Bauwelt

Tripolis, eine gezeichnete Stadt

Text: Fiedler, Johannes, Braunschweig

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    Unter wechselnden politischen Systemen wuchs das Küstenstädtchen Tripolis im 20. Jahrhundert zu einer 1,8-Millionen-Stadt auf 250 km². Die Herrschaftssysteme bilden sich in der Bebauung ab.
    Johannes Fiedler

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    Unter wechselnden politischen Systemen wuchs das Küstenstädtchen Tripolis im 20. Jahrhundert zu einer 1,8-Millionen-Stadt auf 250 km². Die Herrschaftssysteme bilden sich in der Bebauung ab.

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    Am Hafen, der auf Phönizier, Karthager und Römer zurückgeht, liegt die ummauerte arabische Medina.
    Johannes Fiedler / Google Maps

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    Am Hafen, der auf Phönizier, Karthager und Römer zurückgeht, liegt die ummauerte arabische Medina.

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    Der Perimeter der Medina ist geprägt von Gebäuden und Platzräumen aus der osmanischen Zeit.
    Johannes Fiedler

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    Der Perimeter der Medina ist geprägt von Gebäuden und Platzräumen aus der osmanischen Zeit.

    Johannes Fiedler

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    Innerhalb der Mauern ist die Medina von den Modernisierungsvorhaben der nachfolgenden Regimes verschont geblieben.
    Johannes Fiedler

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    Innerhalb der Mauern ist die Medina von den Modernisierungsvorhaben der nachfolgenden Regimes verschont geblieben.

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    Italien wollte als spät gekommene Kolonialmacht zumindest symbolisch aufrücken in die Riege der Weltmächte. Nach der Machtergreifung Mussolinis 1922 wurde die Kolonisierung als großes, pathetisches Projekt betrieben.
    Johannes Fiedler

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    Italien wollte als spät gekommene Kolonialmacht zumindest symbolisch aufrücken in die Riege der Weltmächte. Nach der Machtergreifung Mussolinis 1922 wurde die Kolonisierung als großes, pathetisches Projekt betrieben.

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    Florestano Di Fausto (1890 - 1965) hat in seinen Bauten Themen der arabischen Baukultur integriert - in den Raumlösungen und im Dekor. An vielen Stellen ist die Inszenierung italienischen Stadtraums noch intakt.
    Johannes Fiedler

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    Florestano Di Fausto (1890 - 1965) hat in seinen Bauten Themen der arabischen Baukultur integriert - in den Raumlösungen und im Dekor. An vielen Stellen ist die Inszenierung italienischen Stadtraums noch intakt.

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    Die Stadterweiterung unter König Idris (ab 1951) war bestimmt von der Einsicht, dass es notwendig ist, den Menschen geordnete und kostengünstige Rahmenbedingungen zum Bau eigener Häuser bereitzustellen.
    Johannes Fiedler

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    Die Stadterweiterung unter König Idris (ab 1951) war bestimmt von der Einsicht, dass es notwendig ist, den Menschen geordnete und kostengünstige Rahmenbedingungen zum Bau eigener Häuser bereitzustellen.

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    Das Konzept aus der Zeit des König Idris wird von Fachleuten vor Ort mit dem Begriff „taqsim“ (Teilung) assoziiert. Es handelt sich um „Parzellierungen“ durch die Grundstückseigentümer nach staatlichen Vorgaben.
    Johannes Fiedler / Google Maps

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    Das Konzept aus der Zeit des König Idris wird von Fachleuten vor Ort mit dem Begriff „taqsim“ (Teilung) assoziiert. Es handelt sich um „Parzellierungen“ durch die Grundstückseigentümer nach staatlichen Vorgaben.

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    Heute sind die Typenhäuser auf den Parzellen auf vielfältige Art individualisiert. Die Taqsim-Gebiete haben eine soziale Qualität, die ein angenehmes Leben in der hochgradig fragmentierten Stadt möglich zu machen scheint.
    Johannes Fiedler

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    Heute sind die Typenhäuser auf den Parzellen auf vielfältige Art individualisiert. Die Taqsim-Gebiete haben eine soziale Qualität, die ein angenehmes Leben in der hochgradig fragmentierten Stadt möglich zu machen scheint.

