Vertikale Weltretter
eVolo Skyscraper Competition 2012
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Vertikale Weltretter
eVolo Skyscraper Competition 2012
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Beim eVolo Skyscraper Wettbewerb geht es nicht allein um hohe Häuser, sondern um Architektur-Visionen. Das Ergebnis der siebten Runde zeigt, dass diese weniger Aussagen zur Technik, als vielmehr zur Gesellschaft und Politik enthalten.
Internetbasierte Ideenwettbewerbe haben Konjunktur. Immer mehr Plattformbetreiber und Initiativen, vor allem in den USA, geben Themen heraus und lassen die Einsendungen von szenebekannten Architekten bewerten, deren Namen die Teilnehmer locken. Alles läuft übers Netz: Auslobung, Teilnahmegebührentransfer, Einsendung und auch die Jurysitzung. Die Preisrichter erhalten die Arbeiten per Download-Link und stimmen nach einem Punktesystem von zu Hause aus ab. Fast von allein verbreiten sich die oft betörenden Bilder der Sieger im Netz. Je nach Thema, Teilnehmer und Jury sind es Variationen von bereits Bekanntem, Experimente mit der neusten Software oder illustrierte Theorien. Im besten Fall sind es Visionen mit einer Portion Gesellschaftskritik. So wie bei der diesjährigen Runde des eVolo Skyscraper Wettbewerbs.
Die Gründer des Internetforums eVolo, Architekten und Hochschullehrer aus New York, haben genau das zum Ziel. Sie wollen architektonische Zukunftsideen visualisieren und diese mit der Netzgemeinde diskustieren. Im Zentrum ihres jährlichen Wettbewerbs steht der Typus Hochhaus. Die Ergebnisse zeigen, dass es um mehr geht als den Wow-Effekt hoher Häusern, sondern um deren Potenzial als politische Zeichen, Ressourcenspeicher oder für physikalische Experimente.
Seitdem der Wettbewerb 2006 erstmals ausgelobt wurde, sind rund 3000 Ideen unter www.evolo.us eingegangen: Unterwasserstrukturen, Brücken und ganze Städte, Hochhäuser, die mit erneuerbarer Energie betrieben werden, in Katastrophengebieten einsetzbar sind, die Wasser entsalzen oder an Ereignisse erinnern. Inzwischen ist eVolo zum Begriff für alle geworden, die bei Architektur nicht in erster Linie an Baubares denken. Die Buchdokumentation des jährlichen Wettbewerbs gehört an vielen Unis zur Standardausstattung.
Für die diesjährige, siebte eVolo-Runde gab es 714 Anmeldungen aus 95 Ländern, mehr als doppelt so viel wie vor vier Jahren (Bauwelt 19.08). Waren es damals eher Architekten aus den USA, Frankreich und Großbritannien, die die vorderen Plätze belegten, sind es in diesem Jahr Teams aus Asien. Ihre Vorschläge beschäftigen sich mit ortsspezifischen Problemen: Zhi Zheng, Hongchuan Zhao und Dongbai Song aus China (1. Preis) wollen mit Wasserspeichern die Trockenzeiten am Fuß des Himalaya ausgleichen helfen. Yiting Shen, Nanjue Wang, Ji Xia, und Zihan Wang aus China (2. Preis) wollen das durch den Bergbau zerstörte Gleichgewicht in der chinesischen Yunnan Region wieder herstellen und neue Siedlungsstrukturen für die Bewohner anbieten. Anne Schmidt und Lin Yu-Ta aus Taiwan (3. Preis) führt den Großstädtern ihren Müllverbrauch vor Augen. Unter den Anerkennungen finden sich Ideen für die japanische Küste, ein temporärs Gerüst für die Occupy-Bewegung, ein Ozeanreiniger und ein mobiles Hochhaus.
Die technische Machbarkeit habe bei der Bewertung nicht im Vordergrund gestanden, sagt Jurymitglied Tobias Walliser vom Stuttgarter Büro LAVA, vielmehr gehe es um plausibel entwickelte Ideen. Wir hätten in Deutschland ein von Sicherheit geprägtes Denken, gingen Probleme ingenieurtechnisch an, bei der Ausbildung an den meisten deutschen Hochschulen liege der Schwerpunkt auf der Machbarkeit. Das sei in vielen Ländern anders. An amerikanischen und asiatischen Universitäten werde das experimentelle Denken durch derartige Aufgaben und Wettbewerbe gefördert. Schließlich biete der akademische Rahmen beste Chancen, nach vorne zu schauen und Orte zu erträumen, die vielleicht irgendwann einmal existieren könnten.
