Bauwelt

Ausstellungsgebäude „Tirol Panorama“


Umkämpftes Terrain


Text: Kleilein, Doris, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Markus Bstieler

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Markus Bstieler

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Gerhard Hagen/poolima

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Gerhard Hagen/poolima

Landschaftspanoramen waren populäre Illusionsmaschinen des 19.Jahrhunderts. Das Innsbrucker Riesenrundgemälde ist eines der letzten seiner Art und hat unlängst auf dem Bergisel ein neues Zuhause gefunden. Das Ausstellungsgebäude von stoll.wagner architekten stellt die historische Landschaft dem zersiedelten Inntal von heute gegenüber.
Zwei Fotos haben mich nach Innsbruck geführt. Zwei Fotos, aufgenommen nur wenige Meter Luftlinie voneinander entfernt, versprechen eine Landschaftserfahrung, wie man sie wohl nur selten innerhalb eines Gebäudes machen kann: der weite Blick auf ein Tal, heute  – und vor 200 Jahren. Das Riesenrundgemälde, für das der Neubau errichtet wurde, zeigt das Inntal und die Bergiselschlacht von 1809, bei der die Tiroler das bayrisch-französische Heer besiegten: ein Schlachtengemälde voller idealisierter Details, gemalt mit dem patriotischen Pathos des späten 19. Jahrhunderts, und das ausgerechnet von einem Münchner, dem Panoramenmaler Zeno Diemer. Doch bevor man das 360-Grad-Panorama betrachten kann, lenken die Architekten bereits im Foyer den Blick mit voller Wucht auf die Gegenwart: auf das zersiedelte, mit Industrie­anlagen überwucherte, von Autobahnen, Schnellstraßen und Bahnlinien zerschnittene Inntal. Nur die Berge sind geblieben, so scheint es. Und nur so lassen sich die Bajonette und Schnauzbärte, das Kriegsgetümmel und die Tirol-Verherrlichung, die dann folgen, überhaupt ertragen.
Ein Kontrapunkt zu Hadids Skischanze
Es ist ein nüchterner Entwurf, mit dem Philipp Stoll und Reinhard Wagner 2006 den EU-offenen Wettbewerb zum Neubau des  „Tirol Panorama“ (so der marketingtaugliche Name des Museums) gewonnen haben: eine klassisch moderne Box, an die Hangkante der Sillschlucht gesetzt und über diese auskragend. Dem Innsbrucker Büro gelingt es, die Kulturlandschaft auf unterschwellig subversive Art zu inszenieren: die Box als horizontaler Kontrapunkt zur Sprungschanze von Zaha Hadid, die in Laufweite auf dem Bergisel thront, aber auch als Mies’sche Antwort auf das geschichtsträchtige Bergiselplateau mit seinen geschnitzten Schießständen, der Andreas-Hofer-Statue und dem 1880 eröffneten Kaiserjägermuseum mit Satteldach und Ehrenhalle. Das Ausstellungsgebäude ist in demonstrativem Abstand zum Altbau platziert und bildet mit diesem einen angenehm proportionierten Vorplatz. Der Altbau selbst, dessen „Adaption“ auch Teil der Wettbewerbsaufgabe war, ist vom Platz aus nicht mehr zugänglich und nur noch unterirdisch über den Neubau zu betreten.
Betonrotunde und fünfte Fassade
Dass sich in und unter der Box das knapp elf Meter hohe Riesenrundgemälde verbirgt, ist am besten vom gegenüberliegenden Berghang und von der Brennerautobahn aus zu erkennen. Im Vorbeifahren sieht man die Betonrotunde, die in eine Geländemulde im Felsmassiv eingelassen wurde – ein schwerer Sockel, 30 Meter im Durchmesser, die Stahlkonstruktion der Glasbox tragend; ein Ingenieursbauwerk, errichtet unter den besonderen Bedingungen des alpinen Bauens. Zu Beginn wurden die Bäume auf dem Plateau gerodet und Stahlnetze vom Hubschrauber aus im Felsen verankert, um die im Tal verlaufende Bahnlinie vor Steinschlag durch Sprengarbeiten zu schützen. Einen der Luftschutzstollen, mit denen der Felsen durchlöchert ist, nutzen die Architekten als Wärmetauscher für den Neubau. Die Rotunde ist mit Betonkernaktivierung ausgestattet und von innen gedämmt, um das Klima für das große Kunstwerk konstant zu halten. Dieses bildet sich im Dach ab als ein kreisrundes, knapp zwei Meter breites  Oberlicht, über das Tageslicht auf das Gemälde fällt. In der Nacht leuchtet der Fensterkreis als weithin sichtbares Zeichen für das neue Zuhause des Panoramas.
Die Translozierung des Riesenrundgemäldes