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    In den letzten 20 Jahren nahm Gaddafi enorme Eingriffe in die Stadtstruktur vor. Geplant war ein Grüngürtel, der Küstenstreifen wurde mit Hotels privatisiert. Große Gebiete fielen der Kahlschlagsanierung (hellrot, unten) und Autobahnen zum Opfer.
    Johannes Fiedler / Google Maps

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    In den letzten 20 Jahren nahm Gaddafi enorme Eingriffe in die Stadtstruktur vor. Geplant war ein Grüngürtel, der Küstenstreifen wurde mit Hotels privatisiert. Große Gebiete fielen der Kahlschlagsanierung (hellrot, unten) und Autobahnen zum Opfer.

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    Der von Gaddafi installierte Apparat gestaltete die Stadt nach den Prinzipien der Funktionstrennung um und initiierte Massen-Geschosswohnungsbau, erst nach osteuropäischem, ab 1990 nach kapitalistischem Vorbild.
    Johannes Fiedler

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    Der von Gaddafi installierte Apparat gestaltete die Stadt nach den Prinzipien der Funktionstrennung um und initiierte Massen-Geschosswohnungsbau, erst nach osteuropäischem, ab 1990 nach kapitalistischem Vorbild.

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    Nach der Machtübernahme durch Gaddafi ist die italienische Stadt an vielen Stellen übel zugerichtet worden. Entlang der Uferpromenade wurden zahlreiche repräsentative Bauten geschliffen, ...
    Johannes Fiedler

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    Nach der Machtübernahme durch Gaddafi ist die italienische Stadt an vielen Stellen übel zugerichtet worden. Entlang der Uferpromenade wurden zahlreiche repräsentative Bauten geschliffen, ...

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    ... die Uferzone wurde aufgeschüttet und eine achtspurige Küsten-Schnellstraße angelegt.
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    ... die Uferzone wurde aufgeschüttet und eine achtspurige Küsten-Schnellstraße angelegt.

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    Heute ist die Corniche Road zu Fuß praktisch unüberwindbar und trennt den öffentlichen Raum des Stadtzentrums vom Hafenbecken.
    Johannes Fiedler

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    Heute ist die Corniche Road zu Fuß praktisch unüberwindbar und trennt den öffentlichen Raum des Stadtzentrums vom Hafenbecken.

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    Die kleinteiligen Gebiete aus der Idris-Ära waren dem Regime ein Dorn im Auge. Anstatt des populären Händler- und Handwerkerviertels „Souq al Thulata“ sollte, als ein Teil des Grüngürtels, ein Park entstehen.
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    Die kleinteiligen Gebiete aus der Idris-Ära waren dem Regime ein Dorn im Auge. Anstatt des populären Händler- und Handwerkerviertels „Souq al Thulata“ sollte, als ein Teil des Grüngürtels, ein Park entstehen.

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    2009 wurde das Viertel gewaltsam geräumt. Derzeit wird die Fläche des ehemaligen Souq als Schrottplatz und Müllhalde genutzt.
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    2009 wurde das Viertel gewaltsam geräumt. Derzeit wird die Fläche des ehemaligen Souq als Schrottplatz und Müllhalde genutzt.

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    Die Kahlschlagsanierungen waren Teil eines System des Landraubs, das das Ziel der Zerstörung von Zivilgesellschaft mit jenem des kommerziellen Gewinns auf vorteilhafte Weise verband.
    Johannes Fiedler

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    Die Kahlschlagsanierungen waren Teil eines System des Landraubs, das das Ziel der Zerstörung von Zivilgesellschaft mit jenem des kommerziellen Gewinns auf vorteilhafte Weise verband.

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    Überall im Stadtraum findet man heute Aufschriften, in denen die ehemaligen Eigentümer ihre Rechte einfordern. Im Sand der geräumten Flächen bilden die Menschen die Bauplätze ihrer demolierten Häuser nach.
    Johannes Fiedler

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    Überall im Stadtraum findet man heute Aufschriften, in denen die ehemaligen Eigentümer ihre Rechte einfordern. Im Sand der geräumten Flächen bilden die Menschen die Bauplätze ihrer demolierten Häuser nach.

