„Was unsere Planungsfreiheit einschränkt, ist die gängige Planungsmethodik im Bauwesen“
Interview mit Vanessa Borkmann und Günther Wenzel
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
„Was unsere Planungsfreiheit einschränkt, ist die gängige Planungsmethodik im Bauwesen“
Interview mit Vanessa Borkmann und Günther Wenzel
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Vanessa Borkmann und Günther Wenzel über die Konzeptentwicklung des Zentrums für Virtuelles Engineering
Der Bau des ZVE versteht sich als „Pilotforschung am eigenen Objekt“. In welcher Phase der Planung hatten Sie als Nutzer zum ersten Mal Kontakt mit den Architekten?
Vanessa Borkmann | Wir sind schon bei der Präsentation der ersten Entwurfsideen dabeigewesen. Innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft ist es eine Besonderheit, dass die Architekten nicht nur von der eigenen Bauabteilung ausgewählt werden, sondern die Nutzer an der Entscheidung beteiligt sind. Das hat mit unserer speziellen Fachkenntnis aus der Forschung und den konkreten Anforderungen an die Architektur zu tun.
Mit welchen Tools haben Sie die Planung unterstützt?
Günther Wenzel | Wir haben die ersten dreidimensionalen Modelle entwickelt, indem wir die Raumnutzungen als Volumen-Layout abgebildet und entsprechend der Kommunikationsbeziehungen, also Sicht- und Wegeverbindungen, dreidimensional angeordnet haben. Diese Modelle dienten als Grundlage für die Entwurfsgestaltung der Architekten. Schon diese allerers-ten „Skizzen“ wurden in Virtual Reality (VR) überführt. Wir nennen diese neue Methode „Virtual Architecture Engineering“.
Wie muss man sich das vorstellen?
GW | Was als Selbstversuch unseres Kompetenzzentrums Virtual Environments mit vorhandenen Prozessen, Software und VR-Anlagen begann, hat sich bald als festes Planungswerkzeug etabliert. So konnten wir mit dem Planungsteam an einer VR-Powerwall im Maßstab 1:1 und in Echtzeit bei jeder Sitzung den aktuellen Planungsstand visualisieren – im virtuellen Gebäudeprototyp ließ er sich begehen, erleben und diskutieren.
Sollten durch diese Instrumente auch Nutzer in die Entscheidung einbezogen werden, für die die räumliche Abstraktion etwa einer zweidimensionalen Planzeichnung ungewohnt ist?
GW | Das war uns besonders wichtig, denn die Entscheider kommen meist aus anderen Fachbereichen und sind im Lesen von Planzeichnungen nicht geübt. Der Einsatz von Virtual Reality erlaubt es allen Beteiligten, auf Augenhöhe zu kommunizieren und das gibt eine höhere Entscheidungssicherheit. In unserem Fall war aber auch die Komplexität der Architektur und der Gewerkeplanung so immens, dass es kaum mehr möglich war, die frei geformten Räume anhand von zweidimensionalen Plänen abzubilden und zu verstehen. Die Instrumente waren sogar für die Architekten ein unverzichtbares Hilfsmittel, um die Planung weiter zu entwickeln.
Schließt dieser planungstechnische Ansatz nicht viele Architekten von vornherein aus? Oder anders gefragt: Engt der Einsatz von VR, bei aller hinzugewonnenen Freiheit, nicht den Blick auf die Vielfalt architektonischer Lösungen ein?
GW | Der immer selbstverständlicher werdende Anspruch auf eine freie architektonische Form, die Möglichkeiten neuer Baumaterialien, die Anforderungen an die Nachhaltigkeit – all das sind Beispiele für Herausforderungen, denen sich die Architektur in wachsendem Maße stellen muss. Wir können uns diesen Entwicklungen nicht dadurch verschließen, dass wir auf den althergebrachten Planungswerkzeugen beharren. Planung in 3D, Planung mit der Zeit als vierter Dimension und mit vielen weiteren Variablen, die Bauteile exakt definieren helfen und den ökonomischen und nachhaltigen Betrieb bis hin zum Rückbau sichern, müssen mit höchster Priorität erforscht, entwickelt und im Bau etabliert werden. Was unsere Planungsfreiheit im Moment einschränkt, ist die gängige Planungsmethodik im Bauwesen.
Aber Gegenwart und Zukunft eines Gebäudes im Blick zu behalten, auf Materialgerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit, Flexibilität und Dauerhaftigkeit zu achten, gehört doch seit jeher zu den Aufgaben von Architekten. Welche Einschränkungen der hergebrachten Planungsmethodik würden Sie gerne mittels Forschung beseitigen?
VB | Wenn ein Planer mit all seiner Expertise im Raum denkt und plant, dies dann aber auf 2D eindampfen muss, weil er nicht über andere Medien zur Vermittlung verfügt, dann ist das doch eine Einschränkung, die nun, da die Mittel und Werkzeuge verfügbar sind, auch überwunden werden sollte.
Das ZVE dient unter anderem der „Erforschung innovativer Arbeits- und Bürokonzepte“. Worin sehen Sie die größten Fortschrittshemmnisse in herkömmlichen Arbeitsraumstrukturen, zum Beispiel im Vergleich mit dem Altbau des IAO?