Oberhalb des Museum parken die Reisebusse, man rechnet mit bis zu 100.000 Besuchern im Jahr: Die neue Hülle kommt gut an. In den Jahren zuvor hatte es viel Widerstand gegen den Umzug der Touristenattraktion gegeben, vor allem von Seiten des Denkmalschutzes. Mit Unterbrechungen war das 1896 fertiggestellte Panorama seit über 100 Jahren in einer hölzernen Rotunde am anderen Ende der Stadt untergebracht: Lediglich  1906 reiste das Gemälde zur Londoner Weltausstellung und im Ersten Weltkrieg wurde es zur Sicherheit in die Wiener Hofburg gebracht. Nach mehreren Eigentümerwechseln kehrte es dann 1924 nach Innsbruck zurück. Rotunde und Gemälde seien eine Einheit und sollten nicht getrennt werden, argumentierten die Gegner der Translozierung. Die historische Rotunde sei baufällig und nicht klimatisiert, so die Befürworter – und zudem seien Panoramen ursprünglich eben auch zum Reisen konzipiert. Die hitzig ausgefochtene Debatte führte kurz nach Baubeginn zum Baustopp; keine einfache Situation für die Architekten bei der Realisierung ihres ersten großen Neubaus. Beendet wurde der Konflikt schließlich durch eine wiederum als wenig transparent kritisierte politischen Entscheidung auf  Bundesebene
Im Ergebnis betrachtet ist weniger der Umzug an sich ein Problem als vielmehr die Musealisierung dieser eher volkstümlichen Kunstform. Im alten Domizil war das Panorama ein leicht verstaubtes, in die Jahre gekommenes Relikt des 19. Jahrhunderts, ein Blick zurück in die Anfänge der Massenmedien. Heute wird die zweieinhalb Tonnen schwere Leinwand behandelt, als sei es die Mona Lisa: Nach der Demontage aus der Holzrotunde wurde sie nach Zürich überführt und vom  Panorama-Spezialisten Christian Marty akribisch restauriert. Jetzt hängt sie mit hunderten von Gewichten austariert und aufwendig klimatisiert im Betonschrein.
Die perfekte Illusion
Die Besucher betreten die Rotunde im zweiten Untergeschoss  – anders wäre der Zugang alleine wegen der Höhe des Gemäldes kaum möglich gewesen, hätte man nicht ein „Gasometer“ auf den Bergisel stellen wollen. Der Weg hinab in das Herz des Ausstellungsgebäudes ist als eindrucksvolle Zeitreise inszeniert. Schritt für Schritt mit Informationshäppchen vorbereitet, werden die Besucher streng geführt: durch die mehrgeschossige Eingangshalle, zunächst einmal oben um die Rotunde herum, dann auf sehr schmalen schwarzen Rolltreppen in zwei Etappen nach unten. Blutiges Rot an Wand und Boden,  Holzknüppel an der Decke und Audiospuren an der Wand stimmen auf die Schlacht ein, bevor man,  ganz in der Tradition der Panoramenbauten des 19. Jahrhunderts, eine Treppe nach oben steigt auf die runde Aussichtssplattform im Mittelpunkt der Rotunde  – und endlich ankommt in der 360-Grad-Illusion. Der räumliche Effekt erstaunt bis heute und das im Graben zwischen Plattform und Leinwand angerichtete „faux terrain“ (eine künstliche Landschaft mit Kiefernzweigen und Felsbrocken) unterstreicht den fast rührenden Willen zur Täuschung.  Eine kleine Seitentür am Fuß der Treppe führt „Backstage“, in das Reich der Konservatoren: Die Aussichtsplattform sitzt auf einer rohen Holzkonstruktion mit Werkstatt und Wartungsgang, hier befindet man sich wie im Theater hinter der großen Bühne, auf der das Gemetzel lautlos anhält.
Kaiserjäger-Muff
Nach dem Besuch der Rotunde führt der Weg in die unterirdische Ausstellungshalle zum „Mythos Tirol“, einer von HG Merz nach allen Regeln der Museumskunst gestalteten Dauerausstellung. Aufwendig in Glas und Holz gefasst sind hier zahlreiche Exponate versammelt, die das Tirolerische erkunden, von der Seilbahnkabine bis zum überfahrenen Biber: eine „Familienausstellung“, die den starken Eindruck des Panoramas eher verwässert. Von dort aus betritt man schließlich den Altbau des generalsanierten Kaiserjägermuseums, in dem sich der Muff der Kaiserzeit gehalten hat, von den Architekten nur durch kleine Maßnahmen wie dem Einbau eines Fahrstuhls und neue Vitrinen ergänzt. Am Ende muss man die Zeitreise zurück antreten: Der direkte Ausgang zum Platz ist verschlossen. Also: ganz nach unten, unter dem Platz hindurch zum Neubau und die Rolltreppen wieder hoch. Das ist die bescheidene Macht der Architektur: Sie zwingt die Besucher, am Ende noch einmal einen langen Blick auf das Inntal zu werfen.



Fakten
Architekten stoll.wagner architekten, Innsbruck
Adresse Bergisel 1, 6020 Innsbruck, Österreich


aus Bauwelt 39-40.2011
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

26.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.