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Die Bau­r­uine des monströsen Al Ghazzala Intercontinental Hotels
Johannes Fiedler

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Die Bau­r­uine des monströsen Al Ghazzala Intercontinental Hotels

Johannes Fiedler


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Johannes Fiedler


Tripolis, eine gezeichnete Stadt

Text: Fiedler, Johannes, Braunschweig

Entwickelt sich mit der politischen Demokratisierung auch ein demokratischer Stadtraum? Unser Autor, der an der TU Braunschweig zu „räumlicher Gerechtigkeit“ lehrt, reiste nach Tripolis, um dieser Frage nachzugehen.
Er fand eine Stadt, die ganz unmittelbar von ihren vergangenen Herrschern erzählt – und sich gerade neu zu orientieren beginnt.

Im Jahr nach der blutigen Revolution hat sich Tripolis wieder mit mediterranem Leben gefüllt. Das Ausmaß der sichtbaren Zerstörung durch die Kämpfe des Jahres 2011 ist gering. Die Nato-Bombardements erfolgten punktuell, die Häuserkämpfe beschränkten sich auf wenige Zonen. Das ehemalige Hauptquartier Muammar al-Gaddafis liegt in Trümmern, der restliche Baubestand der Stadt wirkt intakt. Dennoch, Tripolis ist verwundet. Die nun langsam zutage tretenden Indizien lassen darauf schließen, dass Gaddafi und seine Entourage ihren jahrzehntelangen Krieg gegen die eigene Bevölkerung nicht nur mit den Mitteln der politischen Repression geführt haben, sondern auch explizit in räumlicher Form. Während also heute in Tripolis damit begonnen wird, den Müll abzutransportieren, der sich während der Kämpfe angesammelt hat, und ausländische Firmen Gespräche zur Wiederaufnahme der unzäh­ligen Bauprojekte führen, sollte man den Blick auch auf die Wunden werfen, die allerorts im Stadtraum klaffen. Sie werden nicht allein durch Baumaßnahmen zu kurieren sein.
Das heutige Tripolis ist eine komplexe Überlagerung architektonischer und städtebaulicher Perioden: Es gibt eine Festung phönizischen Ursprungs, die einst in das Hafenbecken hineinragte, es gibt die ummauerte, arabische Medina, darin eingebettet römische Ruinen, die auf Marcus Aurelius zurückgehen, und es gibt osmanische Verwaltungsgebäude aus dem 19. Jahrhundert. Prägend sind jedoch die Bauten der vergangenen hundert Jahre: Unter wechselnden politischen Systemen wuchs die Stadt von einem beschaulichen osmanischen Küstenstädtchen, das im Jahr 1911 von den Italienern übernommen worden war, zu einer Agglomeration von rund 250 Quadratkilometern mit 1,8 Millionen Einwohnern. Der Reichtum aus der Ölförderung und der zunehmende Autoverkehr sorgten dabei für exponentiell zunehmenden Raumverbrauch und groteske Maßstabssprünge. Aus heutiger Sicht lassen sich drei unterschiedliche Städte ausmachen, die jeweils einer Herrschaftsperiode entsprechen: die Stadt Mussolinis, jene des Königs Idris und die des Gaddafi-Regimes. Und soeben hat mit dem Abschütteln der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi und seines Clans wieder eine neue politische Periode begonnen – und auch sie wird ihre eigene Stadt hervorbringen.

