Fondazione Prada in Mailand
Agora der Künste
Text: Hofmann, Franck, Nantes/Berlin
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Isarco nahe der Porta Romana von einem Wohnhochhaus aus. Im Hintergrund die Baustelle des großen Turms für die Stiftung. Ganz rechts: Die neue Halle „Podium“ und das ehemalige Gebäude des Firmenbesitzers, das jetzt für Büros genutzt wird.
Isarco nahe der Porta Romana von einem Wohnhochhaus aus. Im Hintergrund die Baustelle des großen Turms für die Stiftung. Ganz rechts: Die neue Halle „Podium“ und das ehemalige Gebäude des Firmenbesitzers, das jetzt für Büros genutzt wird.
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Der Hauptweg führt an der Nordseite durch das Quartier. Links die neue Halle für temporäre Ausstellungenmit einem auf Stahlträgern ruhenden Riegel
Foto: Roland Halbe
Der Hauptweg führt an der Nordseite durch das Quartier. Links die neue Halle für temporäre Ausstellungenmit einem auf Stahlträgern ruhenden Riegel
Foto: Roland Halbe
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Die neue Eingangshalle für Besucher.
Foto: Roland Halbe
Die neue Eingangshalle für Besucher.
Foto: Roland Halbe
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Gegenüber der Eingangshalle liegt die Bar Luce, die vom amerikanischen Regisseur Wes Andersen eingerichtet wurde
Foto: Roland Halbe
Gegenüber der Eingangshalle liegt die Bar Luce, die vom amerikanischen Regisseur Wes Andersen eingerichtet wurde
Foto: Roland Halbe
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Im „Podium“, der Halle für temporäre Ausstellungen, hat Rem Koolhaas auch den Innenraum gestaltet. Die 60 altrömischen Kopien griechischer Bronzen stehen ohne Sockel auf Travertinplatten. Die Ausstellung „Serial Classic“ endet am 24. August.
Foto: Roland Halbe
Im „Podium“, der Halle für temporäre Ausstellungen, hat Rem Koolhaas auch den Innenraum gestaltet. Die 60 altrömischen Kopien griechischer Bronzen stehen ohne Sockel auf Travertinplatten. Die Ausstellung „Serial Classic“ endet am 24. August.
Foto: Roland Halbe
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Blick in den Hof, links der Kinosaal- und Veranstaltungssaal mit Spiegelfassade, die sich öffnen lässt; im Hintergrund die Bauten der ständigen Sammlung
Foto: Roland Halbe
Blick in den Hof, links der Kinosaal- und Veranstaltungssaal mit Spiegelfassade, die sich öffnen lässt; im Hintergrund die Bauten der ständigen Sammlung
Foto: Roland Halbe
Der Weg zur Fondazione Prada führt an den Rand des Mailänder Zentrums, an die Porta Romana. Keine repräsentative Adresse für eine private Stiftung, deren Namen – ganz wie die Fondation Cartier am schicken Pariser Boulevard Raspail – ein Hauch von Luxus und Mondänem umgibt. Hier jedoch: aufgelassene Gleise, Klatschmohn erobert sich das Terrain des Güterbahnhofs zurück, Wohnblocks und Gewerbe. Ein populäres Viertel mit ersten Anzeichen von Gentrifizierung.
Die Fondazione Prada hat nach sieben Jahren Bauzeit in einer ehemaligen Gin-Brennerei von 1910 Quartier bezogen und kündigt sich schon von Weitem an. Mit großformatigen Werbeplakaten entlang der Zufahrtstraße greift sie in den Stadtraum: Fondazio/ne. Schwarze Lettern auf weißem Grund, ein Schnitt trennt das Wort hinter dem sich eine gewöhnliche Stadtsilhouette erhebt, verteilt den Stiftungsnamen auf zwei dicht nebeneinander stehende Tafeln. Dezentralität, Öffnung, Strukturbruch – und ein Sinn für Nuancen. Noch bevor man die Bauten der Stiftung in den Blick bekommt, ahnt man die Komplexität des Unternehmens. Schriftzüge werden sich als durchgängiges Motiv auch auf den Gebäuden des neuen Museums finden. Elegante Neonbuchstaben auf den Fassaden, Projektionen und eingelassene Leuchtbänder bilden ein Spannungsverhältnis zu den Altbauten der Destillerie, die Rem Koolhaas mit Markierungen wie eben diesen transformiert, durch Eingriffe in die Bausubstanz modifiziert und um drei neue Gebäude ergänzt hat: Das sogenannte Podium (eine transparente, klare Ausstellungshalle), das Kino (eine Black-Box), und ein Turm, der, wenn er im nächsten Jahr fertiggestellt sein wird, weitere Arbeiten aus der Kunstsammlung Prada aufnimmt.
