Bauwelt

Bankfiliale


Schieben und drehen


Text: Redecke, Sebastian, Berlin


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Pierre Hebbelinck und Pierre de Wit suchten lange nach der besten Lage für ihre Pultdach-Bankfiliale in Bouge bei Namur.Der Keil ist in chinesischen Stein gehüllt. Den Büros wird der Blick auf das Ackerland gewährt.
Trifft man mit Pierre Hebbelinck zusammen, erzählt er bei der Betrachtung seiner Projekte viel von „seinem Weg“, den Begegnungen und den Erfahrungen mit Bauherren und Baubehörden. Er scheint sich mit Verve in die Vorstellungen und Interessen der Auftraggeber hineinzudenken, konfrontiert sie aber auch mit seinem Architekturverständnis, aus dem heraus er seine bauliche Zielsetzung entwickelt.
Es sind dabei die kleinen Geschichten der meist kleinen Bauaufgaben, die für ihn und Pierre de Wit eine eigene Bedeutung haben und die manchmal auch Sonderbares erkennen lassen. Hört man ihm genau zu, sind es wunderbare Erfahrungen, die sich hier offenbaren, verbunden mit Erlebnissen und Lehren, die sich durch den Dialog ergeben. Selten hat man bei einem Architekten in dieser Intensität den Eindruck, einen Vermittler vor sich zu haben, bei dem der Auftrag gleichzeitig zu einer Art Forschungsprojekt wird. Hebbelinck propagiert das Ausloten von Möglichkeiten, vor allem das Ausreizen der Bauvorschriften. In einem Vortrag aus Anlass der 11. Ar­chitektur­biennale von Venedig 2008, der als Aufsatz unter dem Titel „Rêves belges“ veröffentlicht wurde, hebt er gleich zu Beginn hervor, dass achtzig Prozent seiner Bauanträge zunächst zurückgewiesen werden. Es brauche Zeit und Ausdauer, die Behörden zu überzeugen.
Dass es sich in Bouge, einer nordöstlich von Namur lie­genden Ortschaft, nun einmal nicht um ein privates Projekt, ein Einfamilienhaus, handelt, sondern um eine Bankfiliale, macht die Sache zu einer besonderen Geschichte. Für die Bank entsprach das vorhandene Gebäude der Filiale nicht mehr den heutigen Anforderungen. Der Altbau stand ein wenig abgelöst vor der deutlich größeren Regionaldirektion der Bank, errichtet im gleichen Baustil. Bei der Direktion handelt es sich um einen weiß getünchten Ziegelbau aus den siebziger Jahren mit mächtigem Walmdach, der sich an traditionellen Baufor­men orientiert. Das Gebäude steht ein Stück weit abgerückt längs zur Chaussée de Louvain, der großen Einfallstraße nach Namur. Man könnte auch eine Villa vermuten.

Mal nach rechts, mal nach links

Die alte Filiale stand also zur Disposition und wurde abgerissen. Die Lage des Gebäudes sollte aber für den Neubau in etwa beibehalten werden. Eine Reihe von Modellen geben davon Zeugnis ab, wie auf dem äußerst begrenzten Terrain die richtige Position gesucht wurde. Es wurde mal nach rechts, mal nach links gedreht und geschoben.
Das Raumprogramm ergab, dass eigentlich kaum Fläche für den Kundenverkehr am klassischen Banktresen benötigt wurde. Wichtig waren Büro- und Besprechungsräume und vor allem das Foyer mit den Bankautomaten. Hebbelinck kam auf die Idee, von der Lage her dem Gebäude eine völlig eigenständige Form mit modernem Antlitz zu verleihen. Heraus kam ein Block auf trapezähnlichem Grundriss mit einem markan­ten Pultdach, das nach hinten deutlich ansteigt und sich entsprechend dem Grundriss verbreitert. Entscheidend war, dass an der Straße eigentlich nur ein gut sichtbarer Zugang gebraucht wurde und die Büros vom herrlichen Ausblick ins Freie, auf die Felder direkt dahinter, profitieren sollten. Bouge ist ein typisches Straßendorf. Der Architekt sieht bei der Form des Gebäudes Analogien zum Gehäuse eines alten Fotoapparats mit Balgen und einer kleinen Öffnung auf der Vorderseite.

