Bikini Berlin
Wilder Westen
Text: Kasiske, Michael, Berlin
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Bikini_Haus_Berlin_City_West_Hild_und_K_Architekten.jpg
Foto: Franz Brück
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Foto: Franz Brück
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Die neue Idee heißt Concept Mall. Mit ihr hat man sich zum Ziel gesetzt, im Bikini-Haus Erlebnis-Einkaufen für ein „avantgardistisches Publikum“ zu etablieren. Beauftragt wurden Hild und K Architekten. Sie übernahmen einen ersten Entwurf des Konzeptkünstlers Arne Quinze. Entstanden ist ein etwas raubeiniges Shop-Interieur mit Überraschungen
Dionys Ottls Adrenalinspiegel ist zu hoch, um noch über vergangene Rangeleien bei Planung und Bau des „Bikini“ in Rage zu geraten. Vorbei das Entsetzen, als der Bürgersteig plötzlich andersfarbige Betonplatten als verabredet erhielt, vorbei auch die Beschwerden von Mietern, die in letzter Minute mit dem Ladenausbau begannen und sich wunderten, das es bei der Gleichzeitigkeit ihres Tuns eng wurde. Das Haus ist seit dem 3. April offen, die Berliner flanieren, und wir eilen dem ansteckend begeisterten Architekten hinterher.
Das nimmt nicht Wunder bei einer Architektur, die wie das Hansa-Viertel als Gegenpol zur Stalinallee errichtet worden war. Zeitgleich, nämlich 1957, wurde das Ensemble „Zentrum am Zoo“ für das Textilgewerbe gebaut. Es brauchte einen Ersatz für seinen traditionellen, im Ostsektor liegenden Sitz am Hausvogteiplatz. Der Entwurf stammt von den Architekten Paul Schwebes und Hans Schoszberger, die einige markante Hochhäuser in Westberlin geplant haben.
Dass der Bau auch für andere Nutzer als Nähereien attraktiv sein würde, war schon vor der Fertigstellung in dieser Zeitschrift gemutmaßt worden (Bauwelt 47.1956). Die städtebaulich feinsinnige Komposition aus zwei Hochhausscheiben, der Großform des Kinos Zoo-Palast und einem 210 Meter langen Riegel atmete den Geist der Moderne, die seinerzeit Geschichte und Zukunft Berlins miteinander verknüpfte. Diese Aura hielt sich bis zum Mauerfall, in dessen Folge die City-West wegen des neuen Potenzials der historischen Mitte und wegen struktureller Änderungen im Einzelhandel ins Abseits geriet.
Ein städtebauliches Hindernis war ein Tunnel, dessen Rampen den Breitscheidplatz nach Norden einst abschotteten. Die Mitfinanzierung des Rückbaus 2005 war das erste Engagement der Bayerischen Hausbau, die das Zentrum am Zoo drei Jahre zuvor erworben hatte. Die „Concept Mall“ mit dem Namen „Bikini“, den Namen gaben die Berliner dem Langbau wegen eines Luftgeschosses, wurde vom belgischen Markenkünstler Arne Quinze entworfen. Vor eineinhalb Jahren entschied der Bauherr, das bis dahin lediglich als Berater tätige Münchner Büro Hild und K und somit Ottl mit der weiteren Planung zu betrauen.
Ottls bayerisch-kräftige Wortwahl trifft oft den Nagel auf den Kopf, wenn er vom Einstieg in die Baustelle erzählt. Häufig fällt das Wort „zusammenraufen“. Etwa mit der Denkmalbehörde, als es um die äußere Erscheinung ging. Die Rekonstruktion der feinen Profile und der schon lange hinter beigen Platten verschwundenen Glaspaneele war Ottl ein Anliegen. Dem Farbbefund folgend wurden Glastafeln hergestellt, die die an die Moderne erinnernde Ansicht wieder aufleben lassen. Die alten Paneele wurden geschreddert und – wie etwa in den Eingängen zu den Büros – in den Putz eingebracht. Eine grandiose Idee.
Die neuen geschlossenen Fassadenteile, für deren Dämmsystem Ottl eine Erscheinung wie textile Volants entwarf, beinhalten als Zuschlag geschredderte, grüne Gehwegplatten. Ähnlich grün sind die Platten, die für den Fußboden der Mall hergestellt wurden. Ottls Idee, sie auch auf dem Bürgersteig zu verlegen und so den öffentlichen Raum in das Gebäude zu verlängern, wurde trotz Versprechen nicht gefolgt.
Die Mall, die den einstigen Lieferhof bis zur Grundstücksgrenze mit dem Zoo einnimmt, stand stets im Mittelpunkt. „Wir haben den Entwurf erst einmal geordnet“, sagt Ottl, und in dem langgestreckten Raum stehend begreife ich, dass damit nicht nur vereinfachen gemeint ist. Alle Knotenpunkte des Fachwerks wurden neu entwickelt, das Raster der Ladenfronten modifiziert und die vorgesehene abgehängte Decke aus der Planung entfernt. Das hatte eine neue Konzeption für die Be- und Entlüftung zur Konsequenz.
In die Mall sind 19 Boxen gestellt, die für maximal ein Jahr an Pop-up-Stores vermietet werden. Die durch Drahtgitter einsehbaren Einheiten sind, wie auch der Sitzbeton, das Stirnholzparkett, die Eichenhandläufe und die in mattem Grün gestrichenen Metallkonstruktionen roh und damit unaufgeregt schlicht. Optischer Höhepunkt ist das einzige, außerordentlich große Fenster. Auf der breiter Sitzbank davor krabbeln Kinder und schauen in das Pavian-Gehege des Zoos.
Das vielleicht größte und zugleich erfreulichste Wagnis ist die öffentliche Dachterrasse auf Höhe des ehemaligen Luftgeschosses. Sie wird durch zwei Freitreppen und ein inneres Treppenhaus erschlossen. In zehn Meter Höhe öffnet sich ein beeindruckender Raum. Demnächst soll es hier auch Außengastronomie geben. Im ehemaligen Lufgeschoss liegen edle Boutiquen, nach Norden lädt eine langgezogene Brüstung zum Verweilen mit Blick auf den Zoo ein. Hier angekommen, ulkt Ottl, dass er nach der nächsten schwierigen Berliner Baustelle giere. Nun, daran herrscht bekanntlich kein Mangel.
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