Ortskundige im Vorteil
Wohnen am Dom in der Altstadt von Erfurt
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Ortskundige im Vorteil
Wohnen am Dom in der Altstadt von Erfurt
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
In der thüringischen Landeshauptstadt ist dies wohl eine der prominentesten Adressen: Am Domplatz 1a. Wo zurzeit noch Autos parken, soll bald Wohnungsbau entstehen. Die Jury setzte ein deutliches Signal für zeitgemäßes Bauen in der Altstadt.
Man kann das Grundstück, um dessen Bebauung es in diesem Wettbewerb ging, als Logenplatz bezeichnen. Von dort fällt der Blick auf den Domplatz, der am Fuß der beeindruckenden Erfurter Domtreppe liegt. Heute wie früher Marktplatz, diente er aber immer auch für Sonderveranstaltungen, ob mit Helmut Kohl 1990 oder 2011 mit Papst Benedikt XVI. Wer hier, an der Südost-Ecke des Platzes, wohnen will, muss den Erfurter Weihnachtsmarkt ebenso mögen wie die Domstufen-Festspiele, muss also mittendrin sein wollen in der Stadt.
Im Jahr 2010 erwarb Uwe Ullrich das Grundstück. Als Inhaber einer mittelständischen Sanitär- und Heizungsfirma ist der Ilmenauer seit einigen Jahren auch als Bauträger aktiv, beginnt aber, laut eigener Auskunft, ein Projekt erst dann, wenn das vorige abgeschlossen ist. In Erfurt investierte er bereits einige Millionen in Altbauten, um sie zu Seniorenwohnungen umzubauen. Auf dem 6000 Quadratmeter großen Eckgrundstück am Dom hatte er ursprünglich ein Hotel geplant. Dafür wurde ihm von der Stadt ein europaweit offener Wettbewerb auferlegt. Doch das Risiko, dass der Entwurf nicht zum künftigen Hotelbetreiber passen könnte, erschien Ullrich zu groß. Daraufhin schwenkte er um und plante Wohnungsbau mit Ladengeschäften. Der Stadt genügte dafür ein nichtoffener Realisierungswettbewerb, dessen Ergebnis die Grundlage eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans sein wird.
Aus 22 abgegebenen Arbeiten wählte die Jury (Vorsitz: Michael Mann, Erfurt) zwei Arbeiten in den 1. Rang, fünf weitere in den 2. Rang. Von den beiden Ersten empfahl sie die Arbeit des Erfurter Architekten Claus Worschech zur Ausführung. Dessen Büro liegt nur einen Steinwurf vom Baugrundstück entfernt, wodurch sich die ortskundige Raffinesse des Entwurfs, besonders im Detail, erklären mag.
Worschech schlägt drei Zeilen mit abgewinkeltem Kopfbau vor, orientiert an den schmalen und tiefen Parzellen mit langgestreckten Nebengebäuden, wie sie auch an anderer Stelle in der Altstadt vorzufinden sind. Straßenbegleitend sind Geschosswohnungen vorgesehen; im rückwärtigen Bereich, der an einen Wasserlauf, den Bergstrom, grenzt, sollen Stadthäuser mit kleinen Gärten entstehen. Die gassenartige Zuwegung erlaubt differenzierte Beziehungen zum Domplatz. Im Gegensatz zum Außen und Innen einer Blockrandbebauung entstehen abgestufte halböffentliche Räume, deren Zugänglichkeit die Bewohner regulieren können. Ein ebenso simples wie feines Element der Abgrenzung sind die offenen Rinnen, in denen das Oberflächenwasser zum Bergstrom abgeleitet wird. Auch die Komposition der gefalteten Dachlandschaft aus Zinkblech, die beim Blick vom höher gelegenen Domgarten zwangsläufig in Erscheinung treten wird, gefiel der Jury. Weil der Siegerentwurf die geforderte Wohnfläche von 8500 Quadratmetern unterschritten hat, muss er überarbeitet werden. Die noch fehlenden 1500 Quadratmeter will Claus Worschech vor allem durch ein viertes Obergeschoss zur Domstraße erreichen. Ob trotz Verdichtung die architektonische und städtebauliche Qualität des Ensembles erhalten bleibt, will die Jury Mitte Mai nochmals nachprüfen. Der Baubeginn ist für Frühjahr 2015 geplant.
Nach den Wettbewerbsrichtlinien ist es dem Bauherrn auch erlaubt, sich für den zweitplatzierten Entwurf zu entscheiden. Osterwold Schmidt aus Weimar kamen um die Blockfigur nicht herum, „obwohl wir es zuerst anders versucht hatten“, wie Matthias Schmidt es ausdrückt. Das Volumen folgt dem Verlauf der Domstraße und eröffnet mit gegenläufigem Schwung einen kleinen Platz, der die Sicht auf den barocken Eckbau Domplatz/An den Graden erhält. Der Baukörper treppt sich von fünf Geschossen am Domplatz bis auf zwei im rückwärtigen Teil des Grundstücks ab. Durch die Staffelung erschien der Jury das großflächige Flachdach für die Altstadt „akzeptabel“. Die hochwertige Fassade soll aus dunklen Klinkern bestehen. Das Preisgericht kritisierte, dass diese zu massiv wirken und überdies für die Erfurter Altstadt untypisch seien. Außerdem würde es Probleme geben, die vorgeschlagenen Wohnungsgrundrisse zu möblieren; die Flächenzuordnung im Innenhof unterscheide zudem nicht eindeutig zwischen privat und halböffentlich.
Abgesehen von einigen anonymen Online-Kommentatoren, die die Integrität der Altstadt durch solch zeitgemäße Architektur beschädigt sehen, wird das Ergebnis in Erfurt positiv gesehen. Uwe Spangenberg, der Erfurter Dezernent für Stadtentwicklung, meinte bei der Ausstellungseröffnung: „Historisierend ist nicht immer erste Wahl.“ Dem Bauherrn ist zu wünschen, dass er die hohe Qualität des Siegerentwurfs umzusetzen weiß.
Nichtoffener Realisierungswettbewerb
1. Preis Worschech Architekten, Erfurt, mit Stock Landschaftsarchitekten, Jena
2. Preis Osterwold Schmidt, Weimar, mit Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten, Berlin
Anerkennungen Jo.Franzke Architekten, Frankfurt am Main, mit Bittkau-Bartfelder + Ing., Wiesbaden |Patrick Hein, Dachwig | Kister Scheidthauer Gross, Leipzig, mit Stern Landschaften, Köln | F29 Architekten, Dresden, mit Storch Landschaftsarchitektur, Dresden | Thomas Müller Ivan Reimann Architekten, Berlin, mit Topotek 1, Berlin
1. Preis Worschech Architekten, Erfurt, mit Stock Landschaftsarchitekten, Jena
2. Preis Osterwold Schmidt, Weimar, mit Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten, Berlin
Anerkennungen Jo.Franzke Architekten, Frankfurt am Main, mit Bittkau-Bartfelder + Ing., Wiesbaden |Patrick Hein, Dachwig | Kister Scheidthauer Gross, Leipzig, mit Stern Landschaften, Köln | F29 Architekten, Dresden, mit Storch Landschaftsarchitektur, Dresden | Thomas Müller Ivan Reimann Architekten, Berlin, mit Topotek 1, Berlin
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