unterschiedlichen Blickbezüge auf die Fassaden machen Passanten neugierig auf das Gebäudeinnere und laden sie dazu ein einzutreten. Solche Übergangszonen sind sehr wichtig, denn sie verbinden das Gebäude mit der Stadt.
Momentan lehren Sie an der Universität Tokio. Was bewegt heute Ihre Studenten?
Die heutige Zeit ist geprägt durch den Austausch. Meine japanischen Studenten arbeiten mit Studenten aus aller Welt zusammen. Dies zu sehen bereitet mir große Freude. Ich versuche, meinen Studenten so viel Freiheit wie möglich zu geben, sie zu motivieren, Eigeninitiative zu ergreifen und eigene Standpunkte zu entwickeln. Während meiner Studienzeit standen die Studenten im Schatten ihrer Professoren. An manchen Universitäten in Japan ist es heute noch so. Statt ihnen meine Theorien aufzudrücken, ermutige ich sie, Themen zu erforschen, die ihnen am Herzen liegen. Doch die Visionen der Studenten sind andere als unsere, weil die heutige Generation mit neuen Problemen konfrontiert ist.
2011 ereignete sich das Erdbeben mit dem Tsunami in der Region Tōhoku und die Atomkatastrophe von Fukushima. Ihr Kitamaki Canal Museum befindet sich in diesem Gebiet. Wie ist die Situation heute? Kommt der Wiederaufbau voran?
Zur Zeit des Erdbebens war ich in Taiwan. Nach der Rückkehr reiste ich in die Region. Das Museum blieb unversehrt. Es grenzt schon an ein Wunder! Ich entschied mich, direkt zu helfen und habe das „EJP – East Japan Project“ ins Leben gerufen, um den Menschen Hoffnung zu geben. Ich bin vielen
talentierten Bauhandwerkern begegnet, die es dort noch immer gibt. Wir haben mit ihnen das Chidori-System weiter entwickelt und einfache Möbel hergestellt. Das Tohoku-Gebiet hat einen langen Weg zurück zur Normalität vor sich. Niemand kann es sich leisten, auf die Regierung zu warten, um die Probleme zu lösen. Es ist besser, die Menschen spüren die Veränderung durch das eigene Handeln.
talentierten Bauhandwerkern begegnet, die es dort noch immer gibt. Wir haben mit ihnen das Chidori-System weiter entwickelt und einfache Möbel hergestellt. Das Tohoku-Gebiet hat einen langen Weg zurück zur Normalität vor sich. Niemand kann es sich leisten, auf die Regierung zu warten, um die Probleme zu lösen. Es ist besser, die Menschen spüren die Veränderung durch das eigene Handeln.
0 Kommentare