Der Entwurf der Fondazione ist der vorläufige Höhepunkt einer langjährigen Zusammenarbeit von OMA und Prada – weltweit gestaltete Koolhaas Showrooms der Marke, bevor er nun die Räume für die Präsentation der Kunstsammlung entwarf und deren Werken ein Repertoire architektonischer Räume der Begegnung zur Seite stellt. Koolhaas fragt sich in Mailand: Welche Formen nehmen Ausstellungen im Zeichen urbaner Globalisierung an? Welche Räume sind der Begegnung mit den Künsten angemessen? Die Fondazione Prada ist eine Arbeit an der Typologie der Ausstellung – und ein Beitrag zur Typologie der Stadträume: Sie ist eine Agora der Künste unserer Zeit. Koolhaas’ Entwurf hat zwei Ausgangspunkte. Zum einen die Beobachtung, dass die rasante Ausdehnung der Kunstszene in einer reduzierten Anzahl von Raumformen Platz hat. Neben dem White Cube sind gerade aufgelassene Industriebauten zu prominenten Ausstellungsorten avanciert. Zum anderen eben die alte Brennerei mit einem ungewöhnlichen Reichtum an solchen Raumformen, die von Koolhaas herausgearbeitet und durch den zentralen Hofbereich des Geländes verbunden werden: Straßen und von einigen Platanen und einem Feigenbaum bestandene Plätze, die das Areal in Zonen gliedern, ohne dessen Eigensinn, Unebenheiten und Gefälle des Bodens zu negieren.
Betritt man das Gelände, erstreckt sich rechter Hand der nördliche, entkernte Gebäude-Riegel: Er beherbergt einen großen, durch Schauwände aus Beton strukturierten Galerieraum. Die Fassade des Gebäudes gegenüber ist durch schwarz lackierte Eisenprofile rhythmisiert, T-Träger, die das auskragende Betondach nicht berühren und so ihre Funktionslosigkeit ausstellen. Ein vorgelagertes, niedriges Podest aus Lochstahl betont die Horizontale und verbindet das Gebäude ebenso mit dem Hof, wie die aus schmalen Eisenlamellen gefügten Bodenplatten. Folgt man dem mit Steinplatten markierten Pfad vom Haupttor, gelangt man, die „Bar Luce“ zur Seite lassend, in das Foyer der Stiftung. Dessen Bodenbelag aus Hirnholz greift in den Außenbereich aus und verbindet es so mit dem Vorplatz. Wes Anderson verweist damit auf ein Mailänder Kaffeehaus in der Galleria Vittorio Emanuele: eine atmosphärische Referenz an den Genius Loci an diesem globalen Kunstort. Vom Foyer aus erschließt sich nicht nur der Komplex mit dem Podium und der zentrale, vom Riegel des Kinos begrenzte Platz, sondern auch der südliche Gebäudetrakt: Im Gegensatz zur nördlichen Galerie ist er eine Abfolge kleinteiliger Räume, die nach und nach an Größe gewinnen, um in der immensen Halle des Depots zu enden. Später wird man von hier in den weißen Turm gelangen, der Ausstellungsräume bergen wird, derzeit aber noch im Bau ist. Zwischen dem Depot und dem Kino liegt in einem hier stark abfallenden Teil des Geländes die ehemalige Zisterne: Drei ursprünglich hermetisch geschlossene Raumvolumina von beeindruckender Höhe, die Koolhaas um je ein Fenster und einen in den Innenraum ragenden Balkon ergänzt hat. Mit drei kleinteiligen Arbeiten bespielt, etwa mit „1 metro cubo di terra“ von Pino Pascali (1967), gewinnt dieses Ensemble nahezu auratische Kraft.
Die Sammlung
Zwei permanente Ausstellungen sind in den Altbestand eingefügt, dieser im wörtlichen Sinne auf den Leib rückenden Architektur eng verbunden. Eine schmale Treppe führt in den Keller des Kinos, dessen verspiegelte, Bilder generierende Fassade geöffnet werden kann, um den komplett schwarz ausgeschlagenen, mit kühlem Neonlicht beleuchteten und strukturierten Innenraum mit dem Außenraum zu verbinden. Im dunklen Kellergeschoss ist Thomas Demands „Processo Grottesco“ installiert – eine programmatische Referenz. Man erinnert sich sogleich an die künstlichen Grotten in den Gärten der Renaissance, an das Verhältnis von nachgeahmter Natur, Konstruktion und symbolischer Aufladung von Orten und die Entstehung einer Fotografie. In der unterirdischen Dunkelkammer wird nicht nur Demands Werk von 2006 präsentiert, sondern das raumfüllende Modell der Höhle, mit dem er arbeitete, wie eine Sammlung von Postkarten, Büchern und Entwürfen: Künstlerischer Schaffensprozess und Erzeugung ästhetischen Scheins werden so in der Fondazione Prada als Teil des räumlichen Ensembles transparent.
