Biberach an der Riß
Neue Wettbewerbsverfahren
Text: Gruber, Roland, Wien; Rihl, Bernhard, Wien
Votings, Postings, Kommentare – wer neue Wege der Bürgerbeteiligung gehen möchte, muss wissen, wen er auf welche Weise ansprechen will. Die fachliche Diskussion um den Neubau des Jugendhauses setzt hier erstmals auch auf soziale Netzwerke.
Biberach an der Riß ist ein prosperierendes Mittelzentrum in einem ländlichen Umland. Vor allem im historischen Kern gibt es eine enorme Dichte an hochwertig gestalteten Freiräumen, intelligenten Sanierungen, Um- und Neubauten. Dies hängt in erster Linie mit einem eigenen Gestaltungsbeirat zusammen, der sich wirkungsvoller erwiesen hat als jedwede Gestaltungssatzung. Um die Bürger für Baukultur zu sensibilisieren, investiert die Stadt zudem viel Energie in Information und Öffentlichkeitsarbeit: So wurde ein Online-Architekturführer erstellt, der auf interessante Bauprojekte im gesamten Stadtgebiet aufmerksam macht. Es gibt Architekturrundgänge, immer wieder Kooperationen mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen und sogenannte „Schau(bau)stellen“, die der Öffentlichkeit aktuelle Projekte präsentieren.
Die Bevölkerung wird in die Planungen eingebunden, damit sie sich in der Lage sieht, die Entscheidungen nachzuvollziehen und zu akzeptieren, aber auch, weil es wichtig ist, dass die am Prozess Beteiligten zu Multiplikatoren werden. Baubürgermeister Christian Kuhlmann: „Wir fördern und fordern mit einem kreativen Mix unterschiedlicher Werkzeuge und Methoden und offenen kommunikativen Prozessen. Nur auf diesem Weg kann ein Umfeld entstehen, das den Blick für die Schönheit sensibilisiert und eine hohe Gestaltqualität wie selbstverständlich einfordert.“
Neben den klassischen Wettbewerbsformaten, die seit langem eine tragende Säule der Baukultur vor Ort sind, beweist die Stadt Mut beim Erfinden und Ausprobieren neuer Wettbewerbsmethoden. Als neuestes Projekt soll ein Jugendhaus errichtet werden. Dafür wurde von der Bauverwaltung ein Wettbewerb in einem gänzlich neuen Format entwickelt, das Bürgerbeteiligung und Architekturwettbewerb miteinander verknüpft und speziell für Jugendliche attraktiv ist. Das Verfahren läuft seit diesem Frühjahr und soll im Sommer mit einer Entscheidung des Gemeinderats über den zu realisierenden Entwurf abgeschlossen werden. Der Baubeginn ist für Frühjahr 2014 geplant.
Der Wettbewerb ist als kooperatives Verfahren organisiert, d.h., die Lösungsansätze von vier Architekturbüros werden über mehrere Zwischenschritte im Dialog zwischen Entwerfer, Nutzer, Auslober und Fachleuten optimiert. Im Rahmen von zwei Kolloquien werden die Vorschläge der Architekten gemeinsam diskutiert. Änderungen am Raumprogramm und an den Anforderungen können noch während des Verfahrens vorgenommen werden.
Die Jugendlichen sollten auf möglichst breiter Basis in den Entscheidungsprozess für ihr Jugendhaus eingebunden werden. Nach den bisherigen Erfahrungen der Verwaltung waren dafür die beiden offiziellen Vertreter der „Initiative Jugendräume“ und des Jugendparlaments als alleinige Vertreter der Jugendlichen in der Jury zu wenig. Daher hat das Baudezernat einen Partner für die Online/Offline-Beteiligung von Jugendlichen an Bord genommen, die Beratungsfirma Squirrel & Nuts.
Für die Online-Beteiligung hat sich die Nutzung von Facebook als besonders geeignet herausgestellt, weil es niederschwellig ist. Immer eine Woche bevor die Jury die einzelnen Projekte im Kolloquium diskutiert, werden die Entwürfe auf Facebook präsentiert und stehen dort für Diskussion, Kommentare und Votings zur Verfügung. Die Beratungsfirma moderiert die Diskussion (quasi rund um die Uhr Beobachtung des Prozesses, sodass bei Fehlentwicklungen sofort eingegriffen werden kann), wertet sie aus und präsentiert sie am Beginn jedes Kolloquiums der Jury. Schon bei der ersten Diskussionsrunde waren mehr als 700 Jugendliche auf der Facebook-Gruppe registriert, rund 500 Mitglieder der Gruppe haben mehr als 1000 Kommentare verfasst. Begleitend zur Online-Gruppe gibt es „offline“ klassische Informations- bzw. Diskussionsveranstaltungen in den Jugendorganisationen, wo die Projekte in ähnlicher Weise diskutiert werden. Auch diese Ergebnisse fließen in die Kolloquien ein.
Vor dem ersten Kolloquium wurde eine Startveranstaltung in Kooperation mit den Biberacher Schulen organisiert. Dabei ging es um die Geschichte der Jugendhausbewegung in Biberach, das Raumprogramm, die allgemeine Beschäftigung mit Architektur – z.B. wurde in Kleingruppen das Thema „Was gefällt mir an welchen Gebäuden“ erarbeitet – und das Kennenlernen der vier Architektenteams.
Abgeschlossen wird das Verfahren einerseits durch eine Jurysitzung, andererseits wird auf einer „Offline-Veranstaltung“ eine qualifizierte Umfrage zu den Entwürfen durchgeführt. Dabei wird Schule, Alter, Geschlecht und Wohnort abgefragt, um zu vermeiden, dass einzelne Gruppen gezielt einen Entwurf durchsetzen. Die letzte Entscheidung auf Basis der Juryempfehlung und des Jugendvotings geschieht durch den Gemeinderat, d.h., die Verwaltung bleibt zu jedem Zeitpunkt Herr des Verfahrens. Oberbürgermeister Norbert Zeidler: „Wir möchten zunächst den Beteiligungsprozess zum Jugendhaus abschließen und dann überlegen, ob diese Vorgehensweise auch für andere Bürgerbeteiligungsverfahren und Wettbewerbe sinnvoll sein könnte.“
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