Die italienische Stadt Tripolis
Im Stadtbild unverkennbar ist die „italienische“ Stadt, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Hafen ausgehend gebaut worden ist. Zu sagen, sie wäre entstanden, würde dieser Art von Stadt nicht gerecht. Diese Stadt wurde „gemacht“, um die Präsenz der italienischen Kolonisatoren zu manifestieren. Renommierte Architekten und Ingenieure wurden herbeigeholt, große Mittel bereitgestellt. Italien wollte als spät gekommene Kolonialmacht zumindest symbolisch aufrücken in die Riege der Weltmächte. Die Kolonisierung in Nord- und Ost­afrika wurde als großes, pathetisches Projekt betrieben. Im Fall Libyens handelte es sich zudem nicht um einen abgelegenen Landstrich, sondern – aus der Sicht der Kolonisatoren – um die südliche Erweiterung Italiens. Diese Haltung ist vor allem in den Bauten zu spüren, die nach der Machtergreifung Mussolinis 1922 entstanden. Sie sollten ein neues, besseres Italien begründen: effizient, hygienisch, Respekt gebietend.
Von der antiken Festung ausgehend wurden, auf dem Grundriss der vorhandenen Wege, Straßenachsen mit Arkaden und Baumreihen angelegt. Eine von Palmen gesäumte Uferpromenade im Stil mediterraner Seebäder mündete in einer repräsentativen, von Siegessäulen flankierten Mole. An der Hafenkante entstanden Prachtbauten: ein Grand Hotel, ein Opernhaus, Bank- und Botschaftsgebäude. Große Teile der Uferbebauung sind inzwischen abgetragen oder verunstaltet worden, doch an einem Punkt ist dieser Stadtraum nach wie vor intakt: Unweit der damaligen Uferpromenade hat der Architekt Florestano Di Fausto (1890–1965) einen quadratischen, raffiniert zur Uferlinie verdrehten Platz geschaffen, der mit einer Abfolge repräsentativer Bauten eingerahmt wurde: Rathaus, Kathedrale, Verwaltungsgebäude. Eines davon – damals der Sitz der Sozialversicherung – ist von einer hohen Galerie durchbrochen, die den Blick und den Durchgang in Richtung Uferpromenade freigibt. Dieses großstädtische italienische Motiv ist mit seinem von Säulen gerahmten Atrium zugleich ein orientalischer Innenhof.
Der virtuose Eklektizist Di Fausto hat in allen seinen Werken in Tripolis Themen der arabischen Baukultur inte­griert, in den Raumlösungen und im Dekor. Es war für ihn und seine Auftraggeber offensichtlich kein Widerspruch, das arabische Kulturerbe zu zelebrieren und gleichzeitig die arabischen Selbstbestimmungsansprüche zu bekämpfen. In jenen Bereichen, die mit hohem baukünstlerischen Anspruch realisiert wurden und die die nachfolgenden Verwüstungen überstanden haben, kann man sich noch heute wie in Messina oder Neapel fühlen. Die vormalige Kathedrale, im Stil einer Basilika mit Kampanile errichtet, wurde später geschmacks­sicher in eine Moschee umgewandelt, die Platzformation da­bei nicht angetastet. Was die italienische Verwaltung abseits ihrer repräsentativen Inszenierungen hinterlassen hat, ist ein System der Bebauung und öffentlicher Räume, das aus heutiger Sicht vor allem eines leistet: Fußläufigkeit. Daran mangelt es den neueren Stadtteilen von Tripolis.
Nach Ende der italienischen Kolonie Libyen, vor allem nach der Machtübernahme durch Gaddafi, ist die italienische Stadt an vielen Stellen übel zugerichtet worden. Am zentralen Platz vor der Festung wurden zahlreiche repräsentative Bauten geschliffen, die eindrucksvolle Durchfahrt der Festung verschlossen, die Uferzone aufgeschüttet und eine achtspurige Küsten-Schnellstraße angelegt, die nun – zu Fuß praktisch unüberwindbar – den öffentlichen Raum des Stadtzentrums vom Hafenbecken trennt. Dazu kamen Auf- und Abfahrtsrampen, die den Autoverkehr kreuzungsfrei in die Innenstadt einbinden, hinter denen aber die Bauten und die Reste der alten Strandpromenade verschwinden. Die Zerstörung kulminierte im Projekt des Al Ghazzala Intercontinental Hotels, welches, obwohl noch nicht fertiggestellt, das nebenliegende Al Waddan-Hotel von Florestano Di Fausto um ein Vielfaches übertrumpft. Es steht heute als groteske Bauruine im Raum und kehrt der historischen Stadt den Rücken zu.   

