Bauwelt

„Riem und Ackermannbogen würden heute wohl dichter bebaut“

Interview mit der Stadtbaurätin Elisabeth Merk

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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„Riem und Ackermannbogen würden heute wohl dichter bebaut“

Interview mit der Stadtbaurätin Elisabeth Merk

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Das Stadtplanungsreferat residiert in einem der schönsten Hochhäuser der Stadt, 1929 von Hermann Leitensdorfer gebaut. Heute wäre eine solche dichte Packung an dieser Stelle der Innenstadt kaum mehr möglich – die Dachsilhouette der Innenstadt ist sakrosankt, und über die Möglichkeiten der innerstädtischen Nachverdichtung wird gestritten.
Die Münchner Stadtbaurätin Elisabeth Merk nimmt im Bauwelt-Interview Stellung zur Forderung nach mehr Dichte. Sie erläutert die negativen Konsequenzen des Booms auf dem Wohnungsmarkt und die Gegenmaßnahmen der Stadt.

Vor einigen Wochen sind Mietervertreter und Immobilienwirtschaft gemeinsam an die Öffentlichkeit getreten: Bis 2017 werden in Deutschland 825.000 Mietwohnungen fehlen. Es gibt einen Boom im Luxussegment, aber es wird viel zu wenig für die Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Einkommen gebaut. Zielt dieser Warnruf direkt auf München?


Zwei Antworten: Erstens, ja, wir bräuchten viel mehr Wohnungen im niedrigeren Preissegment. Und zweitens, wir tun alles, was in unserem Handlungsspielraum steht, um preiswerten Wohnraum zu schaffen. Und da sind wir, soweit ich das beurteilen kann, bundesweit die einzige Kommune, die das so konsequent macht und zwar schon seit Jahrzehnten.

Wie konnte es in München zu dieser Wohnungsnot kommen?

Die Wohnungsfrage ist in München Dauerthema. Seit dem Krieg ist man damit beschäftigt, ausreichend bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Die großen Nachkriegs-Projekte wie Neu-Perlach oder Hasenbergl, die wir mittlerweile qualitativ sehr gut weiterentwickelt haben, gehören dazu, aber auch andere Entwicklungen der 80er und 90er Jahre. Neben den großen Bahnflächen sind wir an den Kasernenflächen dran. Wir sind wirklich froh, dass wir dieses „Geschenk“ vom Bund bekommen haben. Daraus rekrutiert sich derzeit der Wohnungsbau in München. In der Ära von Oberbürgermeister Christian Ude wurden in 18 Jahren über 110.000 Wohnungen gebaut. Das ist viel, aber dennoch zu wenig. Einerseits haben wir großen Zuzug, andererseits brauchen wir viel mehr Wohnraum als früher. Schließlich werden die Wohnungen mit jeder Sanierung zwar besser, aber es werden auch weniger.

Was sind die Instrumente, um Menschen mit niedrigem Einkommen zu einer angemessenen Wohnung zu verhelfen?

Wir haben die Programme „Wohnen in München“, und wir haben seit 18 Jahren die SoBoN, die Sozialgerechte Bodennutzung, die als Satzung im Stadtrat beschlossen ist. Die SoBoN besagt, dass immer dann, wenn wir über Bebauungsplanverfahren Entwicklungen möglich machen, 30 Prozent geförderter Wohnungsbau dabei sein muss. Auf städtischen Flächen, also zum Beispiel auf den Kasernenarealen, sind es sogar 50 Prozent. Das ist sehr ambitioniert. Da staunen meine Kollegen aus anderen Städten.

Seit 1989 hat München nun das fünfte Programm zur Wohnungsentwicklung. Was sind heute die Eckpunkte?

