Studiolo im Kleiderschrank
Text: Elser, Oliver, Frankfurt am Main
Studiolo im Kleiderschrank
Text: Elser, Oliver, Frankfurt am Main
Gebrauchtmöbel unterschiedlichen Maßstabs kombiniert Regina Baierl zu anspielungsreichen Kleinstarchitekturen, die die räumlichen Voraussetzungen für unterschiedlichste Tätigkeiten reflektieren.
Regina Baierl hat Architektur studiert und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Kaiserslautern unterrichtet. Seit einiger Zeit baut sie in ihrem Atelier in München aus gebrauchten Möbeln, teilweise auch aus Puppenmöbeln, eine Serie von Objekten, die sie „studioli“ nennt. Die Studioli sind Kleinstarchitekturen, mit denen „Räume im Raum“ geschaffen werden können. Sie sind meist als Studierstübchen eingerichtet: Mit einem Stuhl, einer kleinen Ablagefläche, einem winzigen Bücherregal. Sie erinnern an die Raummöbel, mit denen Gelehrte wie der Heilige Hieronymus auf Bildern der Renaissance dargestellt werden. Arbeitsplätze für einen Mönch oder einen Eremiten.
Mit jenen schallgedämpften Zellen, die seit einigen Jahren von der Möbelindustrie für den Einsatz in Großraumbüros angeboten werden, haben die Studioli nichts gemein. Sie sind nicht dazu gedacht, die Nachteile einer zu unruhigen Umgebung auszugleichen, um die Nutzer zu Arbeitsleistungen anzuspornen. Dafür sind sie viel zu eigensinnig. Ihre Benutzbarkeit mag auf den ersten Blick etwas konstruiert erscheinen – Regina Baierl selbst spricht davon, sich in ihrem Atelier immer wieder in eines der Objekte zurückzuziehen. Tatsächliche Verwendbarkeit und eine große Portion Lust am Erschaffen extrem reduzierter, verschachtelter Räume und elementarer Raumerfahrungen kommen in den Studioli zusammen.
Regina Baierl, die auch gelernte Schreinerin ist, entwirft ihre Rückzugsmöbel mit einer strengen, selbst auferlegten Vorgabe. Es herrscht das Prinzip der Collage, wonach nur verwendet werden darf, was bereits fertig vorhanden ist. Jedem Stück ist anzusehen, woraus es zusammengefügt wurde. Beispielsweise wird ein Kleiderschrank mit einem Hängeschränkchen erweitert, das um 90 Grad gedreht eingebaut ist. Wer auf dem Holzstuhl im Schrank Platz nimmt (für mehr Bequemlichkeit in der knarzenden Umgebung sorgt ein Fellüberwurf), der stellt vielleicht erst auf den zweiten Blick fest, worum es sich bei dem Fenster mit der tiefen Laibung eigentlich handelt.
Bei einigen Studioli sind die Möbelteile so miteinander verschachtelt, dass geradezu unglaubliche Objekte entstehen: Eine Art Raumkapsel, die über eine Rampe zu betreten ist, welche sich bei näherem Hinsehen als Öffnungsflügel eines Sideboards entpuppt (oberste Reihe, ganz links). Bricht das nicht alles zusammen, beim ersten Versuch es zu betreten? Der Zweifel ist berechtigt. Manche Möbelobjekte gibt es nur im Modellmaßstab. Doch diese kleinen Studioli sind genauso detailliert ausgestattet, mit kleinen Lämpchen, Decken und Stühlen, wie die großen Raummöbel, die Regina Baierl bisher realisieren konnte.
Welche Objekte nun im großen, welche im kleinen Maßstab hergestellt wurden, da hält sich Regina Baierl etwas bedeckt. Auf den Fotos in ihrem jüngst erschienenen Katalog ist der Unterschied kaum zu erkennen. Bei der ersten Ausstellung ihrer Arbeiten im Herbst 2012 in der Architekturgalerie Kaiserslautern waren die „kleinen Studioli“ nicht als Modelle, sondern durch den Maßstab bewusst verwischende Fotos präsent. Ohnehin ist es nicht ganz richtig, von Modellen zu sprechen: Da exakt dieselben Möbelstücke nicht in der Menschengröße zu bekommen wären, sind auch die Modell-Studioli jeweils Einzelstücke.
Der erzählerische Sog
Egal ob groß oder klein: Was ist die Story, was passiert eigentlich in diesen Gehäusen? Die Fotos zeigen die kleinen Behausungen nicht als neutrale Behälter, sie sind keine Funktionsmöbel, sondern Charaktere, manche sehen wie Tiere aus. Es sind echte Viecher: Bisweilen wilde Sperrmüllkreaturen, die auf ihren Möbelbeinchen unruhig herumtippeln oder diese Beinchen in die Luft strecken wie ein Teufel seine Hörner. Je länger man sich mit ihnen beschäftigt, desto mehr verwandeln sie sich. Man taucht ein in eine Miniaturwelt, so wie das Kind in seine Spielzeugwelt versinken kann. Die Möbel führen ihr Eigenleben.