Die Stadt des König Idris
Auf eine kurze britische Mandatsverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg folgte ab 1951 die libysche Unabhängigkeit in Form einer Monarchie unter König Idris. Die zu dieser Zeit angelegten Wohngebiete zeichnen sich durch ein feinmaschi­-ges, orthogonales Raster von Straßen aus, die unzählige kleine, gleichartige Bauplätze erschließen. In jedem dieser Gebiete gibt es Flächen und Plätze mit öffentlichen Einrichtungen, also Märkte, Schulen und Moscheen. Auf den Wohn-Parzellen, die oft nicht größer als 120 Quadratmeter sind, findet sich meist ein Typenhaus, das massenweise reproduziert wurde. Es besteht üblicherweise aus einer etwa zehn Meter breiten Straßenfront mit mittigem Eingang und zwei Fensterachsen, die Wohnräume gruppieren sich um einen Innenhof. Zu beiden Seiten schließt das Haus mit Brandwänden an die Nachbarparzellen an. Nicht nur die Geometrie dieser Häuser, die einer breiten Bevölkerungsgruppe zugänglich waren, auch die Fassadenelemente waren normiert und sind bis heute fast überall erkennbar: ein kleines Betongesims im Bereich der Geschossdecke und eine Attika mit rechteckigen Ausnehmungen, ausgefacht mit durchbrochenen Ziersteinen.
Heute sind diese Häuser auf vielfältige Weise verändert, meist aufgestockt und neu dekoriert. In den Erdgeschossen findet man Läden oder Garagen, auf den Dächern wuchern Pergolen und Gärten. Trotz dieser unkontrollierten Veränderung und Aneignung sind die konstituierenden Elemente dieser Stadtgebiete – die Straßenquerschnitte und die Parzellierung – intakt geblieben. Die Art der Raumverteilung, zum einen die kollektive Nutzung, zum anderen der private Gebrauch, haben sich bewährt und bilden die Grundlage für das Zusammenleben auf engem Raum, denn die Dichte in diesen Gebieten ist beträchtlich. Hier trifft man nicht nur auf eine klimatische sondern auch auf eine soziale Qualität, die ein angenehmes Leben in der hochgradig fragmentierten und vom Autoverkehr geplagten Stadt Tripolis möglich zu machen scheint.
Das Konzept des König Idris und seiner Architekten und Ingenieure ist kaum dokumentiert. Es wird von Fachleuten vor Ort mit dem Begriff taqsim (osmanisch für „Teilung“) as­soziiert. Es handelt sich also um „Parzellierungen“ bzw. subdivisions. Man wird dem König keine demokratischen Absichten unterstellen können, aber er scheint doch ein gewisses Maß an Sensibilität für die alltagspraktischen Bedürfnisse einer wachsenden urbanen Bevölkerung gehabt zu haben, als er den Menschen geordnete und kostengünstige Bedingungen zum Bau eigener Häuser bereitstellte. In Tripolis war es wohl gerade diese Art ziviler Öffentlichkeit und autonomer Lebensgestaltung, die dem nachfolgenden Regime des Oberst Gaddafi suspekt waren. So wurden die sogenannten Taqasim-Gebiete zum bevorzugten „Schlachtfeld“ der Transformation und fielen Schnellstraßen und anderen großflächigen Bauvorhaben zum Opfer.