„Wohnen in München V“ hat sich aus den anderen Programmen Wohnen in München IV, III, II, I und deren Erfahrungen entwickelt. Für „Wohnen in München V“ bin ich selbst verantwortlich. Der Stadtrat hat dafür Anfang dieses Jahres ein Gesamtfördervolumen von 800 Mio. Euro aus Eigenmitteln für fünf Jahre beschlossen. Das ist eine echte Hausnummer. Hinzu kommt, was wir aus verschiedenen Wohnungsbauprogrammen vom Freistaat bekommen.
Punkt 1: Wir haben die Einkommensgruppen ergänzt, weil wir die Mitte der Gesellschaft in der Mitte der Stadt halten wollen. Mehr als 50 Prozent der Münchner fallen jetzt unter diese Förderkriterien. Nicht dass ich falsch verstanden werde: Wir haben nicht fünfzig Prozent Sozialhilfeempfänger. Es sind ganz normalen Menschen mit einem normalen Beruf und vielleicht zwei Kindern. Sie können sich heute eine Stadtwohnung kaum mehr leisten. Punkt 2: Wir haben eine Regel eingeführt, dass zwischen 20 und 40 Prozent der städtischen Flächen, also etwa auf den Kasernenarealen oder beim Entwicklungsgebiet in Freiham, für Baugenossenschaften und Baugemeinschaften als Baulose vergeben werden. Weil wir erkannt haben, dass daran ein großes Interesse besteht und dass genossenschaftliches Bauen relativ vielen Menschen ein sicheres Wohnen ermöglicht, ohne dass sie kaufen müssen.
Dazu kommen Sonderprogramme, die im München Modell nicht enthalten sind. Eines nennt sich KomPro/A, B und C und beinhaltet eine Kombination von Wohnformen für Obdachlose und für Leute, die aus der Wohnungslosigkeit reintegriert werden sollen. Ein weiteres Instrument haben wir gegen die Zweckentfremdung; das besagt, dass Wohnungen nicht zu Gewerberäumen umgewandelt werden dürfen. Das sind über die Laufzeit von fünf Jahren doch 1500 Wohnungen, die so gerettet wurden. Außerdem haben wir als Stadt ein Vorkaufsrecht, das wir ausüben können, bevor Wohnungen luxussaniert werden. Dieses Instrument muss gar nicht zur Folge haben, dass wir kaufen. Aber oft erreichen wir, dass der Käufer uns Belegrechte gibt, beispielsweise über zwölf Jahre.

Wie unterscheiden Sie Baugruppen und Baugenossen­schaften?


Baugruppen gibt es bei uns kaum, weil das Bauen für die zu teuer ist. Aber wir wollen sie nicht ausschließen.

Die Stadtplanerin Sophie Wolfrum sagte neulich, der Bedarf an preiswertem Wohnraum komme aus dem System, so wie es existiert, einfach nicht mehr heraus? Eine Fundamentalkritik an der Münchner Wohnungspolitik?


Das liegt natürlich daran, dass wir seit der Finanzkrise zum Teil 100-prozentige Bodenpreissteigerungen haben, weil das Kapital jetzt feste Werte sucht. Dabei geht es nicht, wie manchmal in den Zeitungen geschrieben wird, um 30 Luxuswohnungen in der Altstadt, die Millionen kosten. Die sind nicht das Problem. Unser Problem ist, dass alle Stadtviertel von diesen Preisen betroffen sind. Wir haben seit 25 Jahren das Instrument der Erhaltungssatzungen. Damit konnten wir bisher 92.000 Wohnungen sichern. Solche Instrumente aber können die Preisentwicklungen nicht stoppen, sondern nur verzögern. Wir hätten gerne ein Umwandlungsverbot wie es Hamburg z.B. hat. Das hat aber bei uns der Freistaat nicht beschlossen.

Welche Rolle spielen die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften?


Wir haben zwei große kommunale Wohnungsbaugesellschaften, die ungefähr acht Prozent des Wohnungsbestandes haben. Jeder zehnte Münchner wohnt bei der GWG oder
GEWOFAG, in über 58.000 WE. Die bauen immer noch aktiv. Auf die Idee, sie zu verkaufen, wäre man in München niemals gekommen.

Wie viele Wohnungen entstehen pro Jahr, wie viele würden gebraucht?

Wir streben im Jahr 7000 Wohnungen an. Wir schaffen durchschnittlich 6500. Gut wären 9000.

Hans-Jochen Vogel hat in seiner Zeit als OB von den „sauren Wiesen“ gesprochen, aus denen sich einfach Wohngebiete machen lassen. Diese Zeiten sind längst vorbei. Erst wurden die ehemaligen Bahnflächen bebaut, dann die Kasernen­flächen. Wo liegen die künftigen Reserven?


Unser Spielraum ist wirklich klein. Weil die Bodenpreise so unglaublich hoch sind. Und wir haben heute keine Grundstücke mehr, die unkompliziert sind. Alle noch freien Flächen sind belastet, haben Lärmschutzprobleme oder brauchen viel Abstimmung. Vor zwei Jahren haben wir deshalb unter dem Stichwort „LaSie – Langfristige Siedlungsentwicklung“ eine Studie beauftragt, die nach sinnvollen Möglichkeiten sucht, weiter zubauen. Im aktuellen FNP gibt es noch ein Flächenreservoir von 46.000 WE, das sind im Prinzip die großen Projekte, die wir gerade fahren. Aber wir wissen, dass wir bis 2025 neue Felder finden müssen.