Fotos von Modellen so anzulegen, dass man als Betrachter in einen erzählerischen Sog hineingezogen wird – diese Strategie ist von etlichen Künstlern bekannt, die in den vergangenen Jahren für Furore sorgten: Allen voran Thomas Demand, natürlich, aber auch Oliver Boberg oder Michael C. McMillen haben Modelle als „Fotomodelle“ verwendet, um atmosphärisch dichte Räume zu konstruieren, die von einer Aura des Mysteriösen oder auch eines leicht verschobenen Alltags umgeben sind. Doch es kommt Regina Baierl nicht allein auf die Wirkung der Fotografien ihrer Objekte an. Die reale oder zumindest vorstellbare Bewohnbarkeit der Studioli macht sie zu Kleinstarchitekturen. Auch das Thema der Minimalbehausung ist bei vielen zeitgenössischen Künstlern zu finden: Absalon oder Didier Faustino haben raumkapselartige Wohnbehälter entworfen. In der Kunstwelt sind solche Versuchsanordnungen jedoch meistens von einer gewissen Gnadenlosigkeit, es fehlt jede Spur von Fürsorge und Gemütlichkeit. Davor schreckt Regina Baierl nicht zurück. Ihre Objekte sind menschenfreundlich, auch wenn es wohl eines Spleens bedarf, damit sie als Arbeitsplatz tatsächlich infrage kommen.
Ihr Entwurfsprinzip hingegen macht sie topaktuell: „Reduce, Reuse & Recycle“, das ist nicht nur ein Thema, mit dem der deutsche Beitrag zur Architekturbiennale 2012 angetreten ist. Es gärt um uns herum. In der Architektur setzt sich allmählich der Gedanke durch, dass Nachhaltigkeit einen weitgehenden Verzicht auf Neubauten bedeuten könnte. Das schließt das Entstehen des Neuen nicht aus – etwas Neues kann auch in die Welt kommen, indem man das Alte (hier sind es Schränke und Puppenschränke) nicht wegwirft, sondern neu kombiniert. Die meisten Menschen finden viele Altbauten ohnehin schöner als Neubauten, alte Möbel interessanter als neue. Regina Baierl schafft etwas Neues aus dem Vertrauten, aus dem Gewohnten in seiner Doppeldeutigkeit: Etwas erscheint uns gewohnt, weil es gewohnt hat. Ihre Objekte haben gewohnt, in ihrem ersten Leben als echte Möbelstücke, deshalb wirken sie auf uns, in ihrem zweiten Leben zu den unwahrscheinlichsten Konstrukten verbunden, so angenehm.
Mit jenen schallgedämpften Zellen, die seit einigen Jahren von der Möbelindustrie für den Einsatz in Großraumbüros angeboten werden, haben die Studioli nichts gemein. Sie sind nicht dazu gedacht, die Nachteile einer zu unruhigen Umgebung auszugleichen, um die Nutzer zu Arbeitsleistungen anzuspornen. Dafür sind sie viel zu eigensinnig. Ihre Benutzbarkeit mag auf den ersten Blick etwas konstruiert erscheinen – Regina Baierl selbst spricht davon, sich in ihrem Atelier immer wieder in eines der Objekte zurückzuziehen. Tatsächliche Verwendbarkeit und eine große Portion Lust am Erschaffen extrem reduzierter, verschachtelter Räume und elementarer Raumerfahrungen kommen in den Studioli zusammen.
Regina Baierl, die auch gelernte Schreinerin ist, entwirft ihre Rückzugsmöbel mit einer strengen, selbst auferlegten Vorgabe. Es herrscht das Prinzip der Collage, wonach nur verwendet werden darf, was bereits fertig vorhanden ist. Jedem Stück ist anzusehen, woraus es zusammengefügt wurde. Beispielsweise wird ein Kleiderschrank mit einem Hängeschränkchen erweitert, das um 90 Grad gedreht eingebaut ist. Wer auf dem Holzstuhl im Schrank Platz nimmt (für mehr Bequemlichkeit in der knarzenden Umgebung sorgt ein Fellüberwurf), der stellt vielleicht erst auf den zweiten Blick fest, worum es sich bei dem Fenster mit der tiefen Laibung eigentlich handelt.