Spielkarten

Um den Bauherrn für diesen Entwurf zu gewinnen, dachten sich Hebbelinck und de Wit eine Strategie aus: Sie fotografierten die meist allein stehenden Häuser der Nachbarschaft entlang der Straße, deren starke Heterogenität in der Abfolge ins Auge fällt. Mit den Fotos fertigten sie „Spielkarten“ an, die sie immer wieder neu mischten und vor dem Bauherrn ausbreiteten. Mit der stets anderen Kombination der Karten machten sie deutlich, dass man sich bei dieser Bauaufgabe nicht an ei­nem bestimmten Haustypus orientieren muss, sondern einen eigenen Weg suchen kann. Dieser Ansatz, sich ganz und gar zu lösen, wurde weitgehend durchgestanden.
Es war aber damit zu rechnen, dass die hohe Fassadenfront des Blocks zur Regionaldirektion hin bei der Baube­hörde für Irritationen sorgen würde. Diese Front ist, mit Ausnahme eines leicht sich hervorhebenden Erkers, eine glatte Fläche und kann fast schon als Teil eines überdimensionalen Prellbocks gesehen werden. Geht man jedoch um das Gebäude herum und schaut aus einem gewissen Abstand auf die hoch emporragende Fassade, offenbart sich eine ganz andere Wirkung. Das Haus öffnet sich und löst sich in eine feingliedrige Glashaut auf, die nicht nur die Tiefe, sondern auch die einzelnen vertikalen Schichten des Gebäudes erkennen lässt.
Die Klarheit und die gewisse Dynamik des Gebäudes an der Straße, wo sich der Baukörper weit bescheidener zeigt, werden durch die geforderte zweiläufige Rampe wieder etwas zurückgenommen. Sie wurde am Eingang längs angelagert. Außerdem wurde vor der Rampe ein Cortenstahl-Kastenprofil abgelegt, das als Fahrzeugsperre dient. Das bräunlich-rostige Profil auf dem Asphalt bildet eine kompositorische Einheit mit der Rahmenkonstruktion der gläsernen Eingangszone, die an den Seiten unterschiedlich schräg angeschnittene Einfassungen aufweist. Auf der Stahlfläche links des Eingangs ließ Hebbelinck eine kleine Nische einplanen, um dort einem von ihm in Auftrag gegebenen Modell seines Gebäudes – ebenfalls aus Stahl gefertigt – ein Zuhause zu geben. 
Bei den Fassaden entschied sich der Architekt für das Thema Ummantelung mit einem grauen Stein aus China. Glatt und kompakt, aber in seiner Struktur lebendig, hat dieser Stein mit dem schönen Namen „pluie noir“ dem Ganzen ein edles Gehäuse gegeben. Die Kanten der „Haut“ enden bündig an den Kanten der Eingangsfront und heben nochmals ihre besondere Stahlrahmung hervor. Auf der Nordseite wurde die graue Haut „gekantet“ und über das Dach geschoben, wo aufgrund der Neigung eine spezielle Verankerung erforderlich wurde. Die Platten wurden von nur einem einzigen Fassadenbauer mit großer Präzision innerhalb von vier Monaten montiert. Details sind hervorzuheben: so zum Beispiel die sorgsame Gestaltung eines mit Rundöffnungen perforierten Steins, der auf der Ostfassade ganz oben der Lüftung dient. Gleiches gilt für die Kupfereinfassungen der eingefügten Fensteröffnungen und für den formal eleganten Stoßschutz aus Hartgummi an der Gebäudeecke neben der Zufahrt zum Parkplatz, der nicht einfach nachträglich aufgesetzt, sondern als Gestaltungselementgut durchdacht in die Fläche der Steinplatten eingefügt wurde. Hier erhält eine simple Notwendigkeit eine Form und wird bescheiden, aber präzis in Szene gesetzt.

