Alcorcón
Alternativen für die gescheiterte Boom-Town
Text: Garcia-German, Javier, Barcelona; Klingbeil, Kirsten, Berlin
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2. Preis: Fake Industries Architectural Agonism
2. Preis: Fake Industries Architectural Agonism
Alcorcón ist eine Stadt im Großraum von Madrid, die sich mit einem Tabula-rasa-Konzept und riesigen Wohnbauprojekten verdoppeln wollte. Das ist auf absehbare Zeit gescheitert.
Ein Grund dafür ist die spanische Bau-Krise (
Bauwelt 8.2012). Quadratkilometer große Entwicklungsflächen, denen das rasterförmigen Straßenkataster bereits eingeschrieben ist, liegen heute brach. Die leergeräumte Landschaft taugt nicht einmal mehr als Ausgleichsfläche. Gibt es alternative und „langsamere“ Entwicklungskonzepte für solche Areale am Rande der Metropole, in denen, anders als bisher, die Bedürfnisse der angrenzenden Nachbarschaften auch eine Rolle spielen?
Aufforstung gegen den Junk-Space | Das Europan-11-Gelände in Alcorcón ist beispielhaft für den von den Urbanisierungsvisionen der letzten Dekade ausgelösten Bauboom in Spanien. Angeheizt von hohen Renditen für Investoren und Gemeinden, wurden Tausende Quadratkilome-ter neu erschlossen und Hektar um Hektar landwirtschaftlicher Flächen und unbebauter Natur verschlungen. Dieser Trend führte in wenigen Jahren zu einer ausgedehnten Verstädterung mit teils desaströs schlechten Qualitätsstandards. Flächendeckend entstanden neue Bezirke an der Peripherie, die die Erwartungen an urbane Qualität in keiner Weise einlösten. Die Ergebnisse sind entweder urbaner Junk-Space oder Baubrachen, die noch über Jahrzehnte Baustellen bleiben werden. Auch in Alcorcón-Nord will man in Tabula-rasa-Manier eine neue urbane Insel aus dem Boden stampfen, die unabhängig von der bestehenden Stadt, von den sozialen Bedürfnissen und der Landschaft wachsen soll. Nach dem Platzen der Immobilienblase ist es glücklicher Weise eher unwahrscheinlich, dass die Insel in den nächsten Jahren gebaut werden wird.
Vor diesem Hintergrund schlägt der Siegerentwurf eine Strategie vor die pflanzt, statt zu bauen. Um ein geschlossenes urbanes Gewebe zwischen bestehender und neugeplanter Stadt zu erzeugen, bringt der Entwurf anstelle der herkömmlichen stadtplanerischen Werkzeuge (urbane Typologien und Infrastruktur-Maßnahmen) einen bio- bzw. ökologischen Ansatz ins Spiel: Ziel ist, einen Wald mit zahlreichen unterschiedlichen, für das örtliche Klima und die Bodenbeschaffenheit geeigneten Baumarten anzusiedeln.
Im ersten Moment könnte diese Idee als eine evasive Strategie missverstanden werden, die lieber Schößlinge setzt, anstatt die bestehenden Probleme anzugehen. Bei näherem Hinsehen jedoch entpuppt sie sich als ein intelligenter Vorschlag, dem es mit einfachen Mitteln gelingt, eine große Bandbreite von räumlichen und zeitlichen Entwicklungsmöglichkeiten anzubieten. Der Entwurf schlägt eine weiche, an den Abläufen der Natur orientierte Planungsweise vor, die sich dem eindimensionalen Modus Operandi der Stadtplaner kritisch entgegenstellt. Aufforstung würden das Areal wirksam transformieren, ohne künftige Nutzungen
zu ‚verbauen‘ – ein Vorschlag also, der effizient mit dem offenen Ende des Prozesses umgeht. Sollte man das Areal letztlich nicht entwickeln, würden die heute gesetzten Bäume mit den Jahren zum Wald heranwachsen. Falls aber schließlich doch gebaut wird, bildet der Baumbestand die grüne Kulisse und leistet einen Beitrag zur Aufwertung des Areals. Bäume zu pflanzen erweist sich hier als nachhaltige urbane Strategie, die für ganz unterschiedliche Raum-Zeit-Szenarios taugen kann. Statt auf pittoreske Raffinesse und Überraschungsmomente setzt der Siegerentwurf auf produktive Performanz, die die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte in Übereinstimmung bringt. Auch die Schönheit der Pflanzungen, die mit den Jahreszeiten stetig wechselt, wird in die Planungen einbezogen. Interessanterweise handhabt diese Entwurfsstrategie nicht nur den mittleren Maßstab des vorliegenden Areals mit Leichtigkeit, sondern liefert auch einen sinnvollen Vorschlag im Sinne großräumiger urbaner Operationen. Der Vorschlag steht damit auch für ein Umdenken in der Planung, die sich heute müht, die traditionelle Verdichtung der Städte durch ausgedehnte Vegetation zu „verdünnen“. Entsprechend soll Landschaft nicht nur als „konjunktives Scharnier“ zwischen verdichteter urbaner Bebauung begriffen werden, sondern als eigentlich urbanes Gewebe – in einem Sinne, wie es die in jüngster Zeit entstandene Disziplin des „Ecological Urbanism“ vorschlägt.