VB | Transparenz, Kommunikation und eine hohe Begegnungsqualität sind bei der Gestaltung innovationsförderlicher Arbeitsumgebungen wichtig. Der Hauptunterschied zu den Strukturen in unserem Bestandsgebäude liegt in den offenen Arbeitszonen, die sich an das Atrium des Gebäudes anlagern und damit eine Sichtverbindung zwischen den Bereichen ermöglichen. Deswegen sind die Zellenbüros mit Glaswänden ausgestattet. Besonders wichtig sind Situationen zur Steigerung der informellen Kommunikation, auch teamübergreifend: Offene Teeküchen, Printpoints, aber auch Möbelsysteme, die das spontane Zusammensitzen oder -stehen ermöglichen, unterstützen den interdisziplinären Austausch. Die Planung und Durchführung von Besprechungen können damit verkürzt, das Entstehen von Innovationen gefördert werden.
Was Sie beschreiben, klingt für mich eher nach Gegenwart als nach Zukunft.
VB | Das ist jedenfalls die Gegenwart in unserem Neubau.
Wie flexibel ist das ZVE in Bezug auf künftige Anforderungen, wird seine Struktur in zwanzig Jahren noch aktuell sein?
Wie flexibel ist das ZVE in Bezug auf künftige Anforderungen, wird seine Struktur in zwanzig Jahren noch aktuell sein?
VB | Die neuen Laborbereiche mit Raumhöhen von mehr als fünf Metern, Raumtiefen von acht bis zehn Metern und mit Hohlraumböden sind so flexibel gestaltet, dass sie zum Beispiel Raum-in-Raum-Systeme aufnehmen können und je nach Forschungsinhalt leicht zu verändern sind. Die über zwölf Meter tiefen Raumzonen erlauben in den Bürobereichen mit Kombizone eine flexible Umgestaltung.
Können Sie „Themen der Zukunft“ benennen, denen sich Architekten nach den Erkenntnissen des Fraunhofer IAO verstärkt zuwenden sollten?
VB | Arbeitsplätze, Besprechungsräume und Labore werden über neuartige Displays und technische Infrastrukturen zu einer räumlichen Überlagerung von virtuellen Inhalten mit dem Arbeitsraum des Wissensarbeiters führen. Ein Beispiel zur Verbindung von realer und virtueller Welt ist die Lösung „Virtual Collocation“: Eine großformatige Displaywand in Arbeitsplatznähe, an der ein Kollege, der an einem anderen Ort arbeitet, in Echtzeit und im Maßstab 1:1 sicht- und hörbar wird. So entsteht der Eindruck, der Kollege sei selbst im Raum, und man kann sich während des Arbeitstages austauschen, als sitze man gemeinsam an einem Tisch.
Und wenn ich lieber unterwegs arbeite?
VB | Dann stellt sich die Frage, welche Lokation, also etwa Bahn oder Flugzeug, sich für welche Aufgabe eignet. Welche Anforderungen hat man an die jeweilige räumliche Gestaltung und technische Ausstattung? Das Arbeiten an verschiedensten Orten zu ermöglichen und zu optimieren soll auch dazu dienen, die Work-Life-Integration zu verbessern. Die Büroinfrastruktur eines Unternehmens wird natürlich auch in Zukunft benötigt, damit sich Mitarbeiter austauschen und zusammen arbeiten oder Kundentermine im eigenen Haus stattfinden können. Dazu wird man allerdings mehr Kommunikations- und Projekträume für temporäre Teamarbeit benötigen und weniger Räume für konzentrierte Einzelarbeit.
Wie wird es dort Ihrer Meinung nach aussehen?
VB | Für zukünftige Arbeitsumgebungen sind einerseits nachhaltige Büroumgebungen wichtig, es geht also um die richtige Auswahl von Mobiliar und Technik. Derzeit werden bei uns verschiedene Feedbacksysteme erforscht, die den Energieverbrauch weiter reduzieren, indem sie die Nutzer einbinden. Dazu gehört auch
die Entwicklung einer innovativen Raum- und Mediensteuerung auf Basis von Nutzerprofilen oder die Beleuchtungstechnik mit Sensorsteuerung und dynamischem Licht. In unserem Neubau haben wir einen „Virtual Sky“, eine Lichtdecke, die den Himmel simuliert und den Eindruck vermittelt, als würde man im Freien sitzen und Wolken über einen hinwegziehen.
die Entwicklung einer innovativen Raum- und Mediensteuerung auf Basis von Nutzerprofilen oder die Beleuchtungstechnik mit Sensorsteuerung und dynamischem Licht. In unserem Neubau haben wir einen „Virtual Sky“, eine Lichtdecke, die den Himmel simuliert und den Eindruck vermittelt, als würde man im Freien sitzen und Wolken über einen hinwegziehen.
Vanessa Borkmann | Studium der Architektur und Stadtplanung in Stuttgart und Zürich. Seit 2007 leitet sie das Geschäftsfeld Hotel- und Veranstaltungsimmobilien im Fraunhofer inHaus-Zentrum in Duisburg; Nutzervertreterin beim Neubau des ZVE und verantwortlich für die wissenschaftliche Begleitung bei der Gebäudegestaltung, die Planung der Büroumgebung und die Konzeption des Laborbereichs Urban Living Lab.
Günther Wenzel | Architekturstudium in Stuttgart, seit 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Competence Center „Virtual Environments“ am Fraunhofer IAO, dort verantwortlich für den Bereich „Planung mit Immersiven Gebäudeprototypen“.
Die Fragen stellte Nils Ballhausen
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