1. Preis | In den Himalaya-Gletschern sind 40 Prozent des Frischwassers der Erde gebunden. Doch sie schmelzen immer schneller. Für die Bewohner am Fuß der Berge bedeutet dies Überflutung im Sommer und Dürre im Winter. Mit ihrem Turm wollen Zhi Zheng, Hongchuan Zhao und Dongbai Song, drei Studenten der Universität im chinesischen Harbin, diese Extreme regulieren helfen. Der untere Teil des Turms besteht aus Wasserpumpen, die wie ein Pflanzenstamm aus unzähligen Zellschichten aufgebaut sind und für Stabilität sorgen. Darüber liegen Anlagen, die das Wasser reinigen und, je nach Außentemperatur, natürlich oder mechanisch kühlen. Der obere Turmteil liegt über der Dauerfrostgrenze und bewahrt die Eisblöcke in jeweils vier Stahlzylindern auf. Am Fuß dockt das Leitungssytem der Siedlungen an.
2. Preis | Der Bergbau der Region Yunnan in China zerstört nicht nur die Kulturlandschaften, er vertreibt auch deren Bewohner, zum Beispiel die ethnische Gruppe der Hmong. Mit „Mountain Band-Aid“ schlagen Yiting Shen, Nanjue Wang, Ji Xia und Zihan Wang aus China eine Konstruktion vor, in die die früher am Berg Lebenden zurückkehren können. Entlang des abgetragenen Bergrückens entsteht nach
traditioneller südchinesischer Chuan-Dou-Holzbauweise, bei der die Horizontalbalken mit den Stützen verzapft sind, ein Gerüst für Wohnhäuser, Gartenbau und öffentliche Plätze. Wasserleitungen und ein Regenwasserrecyclingsystem bilden die innere Schicht der Konstruktion. Die Pflanzen sollen zur Regeneration der natürlichen Bergvegetation beitragen.
traditioneller südchinesischer Chuan-Dou-Holzbauweise, bei der die Horizontalbalken mit den Stützen verzapft sind, ein Gerüst für Wohnhäuser, Gartenbau und öffentliche Plätze. Wasserleitungen und ein Regenwasserrecyclingsystem bilden die innere Schicht der Konstruktion. Die Pflanzen sollen zur Regeneration der natürlichen Bergvegetation beitragen.
3. Preis | Der Vorschlag von Lin Yu-Ta und Anne Schmidt aus Taiwan ist ein Mahnmal. Mit ihrem „Monument to Civilization“ hinterfragen die beiden den bei Hochhäusern häufig verwendeten Begriff „spektakulär“ machen und auf die erschreckend hohe Müllproduktion der Großstädte aufmerksam. In New York zum Beispiel, so haben sie ausgerechnet, würde der jährlich anfallende Müll, aufgetürmt auf der Grundrissfläche eines Hochhauses, 1300 Meter erreichen, in Dubai wären es sogar 3300 Meter. Durch die zentrale Lage der Türme würden erhebliche Mülltransportkosten entfallen, so ihre Argumentation.
vollständiges Ergebnis:
Ideenwettbewerb
1. Preis Zhi Zheng, Hongchuan Zhao und Dongbai Song, China, „Himalaya Water Tower“ | 2. Preis Yiting Shen, Nanjue Wang, Ji Xia und Zihan Wang, China, „Mountain Band-Aid“ | 3. Preis Lin Yu-Ta und Anne Schmidt, Taiwan, „Monument to Civilization: Vertical Landfill for Metropolises“ | Lobende Erwähnungen Victor Kopieikin und Pavlo Zabotin, Ukraine, „Citadel Skyscraper“ | Ying Xiao und Shengchen Yang, USA, „Occupy Skyscraper“ | Adrien Piebourg und Bastien Papetti, Frankreich, „Folded City“ | Damian und Rafał Przybyła, Polen, „Migrant Skyscraper“ | Madetogether, Nikita Asadov, Russland, „House of Babel: Post-crisis Skyscraper“ | Kim Hongseop, Cho Hyunbeom, Yoon Sunhee und Yoon Hyungsoo, Südkorea, „Plastic Fish Tower“
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