Auch der mit dem zweiten Platz ausgezeichnete Entwurf setzt sich mit der offenen Zukunft des Areals auseinander, wobei er in eine andere Richtung arbeitet. Der interessante Vorschlag entwirft zwei mögliche Szenarios, je nachdem ob das Areal entwickelt werden wird oder nicht. Beide Einreichungen stellen dieselbe Frage, die nach der dringlichen Notwendigkeit, sowohl Verfahren aus der Landschaftsökologie, als auch die sozialen Bedürfnisse in heutige Planungsprozesse einzubinden. Das Kräftespiel der Metropolen wird sich verschieben, weg von der rein wirtschaftlichen Dialektik – den finanziellen Nöten der Gemeinden und der Gier der Investoren – hin zu einem politischen Ansatz, der umweltpolitische, soziale und wirtschaftliche Ziele miteinander verbindet. Dafür braucht es Strategien, die die räumlichen und zeitlichen Maßstäbe mitdenken und zugleich mit ökologischen regionalen Strukturen aber auch mit den derzeit entstehenden sozialen Formen umgehen können. Javier Garcia-German
ARBOLóPOLIS | Alcorcón 1. Preis
Nicht mit einer neuen Bebauung, sondern durch die Bepflanzung mit einem Baumhain soll eine langfristige urbane Entwicklung initiiert werden. 24 verschiedene einheimische Baumarten, die in dem heißen Klima gedeihen können, wurden für die Bebauung ausgesucht und in einem Diagramm 1 nach ihren
Eigenschaften – Höhe, Blickdichte und Farbigkeit, durchschnittliche Lebensdauer, CO2-Absorption und Wasserbedarf – geordnet. Ein Gesamtplan 3 macht deutlich, wie sich die künftigen Quartiere auf die grünen „Bebauungsblocks“ verteilen werden. Die Architekten haben das Straßenraster der geplanten Bebauung nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Ergänzend entwickelten sie eine wirtschaftliche Strategie, die unter anderem minimale Pflegekosten, eine Tauschstrategie und Baumpatenschaften zur Finanzierung vorsieht. Der angebaute Rohstoff „Holz“ soll außerdem, falls das Gebiet künftig zu einem Wohnquartier entwickelt werden wird, als innovatives Baumaterial dienen können. Der Vorschlag versteht sich als Teil einer prozesshaften Entwicklung: In einem ersten Schritt werden die grünen Areale so angelegt, dass die existierenden Industriehallen 2 durch die Bepflanzung aufgewertet werden. Öffentliche Grünräume und halböffentliche Räume in den Hallen werden sich überlappen.
Roundabout Prophylactics | Alcorcón 2. Preis
Ob es tatsächlich zum Bau des neuen Stadtquartiers „Distrito Norte“ kommt, spielt für das Projekt „Roundabout Prophylactics“ keine Rolle. Anstatt eine Transit-Zone, fix und fertig, zwischen Alcorcón und dem künftigen Quartier zu planen, schlagen die Architekten eine Strategie vor, die zwei Alternativen berücksichtigt. Die bestehenden Freiflächen mit ihrer rudimentären Spontanvegetaion sollen als Naturreservate erst einmal bleiben wie sie sind. Vorgeschlagen wird lediglich eine gartenhausähnliche, leichte und loftartige Bebauung auf den Dächern der Fabriken. Eine Besonderheit sind deren Grundriss, die sich aus der Architekturgeschichte ableiten und von Rietvelds Haus Schröder bis zu Philipp Johnsons Wiley-Haus reichen 1. Falls das nördliche Quartier später doch einmal realisiert werden sollte, wird das Europan-Gebiet (das eine Scharnierfunktion zwischen Alt und Neu übernimmt), zu einer Art „Schutzgebiet“ für die Qualitäten des fragmentierten Übergangs. Eine viergeschossige Ringbebauung 2 aus Wohn- und Gewerbeeinheiten, die die Grenzen des Europan-Areals nachzeichnet, macht die periphere Zone zu einem hervorgehobenen Schauplatz der urbanen Entwicklung. Mit diesem Ring soll der ländlichen Zersiedlung entgegengewirkt werden. Die innere Fassade dieser Bebauung ist verspiegelt, sodass sich das Gebäude in die Natur förmlich auflöst. Die äußere Fassade hat im Stil der Bauten von Lacaton Vassal hohe Transparenz, so dass das „Naturreservat“ auch nach außen durchscheinen wird. Kirsten Klingbeil
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