Bauwelt

Räumliche Verdichtungen

Brâncuși und Serra in der Fondation Beyeler

Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm

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Foto: Lorenz Kienzle

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Räumliche Verdichtungen

Brâncuși und Serra in der Fondation Beyeler

Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm

Tonnenschwere, wuchtige, rostig braune Stahl- und Bleiplatten stehen grazilen, kostbar schimmernden Kleinskulpturen aus Marmor und Bronze gegenüber. Gegensätze, wie sie größer kaum sein können.
Während die Stahlkolosse per Tieflader zum Museum ka­men, wo zu deren Installation eine Fassade entfernt und die Bodenstatik verstärkt werden musste, reisten die fragilen Objekte einzeln in einer Art Tabernakel an, das nach dem Haus-im-Haus-Prinzip erschütterungsfrei in einem Spezial-Flugcontainer, an acht pneumatischen Armen aufgehängt, gegen jegliche Unbill abgefedert war.
Und so treffen in der Fondation Beyeler nun die Werke von Constantin Brâncuși (1876–1957) und Richard Serra (geboren 1939) – zwei Großmeister der Skulptur, die sich persönlich nie begegnet sind – erstmals in einer breit angelegten Ausstellung auf­-ein­ander. Das Œuvre des Rumänen Brâncuși steht für den Beginn der modernen Skulptur am Anfang des 20. Jahrhunderts, das des US-Amerikaners Serra für die bedeutende zeitgenössische Position, die den Skulpturbegriff seit den frühen 70er Jahren revolutionierte. Dass Serras 1964 über Studien im Atelier Brâncuși in Paris den Weg zur Skulptur fand, verleiht der Gegenüberstellung eine besondere Bedeutung.
Sinnliche Magie, spannungsgeladene Kraftfelder
Wo die Werke unmittelbar miteinander in Dialog treten, entsteht ein verblüffend kompatibles Neben­einander. Weder dominieren Serras Großskulpturen durch schiere Masse, noch Brâncușis Kleinode durch ihre kostbare Aura. Vielmehr werden in dieser Kon­stellation Gemeinsamkeiten erkennbar, die den Blick auf den reduzierten Einsatz der Mittel bei maximaler (räumlicher) Wirkung lenken. Constantin Brâncușis stilisierte Mädchentorsi und schlummernde Musen-Köpfe, aber auch seine stromlinienschlank aufragenden Vogelfiguren und gekappten Eiformen sind in ihrer abstrakten, nach Innen gekehrten Gestalt von sinnlich-magischer Kraft, die den umgebenden Raum aufzuladen scheint. Richard Serras plastisches Konzept dagegen ist von architektonischer Natur. Seine ausladenden Stahlwände und massiven Quader erzeugen allein durch ihre Setzung im Raum spannungs­geladene Kraftfelder.
Zentrales Thema in Serras Arbeiten ist die Irritation der Wahrnehmung. Es geht ihm nicht um die optische Wirkung einer Figur, vielmehr will er Empfindungen und Erinnerungen hervorrufen. Serra erklärt nicht den Stahl zu seinem Material, sondern den Raum, der durch die Positionierung von Stahlkörpern neu wahrgenommen wird. In der Tat erlebt eine Schärfung der Wahrnehmung, wer den Raum zwischen den zwei gebogenen Stahlplatten der mächtigen Skulptur „Olson“ durchschreitet, vorsichtig um die frei stehenden, elliptisch verlaufenden Wände herumgeht, deren Schräglage als beklemmend empfindet, sich irritiert nach der Standfestigkeit fragt und erkennt, wie über visuelle Eindrücke und körperliche Empfindungen Werk und Raum sich zu einem Ensemble formen.
Zwischen gravitätischer Ruhe und Angstzuständen
Der Effekt räumlicher Introversion bei gleichzeitiger Dynamisierung des Umraums ist wesentlich bei Serra. „Fernando Pessoa“ zum Beispiel, die 43 Tonnen schwere, neun Meter lange, drei Meter hohe und zwanzig Zentimeter dicke massive Stahlplatte steht mitten im Raum, gehalten allein von ihrem Eigengewicht. Die dezidierte Setzung der gi­gan­ti­schen Platte definiert den Raum neu, ihr physisch spürbares Gewicht, die radikale Schlichtheit ihrer Erscheinung, die Verwandlung der Dimensionen je nach Perspektive, lässt den zunächst als prekär empfundenen Zustand zu einem Ort gravitätischer Ruhe werden. Wie sich Skulptur hingegen dynamisch zum Raum verhält und Kraft unmittelbar erfahrbar wird, zeigt die Arbeit „Delineator“. Zwei gleich große rechteckige Stahlplatten, über Kreuz angeordnet, eine am Boden, die andere an der Decke befestigt, laden den Leerraum zwischen sich förmlich auf. Wer sich in dieses Energiefeld hinein begibt, verspürt eine magische Anziehungskraft von zugleich beängstigen­der Wirkung und wird so zu einem Teil der Skulptur.
Serra wie Brâncuși formen Raum mit Volumen. Brâncuși kreiert introvertierte Orte der Kontemplation, Serra schafft einschneidende Wahrnehmungs- und Denkräume. Beide sind Minimalisten, die mit elementaren Volumina, klaren Linien und prägnanten Konturen räumliche Verdichtung erzeugen. Das sieht nach einem kongenialen Zusammenspiel aus.
Fakten
Architekten Brâncuși, Constantin, (1876–1957); Serra, Richard, New York
aus Bauwelt 29.2011
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