Das Tripolis Gaddafis
Muammar al-Gaddafi, der 1969 durch einen Putsch an die Macht kam, setzte auf Planwirtschaft und auf Kollektivie­-rung. Der von ihm installierte Apparat initiierte den Massen-Geschosswohnungsbau nach osteuropäischem Vorbild und machte sich daran, die Stadtgebiete nach den Prinzipien der Funktionstrennung umzugestalten. Das geschah nicht nur, weil das die Berater aus den sozialistischen Bruderländern dem Regime empfahlen, sondern weil Gaddafi die funktionalistische Planung in Verbindung mit der von ihm entwickelten Ideologie vom „Volkswillen“ als ideales Mittel erkannte, die staatliche Dominanz über Grund und Boden sowie die Kon­trolle über Art und Ort des Lebens der Bevölkerung sicherzustellen. Es könnte darüber diskutiert werden, inwieweit das funktionalistische Planungsparadigma per se autoritäre Ansätze fördert – in der Hand von autoritären Machthabern und im Zusammenwirken mit hermetischen Gesellschaftsentwürfen jedenfalls entwickelt sich daraus eine gefährliche Mischung.
Mit zunehmendem Reichtum aus der Ölförderung entfernte sich die räumliche Entwicklung der Stadt vom sozialistischen Vorbild. Das Auto wurde zur generellen Verkehrslösung erklärt. Das aus der Kolonialzeit und der Monarchie geerbte Busnetz wurde mehr schlecht als recht durch ein staatliches Busnetz für Schulen, Militär und Betriebe ersetzt. Private Minibus-Systeme entstanden. Heute bieten diese jedoch in einem völlig überlasteten Straßennetz keine Alternative zum eigenen Auto. Nach 1990 und dem Wegfall der sozialistischen Referenz entwickelte sich eine Art Neureichen-Urbanismus – mit geschlossenen Wohnanlagen, Malls und Luxushotels. Dazu kamen große strukturelle Vorhaben: Ein Grüngürtel sollte durch die Stadt gezogen werden, ein dritter Autobahnring, eine U-Bahn und eine Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke wurden in Angriff genommen. Von diesen Großprojekten kamen nur die destruktiven Aspekte zur Ausführung – gewachsene Wohn- und Gewerbegebiete, die nach Meinung des Regimes und der bereitwillig unterstützenden internationalen Planer und Firmen der Modernisierung im Weg standen, wurden geschliffen.
Dieser Logik musste auch der Souq al Thulata weichen, ein populäres Handwerks- und Handelsviertel, das sich westlich des Zentrums entwickelt hatte (siehe S. 18) . Hier sollte, als ein Teil des neuen Grüngürtels, eine Parkanlage entstehen. Im Jahr 2009 wurde das Gebiet gewaltsam geräumt. Die Betreiber der Geschäfte und der Werkstätten erhielten Ersatzflächen weit außerhalb der Stadt, und es gab auch Entschädigungszahlungen. Dennoch wurde diese Maßnahme schon zu Zeiten Gaddafis heftig kritisiert. Es ging nämlich nicht „nur“ um die Rechte der Ansässigen, sondern auch um die Funktion, die dieses Gebiet für die Bevölkerung der Stadt hatte. Hier fand sie alles, was sie brauchte. Heute wird die Fläche des ehemaligen Souq als Schrottplatz und Müllhalde genutzt. Die Moschee ist verwüstet und verkohlt, die angrenzend neu errichtete Mall öde und nur spärlich bestückt.
Ein weiterer Baustein des Grüngürtels sollte das Gelände am Bab al Azizia sein, das mehrfach ummauerte Hauptquartier Gaddafis – eine seltsame Mischung aus Militärkomplex und Vergnügungspark für Ausgewählte. Daran schließt im Grünraumkonzept das Gelände des zoologischen Gartens an, das heute nur über das luxuriöse Rixos-Hotel zugänglich ist (in dem 2011 internationale Berichterstatter festsaßen). Das Hotel hatte Gaddafis Sohn Saif al-Islam, der sich als ausgebildeter Architekt engagiert der Immobilienentwicklung widmete, im Jahr 2010 in ein Waldstück bauen lassen.
Verfolgt man die weiteren Bausteine des Grüngürtels, die Trasse der Ringautobahn und die unzähligen Bauruinen im Stadtraum, wird hier ein System des Landraubs offenbar, das das Ziel der Zerstörung von Zivilgesellschaft mit dem des kommerziellen Gewinns auf vorteilhafte Weise verband. Am Ende war das Gaddafi-Regime nichts anderes als eine ausgereifte Kleptokratie. So besteht das räumliche Vermächtnis  seiner Herrschaft in Tripolis vor allem aus Schnellstraßen, heute von Müll übersäten Brachen, halbfertigen oder bereits wieder verfallenden Bauprojekten, dem von der NATO weitgehend zerstörten Palast und den Militärkomplexen. Auf den unzähligen Bauzäunen, die die zum Stillstand gekommenen Bauprojekte abschirmen, findet man heute Aufschriften, in denen die ursprünglichen Eigentümer ihre Rechte einfordern. Im Sand der geräumten Flächen stecken die Menschen mit Reifen und Türblättern die Bauplätze ihrer demolierten Häuser ab.

