Verhindertes Schlüsselwerk der Moderne
Walter Gropius’ Stadtkrone für Halle
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Verhindertes Schlüsselwerk der Moderne
Walter Gropius’ Stadtkrone für Halle
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Mit Walter Gropius, Peter Behrens, Hans Poelzig, Wilhelm Kreis, Paul Bonatz und Emil Fahrenkamp lud die Stadt Halle an der Saale 1927 die seinerzeit prominentesten Architekten Deutschlands zum Wettbewerb für ein neues Kulturzentrum ein.
Es sollte um nichts weniger gehen als um eine Vision für den gesellschaftlichen Ort für das Stadtvolk. „Eine Stadtkrone für Halle“ ist denn auch die Ausstellung der damaligen Wettbewerbsbeiträge betitelt, die zurzeit in der Stiftung Moritzburg und anschließend im Bauhaus-Archiv in Berlin zu sehen ist. Sie basiert auf einem Forschungsprojekt der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Bauwelt 4.2009).
Die Auslobung gab vor, dass eine Stadthalle, ein Museum, eine Bibliothek und eine Sporthalle „sich gegenseitig steigern und in ihrer das Stadtbild krönenden Geschlossenheit ein stolzes Wahrzeichen der Stadt bilden“ sollten. Mit „Lehmanns Felsen“, einem vierzig Meter über der Saale gelegenen Plateau, war auch der Bauplatz herausragend. Erwünscht war also ein prägnantes Zeichen.
Das Zeichen, das der damals fast 60-jährige Peter Behrens entwarf, wirkt ziemlich altbacken, wurde jedoch angekauft. Die imponierende ellipsenförmige Halle des nahezu gleichaltrigen Hans Poelzig, die an eine Festung erinnert, blieb ohne Würdigung. Wilhelm Kreis und Paul Bonatz, seinerzeit beide um die Fünfzig, kamen mit ihrer gemäßigt modernen Formensprache den Vorstellungen der fast gleichaltrigen Jury (u.a. der Hamburger Baudirektor Fritz Schumacher) näher. Kreis erhielt den dritten Preis; Paul Bonatz, der vor allem mit einer langen, sechzehn Meter breiten Freitreppe Aufmerksamkeit erregte, gewann einen der beiden zweiten Preise. Ein erster Preis wurde nicht vergeben. Von den beiden (programmatisch) Jüngeren, Walter Gropius und Emil Fahrenkamp, war nur letzterer – mit einem zweiten Preis – erfolgreich. Fahrenkamp setzte die Baukörper in klassischer Manier und verband sie durch haushohe Pergolen; der Verzicht auf eine Gliederung der Baukörper rückt den Entwurf in die Nähe der Neuen Sachlichkeit, die Atmosphäre der weiten, monumental begrenzten Plätze ähnelt hingegen eher den späteren Anlagen des Nationalsozialismus.
Ganz anders die Arbeit von Walter Gropius, die, von der Jury völlig unverstanden, im ersten Rundgang ausschied. Gropius richtete die einzelnen Gebäude entsprechend der Topografie aus; formal sind sie aber auf sich selbst bezogen und nur über die Freiräume miteinander verknüpft. Kernstück ist die auf dem höchsten Punkt platzierte Stadthalle mit einem in die Länge gestreckten, halbrunden Saal, das Ergebnis akustischer Studien. Der Saal ist von zehn transparenten Treppenhäusern umstellt, die
in 32 Meter Höhe eine hufeisenförmige Aussichtsplattform tragen. Vier Fahrstühle sollten die Besucher zu diesem grandiosen Stadtpanorama befördern.
in 32 Meter Höhe eine hufeisenförmige Aussichtsplattform tragen. Vier Fahrstühle sollten die Besucher zu diesem grandiosen Stadtpanorama befördern.
Gropius’ Arbeit ist sehr gut dokumentiert, wohingegen die übrigen Entwürfe bestenfalls fragmentarisch oder in zeitgenössischen Veröffentlichungen überliefert sind, die Beiträge der örtlichen Architekten, die am Wettbewerb teilnahmen, fast gar nicht. Dennoch konnten für die Ausstellung sechs vergleichende Modelle gebaut werden. Sie veranschaulichen eindrücklich, dass bei Gropius, der – im Unterschied zu den übrigen in Erhabenheit schwelgenden Kollegen – auf jede äußerliche Feierlichkeit verzichtete, das sport- und bildungshungrige Individuum im Mittelpunkt stand. Mit dieser derart demokratisierten Anlage hätte er Halle eine Stadtkrone aufgesetzt, die vermutlich ein Schlüsselwerk der Moderne geworden wäre. Die beginnende Wirtschaftskrise samt Zusammenbruch der Stadtbank machte allen Planungen auf Lehmanns Felsen ein Ende.
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