Wo wollen Sie diese Flächen herbekommen?


Die LaSie verfolgt mehrere Strategien. Eine davon ist, am Stadtrand zu schauen. Doch die Untersuchung hat uns gezeigt: Jemand der an den Stadtrand zieht, möchte im Grünen wohnen. Wenn wir das jetzt zubauen, dann nehmen wir uns da was. Auf der anderen Seite wollen sich die Umlandgemeinden entwickeln. Nicht alle, aber einige. Wenn man gemeinsam versucht, ein Konzept zu machen, bekommt man eine bessere Qualität für beide. Insofern hat das Thema Stadtrand bei der LaSie den Verknüpfungspunkt zu einer langfristigen Siedlungsentwicklung in der Region eingeschlossen – die läuft unter dem Stichwort „Europäische Metropolregion München“. Wir wollen uns nicht nur auf den Speckgürtel fokussieren. Wir stehen im Dialog mit den Kollegen aus Landshut, aus Augsburg, aus Rosenheim, aus Freising.

Das Hauptaugenmerk der Untersuchung zielt aber auf die städtische Verdichtung?

Das dritte Gutachten im Rahmen der LaSie – das von Dietrich Fink – fragt, wie man nachverdichten kann. Da passiert ja schon nach § 34 BauGB eine ganze Menge. Doch wir können dort relativ wenig qualitativ steuern. Manchmal wird gesagt, man könnte in den Einfamilienhausgebieten eine Gartenstadt-Satzung machen. Aber dort sind die Gebiete schon so heterogen, dass man das ernsthaft nicht vertreten kann. Das wäre juristisch kaum machbar. Wir hätten hochkomplizierte Verfahren und würden trotzdem noch keine einzige neue Wohnung bauen. Dietrich Fink hat uns zum Beispiel dargestellt, wie Schwabing sich historisch entwickelte. Jeder würde heute gerne in Schwabing wohnen, das hat eine Dichte von 4,0 oder 3,5. Wenn wir in anderen Gebieten eine Dichte von nur 2,5 vorschlagen, gibt es großes Gezeter.

Unterm Strich heißt das: München muss dichter werden!

Das würde ich so nicht sagen: München muss dichter werden. Das klingt wie ein Programm der Stadtbaurätin und des Stadtrats. Das haben wir, einfach gesagt, nicht nötig. Wir müssen uns nicht, wie Hamburg, wachsende Stadt nennen, das passiert hier sowieso. Unser Auftrag ist, mit dem Wachstum, das sich ereignet, verantwortungsvoll umzugehen. Und natürlich will ich das gestalten, im Sinne von Nachhaltigkeit, von guten öffentlichen Räumen.

Für die Ränder kann ich mir diese neuen Qualitäten vorstellen. Aber wie lässt sich eine nennenswerte Verdichtung im gemischten Kerngebiet umsetzen?


Dietrich Fink hatte vor einiger Zeit ja mal Studien gemacht, bei denen er im Altstadtensemble anfing, Türme zu bauen. Da muss ich sagen, das sehe ich nicht. Wir müssen bestimmte Stellen vielleicht sogar noch radikaler verteidigen, als wir das bisher tun. Dazu gehört für mich auch die Qualität der Nachkriegsmoderne in München. Wir haben ein Altstadtensemble, das praktisch komplett wieder aufgebaut ist, aber dennoch als Flächendenkmal gesehen wird und das, wie ich meine, zu Recht. Bei Entwicklungen in diesem Altstadtensemble und in diesem Kernbereich wäre ich sehr vorsichtig. Das schließt überhaupt nicht aus, dass man an der einen oder anderen Stelle mal was anderes machen kann. Aber das ist für mich erstmal kein Thema.
Was das jetzige Gutachten von Dietrich Fink aber für die erweiterte Innenstadt und viele Bereiche die sich an den Mittleren Ring anschließen rausgefunden hat, halte ich für wichtig: Gerade die Siedlungsstrukturen der 50er, 60er und 70er Jahre – die sowieso in die Jahre gekommen sind, die alle zur energetischen Sanierung anstehen, bei denen zum Teil die Wohnungsgrundrisse nicht mehr passen, weil sie nicht altengerecht sind, bei denen man Aufzüge braucht –, gerade diese Gebiete kann man sich konzeptionell anschauen und versuchen, dort nachzuverdichten. Und zwar mit Aufstockung und mit neuen Gebäuden dazwischen. Warum nicht mal Hochhäuser? Da wäre ich sehr offen. Und dass man dort, wo die Bausub­stanz wirklich mager ist, auch mal was abreißen darf.