Die Spannung zwischen einem realen Ort, seinen mysteriösen, surrealen Formen der Repräsentation, bestimmt auch den „verwunschenen Turm“ der alten Brennerei zwischen Eingang und „Podium“. Er wurde mit Blattgold überzogen, eine Geste der Verschwendung, die den Künsten eigen ist. Aus seinen kleinen Kammern bieten sich wunderbare Blicke, eine Verzahnung des Ausstellungsortes mit der urbanen Landschaft Mailands. Im Turm werden Arbeiten von Louise Bourgeois und Robert Gobers gezeigt, die das Verhältnis von Raum, Körper, Einbildungskraft und Wirklichkeit thematisieren, etwa Bourgeois’ „Cell (Clothes)“ von 1996.
Künstlerische Erzählweisen, in denen Leidenschaften hervortreten und die Realität befragt wird – dies zu zeigen ist das Programm der Fondazione Prada, dem Rem Koolhaas einen architektonischen Rahmen gegeben hat.
Pittura Metafisica
Tritt man aus dem engen Treppenhaus des Turms heraus, findet man sich – die goldene Wand nun im Rücken – im Außenbereich des aus Foyer und Turm gefügten Ensembles wieder: unter einem hohen Tonnengewölbe stehend, fällt der Blick in den Glaskubus der zentralen Ausstellungshalle Podium. Drei hohe, schmale Türbögen aus dünnem Stahl treten – wie auch auf der gegenüberliegenden Fassade – hervor und erinnern an die Formensprache von Stadtpalästen der italienischen (Neo-)Renaissance, in denen die europäische Geschichte des Sammelns ihren Anfang nahm. Und unversehens denkt man an das norditalienische Studiolo (1480), das im Nordflügel in der Eröffnungsausstellung „An introduction“ gezeigt wird. Die mit Intarsien geschmückte Kunstkammer aus dunklem Holz steht frei im Raum, vom Zimmer in eine Skulptur verwandelt: Dunkelbrauner Samt bespannt die Rückseiten ebenso wie die Galeriewände, an denen Gobelins mit mythologischen Motiven aus der Werkstatt Nicolas Karchers (1560) hängen. Zeichnungen – Graffitis und Gekritzel – beschriften den Stoff und evozieren eine urbane Straßenszenerie.
Diese von Germano Celant inszenierte Referenz an die Geschichte des Museums verbindet sich in Gedanken mit dem von Rem Koolhaas aufgerufenen Verweis auf die Pittura Metafisica Giorgio de Chiricos: Deren Stimmung durchweht die Agora der Künste in jedem Winkel, ein in den Raum übertragenes Gemälde. Im Kontrast dazu das Podium: Mies van der Rohes Berliner Nationalgalerie – die selbst wieder Schinkels Neues Museum und die Tempel der Antike aufruft. Die Glaswände sind in Mailand auf den Rand des Podiums gesetzt und die Treppe ist in den Innenraum verlagert. Nur im Außenbereich ist die stählerne Kassettendecke sichtbar, die in Berlin mit der Leichtigkeit der Glasfassade kontrastiert, und die Granitplatten des Sockels bei Mies sind durch silbrig-grau glänzende Paneele ersetzt, deren Struktur an löchrige Steine erinnert, die man am Meer auflesen kann. Der sichtbare, auskragende Stahlträger wird von einer als Teil des spannungsreichen Foyer-Ensembles positionierten Säule getragen und dient dazu, dem gläsernen Podium ein zweites Geschoss aufzusetzen. Den Anspruch der Fondazione Prada und der Architektur von Rem Koolhaas unterstreicht die von Salvatore Settis kuratierte Eröffnungsausstellung, die unseren Bezug zur Antike thematisiert. „Serial classics“ präsentiert einen neuen Blick auf die Geschichte der antiken Skulptur. Ihre von Koolhaas entwickelte Szenographie, die er metaphorisch als eine Landschaft markiert, arbeitet mit einem Grundelement des europäischen Museums: dem Sockel, der – so sein Vorwurf – die Dynamik der Skulptur stillstelle und einen autoritären Gestus betone. Er hingegen positioniert die Skulpturen in Gruppen und auf Podien, die zugleich als Sitzgelegenheiten für die Besucher dienen, in Augenhöhe mit diesen. Hierzu wurden die Travertin-Bodenplatten des Podiums selbst angehoben und mit Hilfe von transparenten Acryl-Paneelen in unterschiedliche Höhen geschichtet.
Das Ideal der Ausstellung – wie der Fondazione Prada insgesamt – ist das einer freien und befreienden Zirkulation der Bilder, der Objekte und der Besucher. Über die Zeiten hinweg, in Räumen, die nicht mit den Arbeiten der Künstler konkurrieren, sondern der Entfaltung ihrer Geschichte und Geschichten dienen. In Räumen, die einen Ort haben: Mailand, Largo Isarco 2, und einen Horizont: die globale Welt, in der es gilt, das Wissen der Künste gegen Ideologien neoliberaler Verfügbarkeit und einer differenzlosen Verflachung des Unterschiedenen stets aufs Neue zu verteidigen – zum Beispiel durch eine Arbeit an der Typologie des Ausstellens.
Ermattet verlässt man die Agora der Künste und weiß: Rem Koolhaas’ neues Museum für die Fondazione Prada ist ein Glücksfall. Die Arbeit kann beginnen.
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