Auf der Suche nach der demokratischen Stadt
Jedes der Herrschaftssysteme, die Libyen im 20. Jahrhundert erlebte, hatte ein spezifisches Modell der Raumproduktion und brachte eine spezifische Form von Stadt hervor, die in ihren unterschiedlichen Aspekten Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit verkörpert.
Die italienische Stadt, die nach dem Vorbild der euro­päischen Stadt des 19. Jahrhunderts angelegt worden war, eta­blierte ein Potenzial räumlicher Gerechtigkeit – durch die Schaffung öffentlicher Räume und durch ihre Fußläufigkeit, beides zentrale Elemente zur Ausübung von Bürgerrechten. Nicht zuletzt fanden und finden weiterhin die politischen Manifestationen der libyschen Gesellschaft in diesen öffentlichen Räumen statt, auf der Omar-Mukhtar-Straße, auf dem Jezayir-Platz und auf dem „Platz der Revolution“ – zur Zeit Gad­dafis als „Grüner Platz“ bekannt. Für die intellektuelle Schicht der Stadt ist dieser Teil Tripolis’ der symbolische Ausdruck ei­ner Demokratie, die sich nun, nach dem Fall des Diktators, entwickeln könnte.
Die Stadt des König Idris leistet eine Beitrag zur offenen, demokratischen Gesellschaft mit ihrem System des kleinteiligen Privateigentums, das mit der breiten Streuung und seiner Geometrie auf das Vorhandensein eines öffentlichen Raumes angewiesen ist, diesen generiert und belebt. Es steht im Gegensatz zum verbreiteten Prinzip der „Anlage“ aus der Gaddafi-Ära, die ihren Umraum selbst erzeugt und betreibt – und in der Folge den öffentlichen Raum erodiert.
Das Tripolis Gaddafi ist vielleicht nur die besonders groteske Variante einer Modernisierung, wie sie im Zuge des weltweiten Urbanisierungsprozesses vielerorts zu beobachten ist. Die Techniken der räumlichen Gewalt, von der Zwangsumsiedlung bis zum systematischen Kahlschlag, betrieben unter Vorwänden der Sicherheit, der Hygiene oder der Effizienz, sind vielerorts noch immer in Gebrauch. Auch der ökologische Vorwand (Grüngürtel) eignet sich zur Durchsetzung von räumlichen Interessen, zur Rechtfertigung hegemonialer Systeme.
Auf den neuen Staat Libyen kommen im Bereich der Stadtentwicklung eine Reihe von großen Aufgaben zu: Zunächst müssen die Projekte der Gaddafi-Ära auf ihre Sinnhaftigkeit und Legitimität hin geprüft werden. Wie steht es etwa um die Verlängerung der Flughafenautobahn ins Stadtzentrum? Die Planung sieht eine unterirdische Trasse mit Einbindung in das Gaddafi-Hauptquartier vor. Wie sollte dieses „Tor zur Stadt“ unter demokratischen Bedingungen aussehen? Was geschieht mit dem Urbanisierungsprojekt Tajoura im Osten der Stadt, das angeblich mehrere Tausend Hektar umfassen soll? Eine weitere Aufgabe, die im Zusammenhang mit der Bewertung der Projekte stattfinden muss, ist die Restitution von Grundstücks- und Gebäudeeigentum. Und am Ende muss sich auch Tripolis mit der Frage des sprawl auseinandersetzen, der sich nicht zuletzt aufgrund der Vertreibungen und der Fragmentierung der letzten Jahrzehnte breit gemacht hat. Der schma­le fruchtbare Küstenstreifen ist zum Schauplatz einer anarchischen Zersiedelung geworden. Die Überlagerung von landwirtschaftlichen Beständen mit Gewerbe- und Wohnbauten mag für den außenstehenden Betrachter durchaus idyllisch wirken – strukturell ist hier jedoch ein gewaltiges Problem entstanden.  
Was die neue Regierungsform bringen wird, kann noch niemand abschätzen. Nach dem Trauma der Diktatur und des bewaffneten Kampfes erwarten die Menschen vor allem ein transparentes Führungssystem und die Teilnahme an Entscheidungen – natürlich auch, was die Weiterentwicklung der Stadt betrifft. Doch selbst wenn sich einigermaßen demokratische Strukturen etablieren sollten, bedeutet das noch lange nicht die Entwicklung einer räumlich gerechteren Stadt. Der Grund für diese Skepsis liegt zum einen darin, dass funktionalistische Stadtvorstellungen (Grüngürtel, Stadtautobahnen, Wohnanlagen) zutiefst in der Gesellschaft verankert sind, und man nicht erwarten kann, dass sich das in absehbarer Zeit ändert. Zum anderen gibt es einen Nachholbedarf an Freiheit – dem in solchen Zeiten erfahrungsgemäß vor allem in Form von Konsum nachgekommen wird, womit selbstverständlich der Konsum an Raum einhergeht. Auch von der Seite der Energieversorgung ist im Öl-Land sicher kein Impuls zur Trendumkehr zu erwarten. Wie auch in anderen Ländern und Städten richtet sich daher die Hoffnung darauf, dass eine junge, urbane Generation, nicht allein aus ökologischer Ratio, sondern aus kultureller und politischer Präferenz eine Stadt hervorbringt, die auf Gerechtigkeit, Vielfalt und Selbstbestimmung beruht.  

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