Bei einigen Studioli sind die Möbelteile so miteinander verschachtelt, dass geradezu unglaubliche Objekte entstehen: Eine Art Raumkapsel, die über eine Rampe zu betreten ist, welche sich bei näherem Hinsehen als Öffnungsflügel eines Sideboards entpuppt (oberste Reihe, ganz links). Bricht das nicht alles zusammen, beim ersten Versuch es zu betreten? Der Zweifel ist berechtigt. Manche Möbelobjekte gibt es nur im Modellmaßstab. Doch diese kleinen Studioli sind genauso detailliert ausgestattet, mit kleinen Lämpchen, Decken und Stühlen, wie die großen Raummöbel, die Regina Baierl bisher realisieren konnte.
Welche Objekte nun im großen, welche im kleinen Maßstab hergestellt wurden, da hält sich Regina Baierl etwas bedeckt. Auf den Fotos in ihrem jüngst erschienenen Katalog ist der Unterschied kaum zu erkennen. Bei der ersten Ausstellung ihrer Arbeiten im Herbst 2012 in der Architekturgalerie Kaiserslautern waren die „kleinen Studioli“ nicht als Modelle, sondern durch den Maßstab bewusst verwischende Fotos präsent. Ohnehin ist es nicht ganz richtig, von Modellen zu sprechen: Da exakt dieselben Möbelstücke nicht in der Menschengröße zu bekommen wären, sind auch die Modell-Studioli jeweils Einzelstücke.
Der erzählerische Sog
Egal ob groß oder klein: Was ist die Story, was passiert eigentlich in diesen Gehäusen? Die Fotos zeigen die kleinen Behausungen nicht als neutrale Behälter, sie sind keine Funktionsmöbel, sondern Charaktere, manche sehen wie Tiere aus. Es sind echte Viecher: Bisweilen wilde Sperrmüllkreaturen, die auf ihren Möbelbeinchen unruhig herumtippeln oder diese Beinchen in die Luft strecken wie ein Teufel seine Hörner. Je länger man sich mit ihnen beschäftigt, desto mehr verwandeln sie sich. Man taucht ein in eine Miniaturwelt, so wie das Kind in seine Spielzeugwelt versinken kann. Die Möbel führen ihr Eigenleben.
Fotos von Modellen so anzulegen, dass man als Betrachter in einen erzählerischen Sog hineingezogen wird – diese Strategie ist von etlichen Künstlern bekannt, die in den vergangenen Jahren für Furore sorgten: Allen voran Thomas Demand, natürlich, aber auch Oliver Boberg oder Michael C. McMillen haben Modelle als „Fotomodelle“ verwendet, um atmosphärisch dichte Räume zu konstruieren, die von einer Aura des Mysteriösen oder auch eines leicht verschobenen Alltags umgeben sind. Doch es kommt Regina Baierl nicht allein auf die Wirkung der Fotografien ihrer Objekte an. Die reale oder zumindest vorstellbare Bewohnbarkeit der Studioli macht sie zu Kleinstarchitekturen. Auch das Thema der Minimalbehausung ist bei vielen zeitgenössischen Künstlern zu finden: Absalon oder Didier Faustino haben raumkapselartige Wohnbehälter entworfen. In der Kunstwelt sind solche Versuchsanordnungen jedoch meistens von einer gewissen Gnadenlosigkeit, es fehlt jede Spur von Fürsorge und Gemütlichkeit. Davor schreckt Regina Baierl nicht zurück. Ihre Objekte sind menschenfreundlich, auch wenn es wohl eines Spleens bedarf, damit sie als Arbeitsplatz tatsächlich infrage kommen.
Ihr Entwurfsprinzip hingegen macht sie topaktuell: „Reduce, Reuse & Recycle“, das ist nicht nur ein Thema, mit dem der deutsche Beitrag zur Architekturbiennale 2012 angetreten ist. Es gärt um uns herum. In der Architektur setzt sich allmählich der Gedanke durch, dass Nachhaltigkeit einen weitgehenden Verzicht auf Neubauten bedeuten könnte. Das schließt das Entstehen des Neuen nicht aus – etwas Neues kann auch in die Welt kommen, indem man das Alte (hier sind es Schränke und Puppenschränke) nicht wegwirft, sondern neu kombiniert. Die meisten Menschen finden viele Altbauten ohnehin schöner als Neubauten, alte Möbel interessanter als neue. Regina Baierl schafft etwas Neues aus dem Vertrauten, aus dem Gewohnten in seiner Doppeldeutigkeit: Etwas erscheint uns gewohnt, weil es gewohnt hat. Ihre Objekte haben gewohnt, in ihrem ersten Leben als echte Möbelstücke, deshalb wirken sie auf uns, in ihrem zweiten Leben zu den unwahrscheinlichsten Konstrukten verbunden, so angenehm.
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