Wie sagt die Bevölkerung zu solchen Überlegungen der Nachverdichtung?


In den letzten fünf Jahren hat da schon ein Umdenkprozess eingesetzt. Angefangen bei der Politik. Wenn ich da vor fünf Jahren von Nachverdichtung geredet habe, haben meine eigenen Mitarbeiter gesagt: „Um Gottes willen, Frau Merk, dieses Wort nie benützen“. Mittlerweile haben wir, im Vorfeld von „Wohnen in München V“, von allen Parteien die Aufforderung bekommen, uns um Nachverdichtung zu kümmern. Manche Bezirksausschüsse wollen nicht, dass noch irgendetwas gebaut wird; andere sagen, etwa wenn wir heute auf dem Areal der Bayernkaserne noch mal ein Wohnquartier machen, machen Sie es bitte dichter, damit wir mehr Urbanität kriegen, auch mit zusätzlichen Nutzungen. Da ist schon ein Umdenkprozess in Gang gekommen.

Heißt das, dass auch große neue Siedlungen wie Riem oder Ackermannbogen heute dichter beplant würden?

Ich gehe davon aus. Aber es kann nicht heißen, Dichte um jeden Preis. Kein Ort gleicht dem anderen.

München war immer auch für ambitionierte Wohnbautypologien bekannt, die von der Stadt entsprechend gefördert wurden. Doch angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum scheint heute die Bereitschaft, neue Typologien umzusetzen, nur noch marginal zu sein.


Wenn man 6000 Wohnungen im Jahr baut, dann gehen die drei besonderen Projekte mit den 200 Wohnungen vielleicht unter. Andere Städte, die nur zwei Projekte im Jahr realisieren, stellen diese heraus. Architekten erzählen mir immer wieder wie schwer es ist, die Qualitäten des Wettbewerbsentwurfs in der Realisierung beizubehalten. Das fängt beim Material an und hört bei den Wohnungszuschnitten auf. Das Problem darf nicht kleingeredet werden. Auf der anderen Seite haben wir eine ganze Menge Projekte, die ich hervorragend finde.

Zum Beispiel?


Ich denke an Grundrisse, die mit schmalen Zuschnitten zurechtkommen, an durchgesteckte Wohnungen und solche Konzepte. Aber der Spielraum ist natürlich klein, wenn man im Prinzip jede Wohnung loskriegt.

Verhindert der Boom heute die gute Architektur?


Unbestreitbar liegt in den Preisen ein Problem. Man kann es nicht einfach abtun und sagen, die Bauträger wollen jetzt alle nicht. Andrerseits, und damit komme ich zurück auf das eben Gesagte: München hat vielleicht nicht so viele spektakuläre Dinge, aber wir haben eine ganz hohe Qualität in der Masse. Unsere Viertel haben eine hohe Aufenthaltsqualität, auch die Zonierung zwischen halbprivaten und öffentlichen Räumen funktioniert sehr gut. Dies gilt auch im Vergleich mit anderen Städten, Wien und Mailand eingeschlossen. Wien zum Beispiel: Ich finde vieles, was dort in den letzten Jahren realisiert wurde, toll, aber es gibt auch Unmögliches. Die Donau City l hat öffentliche Räume, die diesen Titel nicht verdienen. Da gibt es abgezäunte Spielplätze inmitten dieser riesigen Gebäude.
Auch wenn wir hier in München Fassaden sanieren, würde ich uns ein gutes Zeugnis ausstellen. Ich sehe uns da schon in einer Linie zu Theodor Fischer, dessen Jubiläum wir gerade feiern. Das Prinzip lautet, aus dem Ort heraus zu denken, weil man dann größere Synergieeffekte hat. Das ist bei der Theresienhöhe gut gelungen. Nicht ganz so begeistert bin ich vom Arnulfpark. Den hätte ich mir tatsächlich dichter und mit spannenderer Architektur gewünscht.

Die Fragen stellte Kaye Geipel
Fakten
Architekten Merk, Elisabeth, München
aus Bauwelt 36.2012
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