Von Pancho lernen
Die eingensinnige Welt des Pancho Guedes
Text: Noero, Jo, Kapstadt
Von Pancho lernen
Die eingensinnige Welt des Pancho Guedes
Text: Noero, Jo, Kapstadt
Wie Palladio an die Südspitze Afrikas kam, über den Wert, ein fertiges Haus immer weiter zu entwerfen, und warum man niemals Zeit mit praktischen Fragen vergeuden sollte
Pancho Guedes ist einer der bemerkenswertesten Menschen, denen ich begegnet bin. Er ist in keinerlei Hinsicht perfekt. Er kann gleichzeitig verwirren, fordern und toben. Aber er verfügt über die höchst erstaunliche Fähigkeit, seine außergewöhnliche Energie ganz auf seine kreativen Tätigkeiten zu lenken. Mit einer erstaunlichen Ansammlung von Gebäuden, Skulpturen, Gemälden und Schriften hat er ein Œuvre geschaffen, das mithalten kann mit dem jeder anderen großen Künstlerpersönlichkeit des 20. Jahrhunderts. All das tat er in der relativen Abgeschiedenheit des alten Lourenço Marques, dem heutigen Maputo in Mosambik.
Das erste Mal traf ich Pancho Guedes als junger Architekturstudent der Universität von Natal im südafrikanischen Durban in den frühen siebziger Jahren. Er hielt an der School of Architecture eine temperamentvolle Vorlesung über Palladio und wie dieser seine Arbeit in Maputo beeinflusst hat. Es war befreiend für uns, da er Wege in die Geschichte aufzeigte und wie man sie unmittelbar nutzbar machen konnte für eine für Ort und Zeit relevante Architektur an der Südspitze Afrikas.
Kreative Energie
Kurz darauf fuhr ich zu Pancho Guedes nach Maputo und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Da waren zunächst seine Werke, ihre schiere Menge – mit meinem noch ungeübten Blick kam es mir vor, als hätte er gleich ganz Maputo neu gestaltet. Der „Smiling Lion“, die „Sagrada Familia“ und die vielen anderen. Hinzu kamen seine Skulpturen, seine Male-rei und die Zeichnungen. Und erst das Atelier, bevölkert von einer Gruppe von Künstlern, in einer Art, wie ich es zuhause in Südafrika in keinem Architekturbüro je gesehen hatte – alles war sehr exotisch. Er sammelte Künstler, Bildhauer, Tischler und andere Handwerker um sich, in einer Arbeits-atmosphäre, die viel eher an die Produktion von Kunst als von Architektur erinnerte – es gab keine Hierarchien, nichts dergleichen. Doch schnell konnte man sehen: Pancho Gue-des war das Herz der ganzen Truppe. Alles lief über ihn. Er machte fast alle Zeichnungen eigenhändig, und nichts passierte ohne sein Einverständnis. In den 25 Jahren in Mosambik produzierte er über 500 Gebäude, größere und kleinere und so viele, dass sie die Bewohner einer Kleinstadt hätten aufnehmen können. All das war zu viel für mich. Benommen aber beschwingt fuhr ich nach Hause. Durban kam mir jetzt trostlos vor, konservativ und irgendwie ohne Leben. Unglücklicherweise mussten viele Jahre vergehen, ehe ich wieder mit Pancho Guedes in Berührung kam – dieses Mal als Dozent.
In den frühen achtziger Jahren zog ich nach Johannesbug, wo er mir eine Lehrtätigkeit an der School of Architecture der Witwatersrand University in Johannesburg, deren Dekan er war, angeboten hatte. Ich zögerte ein wenig, weil ich gehört hatte, dass Pancho Guedes nach Johannesburg gekommen war, nachdem die Frelimo 1975 die Macht in Mosambik übernommen hatte. Ich hatte die Mosambikanische Befreiungsfront unterstützt und fragte mich daher, ob es ihm vielleicht schwerfallen würde, mit jemandem wie mir zurechtzukommen. Aber es gab keinerlei Probleme. Er stand mir großzügig mit Rat zur Seite, und wir lasen zusammen ein Semester Architekturgeschichte.
Architektonischer Spürsinn
Mit Guedes gemeinsam zu lehren war eine Offenbarung. Wir hielten eine Vorlesungsreihe über die Architektur der Renaissance und ihre Architekten. Dabei wurde mir und den Studenten diese Epoche lebendig – wir hörten von den Skandalen und dem Lebensstil von Palladio, Michelangelo, Bramante und all den Tricksereien, die sie veranstalten mussten, wenn sie für den Vatikan arbeiteten. Ihr Werk wurde greifbar und als fruchtbarer Acker für eigene Entwurfsideen erkennbar. Das eröffnete mir einen Zugang zur Geschichte, der mir vorher verwehrt war. Das ganze hatte nichts mit Postmoderne zu tun – es war modern in dem Sinne, dass der Schwerpunkt auf der modernen Architektur lag, die aber aufgefordert war, aus den Lehren der Vergangenheit zu lernen. Generationen von Studenten haben davon profitiert.