Der Sockel

Mit der Gestalt wird das Thema autarker „Baukörper“ stark ausgereizt. Eigentlich handelt es sich um ein Objekt: Das Gebäude scheint nur auf dem Untergrund aufzuliegen und damit auf eine eigene Weise an die Erde gebunden zu sein. Ein fla­cher, zurückgesetzter Sockel fällt auf. An der Ostseite schiebt sich ein Stück von diesem Sockel unter dem Neubau hervor und ist ebenfalls mit Cortenstahl verkleidet. Hebbelinck erzählt von der Geschichte des Hauses: Es handele sich bei diesem Sockel um den alten Keller, der noch vorhanden war und im Grundriss des Untergeschosses gut abzulesen ist. Dort liegt der Tresorraum mit den Kundenkassetten. Ein Neubau auch die­ses gut gesicherten Bereichs wäre zu aufwendig gewesen.
Durch das Konzept, die Büros übereinander hinten im Gebäude unterzubringen, mit dem Besprechungssaal ganz oben, ergibt sich innen eine spannungsvolle Komposition: Vom Kleinen, dem Ein- und Durchgang, in das Große, das Überraschende, das sich auch innen als solches zelebriert. Obwohl beim Interieur die Bank mit ihren Service-Automaten und anderen Einbauten deutlich dominiert und stetige Änderungen bei der Ausstattung und der Zuordnung der Räume zu erwarten sind, bleibt beim Durchwandern diese architektoni­sche Grundidee des Entwurfs gut erlebbar. Zudem ist es trotz der bescheidenen Grundfläche gelungen, einen zentralen Ort im Gebäude zu konzipieren, eine Art Forum, das bis zum Dach hinaufreicht. Dieser Raum wird auf zwei Seiten durch ein ausgeprägtes Gegenüber bestimmt, auf der einen Seite die dreigeschossige Bürozone, auf der anderen eine mächtige „Loggia“. Die nicht verglaste Loggia im Obergeschoss hat eine Brüstung, die mit einem tief in den Raum hineinreichenden Brett abgedeckt ist. Hinter dieser Loggia war ursprünglich der Aufenthaltsraum für die Bankangestellten vorgesehen, der zu einem weiteren Besprechungsraum umgenutzt wurde. Der Raum mit geneigter Decke ist dunkel, da durch eine nachträglich eingezogene Wand das natürliche Licht vom Fenster an der Nordseite fehlt. Auch dieser Eingriff ist einer Entscheidung des Nutzers geschuldet.
Auf der Nordseite liegen die Treppe und der Aufzug. Hebbelinck hat die Treppe klassisch zimmern lassen. Es handelt sich um eine kompakte, in das Gebäude eingestellte Holzkonstruktion, konzipiert in Kastenbauweise, die sich von der nördlichen Außenwand absetzt.

Pierre Toby

Der Bürotrakt besitzt zweifellos die größte räumliche Kraft von allen Räumen. Hier zeigt sich ein sympathisch leichtes gläsernes Konzept mit relativ schmaler, vertikaler Gliederung in einer insgesamt feingliedrigen Struktur, die die drei Geschosse zusammenbindet. Hebbelinck arbeitete bereits beim Theater „Le Manège“ in Mons (Bauwelt 14.2007) mit granier­tem Glas. Eigentlich handelt es sich beim Bürotrakt um ein ins Gebäude integriertes Glashaus, das dennoch ein ungestörtes Gespräch mit dem Kunden sicherstellt. Der Künstler Pierre Toby hat scheinbar in freier Kombination Tafeln eingefügt, die sich sowohl an der gläsernen Flurfassade zur zentralen Halle als auch an der gläsernen Büro- und der gläsernen Außenfassade zeigen. Die Flächen sind ebenfalls aus Glas und haben eine monochrom gelbe, rote oder blaue Farbschicht. Sie wirken matt, wie ein Paneel, bei Licht von innen ändert sich der Eindruck jedoch, und man erkennt dahinter Umrisse. Besonders bei Sonnenlicht entwickelt sich ein reiches Wechselspiel. Tritt man im Flur der Büros näher an die Glashaut heran, so zeigen sich weitere Besonderheiten. Die einzelnen Elemente sind so gesetzt, dass sie als glatte Flächen nur durch Fugen untergliedert sind. Eine – ebenfalls bündig eingepasste – Rahmenkonstruktion wird nur im Bereich der Türen sichtbar.
In Bouge steht kein schlichtes, gut wiedererkennbares Gehäuse, das man für eine solche Bauaufgabe an einer Ausfallstraße erwartet. Entstanden ist etwas ganz anderes, ein Werk, das Hebbelincks und de Wits meist steinigen Weg einer inspirierenden Ideenfindung offenbart.
 



Fakten
Architekten Hebbelinck, Pierre, Lüttich; de Wit, Pierre; Lüttich
aus Bauwelt 22.2010

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