Pancho Guedes bestand darauf, dass sich alle Lehrenden an der Schule in irgendeiner Weise an der kreativen Arbeit beteiligten. Ohne ein solches Engagement, davon war er überzeugt, würde die eigene Lehre leiden. Jedes Mitglied des Lehrkörpers musste zweimal im Jahr eigene Arbeiten im Auditorium präsentieren – Pancho eingeschlossen. Es war eine einschüchternde Angelegenheit, denn der Saal war immer voll besetzt mit Kollegen und Studenten, und nichts und niemand war sakrosankt. Ich kann mich an manche heiße Debatte erinnern, und auch daran, dass einige Kollegen nach Kämpfen mit Pancho Guedes, der immer den Kern traf und einen zur Weißglut bringen konnte, aus dem Hörsaal stürmten. Guedes war immer der Star der Veranstaltung – niemand von uns reichte an sein architektonisches Gespür heran: seine Fähigkeit, die Ideen, von denen er sprach, auch zeichnerisch auszudrücken und seine oft boshaften, aber immer scharfsinnigen Einsichten in Architektur, Kultur und Menschen.
Manchmal war ich allerdings sehr verärgert: Guedes stellte immer nur die künstlerische Intention der Projekte vor, denn das sei das eigentlich Interessante und Schwierige. Er sah keinen Grund, wertvolle Zeit auf die Praxis des Planens und technische Fragen zu vergeuden, diese seien das Alphabet der Architektur und keiner Diskussion wert. Anfänglich konnte ich dem nicht zustimmen, aber nach einiger Zeit sah ich, wie ich mich selbst mehr und mehr auf diesen Standpunkt zu bewegte.
Nicht aufhören
Ich habe viel von Pancho Guedes gelernt. Er brachte mir den plastischen Wert eines gut gezeichneten Plans nahe, wie man geometrische Zeichnungen komplizierter Räume anfertigt oder wie man Geometrie benutzt, um selbst dem einfachsten Gebäude eine räumliche und formale Kraft zu geben, aber auch wie man in einen Dialog mit den großen Architekten der Vergangenheit treten kann, indem man ihre Bauten zeichnet. Und er lehrte mich, den Entwurf nicht zu beenden, wenn ein Gebäude einmal gebaut ist. Ich zeichne immer wieder alte Entwürfe nach, um sie zu verbessern – noch Jahre nach ihrer Realisierung – dieses Vorgehen habe ich von Guedes übernommen. Es ist verblüffend und von unschätzbarem Wert, sich die Fortschritte im Entwurf über einen Zeitraum von vielleicht 20 Jahren vor Augen zu führen, in dem man immer mal wieder das selbe Gebäude zeichnet.
Ich freue mich, mit Pancho eines Tages wieder unseren alten Streit darüber aufnehmen zu können, ob der Architekt dieselbe Freiheit haben sollte wie der Dichter und ob Architektur und Skulptur dasselbe sind oder nicht.
Red House | 1966 | Maputo
Bei Guedes’ fortwährender Suche nach neuen Typologien entstand das kompakte, spiegelsymmetrische Doppelhaus mit den gemauerten romanischen Bögen. Nach der Revolution bezog die Botschaft Nordkoreas das Haus und ließ es weiß streichen. Man erzählt, das Haus habe sich so erschrocken, dass es erbleichte. Rechts: Pancho Guedes zu Besuch im roten Haus
Octávio Lobo Building | 1963 | Maputo
Das sehr schmale Bürogebäude schließt eine Lücke zwischen zwei größeren Bauten und erstreckt sich mit La-gerräumen einer Speditionsfirma weit in die Tiefe des Grundstücks. Die Brisesoleils sind aus zart rosafarbenem Marmor, mit bronzenen Halterungen. Im Hintergrund das ebenfalls von Guedes entworfene Spence e Lemos Building von 1958
Abreu Santos e Rocha Building | 1953 | Maputo
Dieser Komplex an einem der wichtigsten Plätze der Stadt, direkt am Bahnhof, hat drei völlig verschiedene Fassaden: das große Wandmosaik aus Kieselsteinen, das traditionelle afrikanische Themen auf- nimmt, vertikale Sonnenschutzelemente sowie opake und transluzente Wandreliefs
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