Bauwelt

Grimmwelt Kassel


Die „Grimmwelt“, das neue Brüder-Grimm-Museum auf dem Weinberg in Kassel, ist ein Haus, das so, wie es ist, nur sein kann an dem Ort, an dem es steht.


Text: Friedrich, Jan, Berlin


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    Mit dem Museum haben die Architekten den Weinberg mit seinen vielen Stützmauern und Treppen einfach ein Stück weitergebaut
    Foto: Jan Bitter

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    Mit dem Museum haben die Architekten den Weinberg mit seinen vielen Stützmauern und Treppen einfach ein Stück weitergebaut

    Foto: Jan Bitter

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    Das Dach mit seinen beiden Aufgängen ist öffentlicher Raum, ...
    Luftbild: Stadt Kassel

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    Das Dach mit seinen beiden Aufgängen ist öffentlicher Raum, ...

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    ... rund um die Uhr für jedermann zugänglich
    Foto: Jan Bitter

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    Haupteingang ins Museum in der Nordfassade
    Foto: Jan Bitter

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    Haupteingang ins Museum in der Nordfassade

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    Die unterschiedliche Neigung der Treppen zum bzw. auf dem Dach ...
    Foto: Jan Bitter

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    Die unterschiedliche Neigung der Treppen zum bzw. auf dem Dach ...

    Foto: Jan Bitter

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    ... zeichnen sich auch in der Decke von Foyer, Shop und Café ab.
    Foto: Jan Bitter

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    ... zeichnen sich auch in der Decke von Foyer, Shop und Café ab.

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    Verlaufen würden man sich ohne sie wohl nicht – die großen Neonbuchstaben sind eher dazu da, dass der Besucher auf seinem Parcours keines der 26 Ausstellungskapitel übersieht
    Foto: Jan Bitter

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    Verlaufen würden man sich ohne sie wohl nicht – die großen Neonbuchstaben sind eher dazu da, dass der Besucher auf seinem Parcours keines der 26 Ausstellungskapitel übersieht

    Foto: Jan Bitter

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    Ansicht von Süden

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    Ansicht von Süden

Den Eingang zum Museum erst einmal rechts liegen lassen, links die schmale Treppe hinauf, die mit jedem Schritt, den man macht, ein bisschen breiter wird. Oben auf dem Dach angekommen: staunen. Staunen über den Ausblick auf Kassel und in die Umgebung und zur Wilhelmshöhe hinauf bis zum Herkules. Staunen auch über das Dach selbst. Weil man etwas derartiges, als man unten stand, nicht erwartet hätte, überhaupt auf einem Museum so nicht erwartet hätte. Das Dach ist kein Dach im klassischen Sinn, sondern auch wieder eine Treppe. Eine Treppe, so breit wie das ganze Haus, die an das sanft geneigte Parkett eines (Freiluft-)Theaters denken lässt.
Man kann sich auf einer der vielen Stufen oder auf der Steinbrüstung in die Sonne setzen, einen aus dem Museumscafé heraufgeschmuggelten Weißwein trinken, sich die wildesten Parties hier oben imaginieren oder einfach den Blick in die Ferne schweifen lassen. Oder man macht gar keine Pause, sondern sieht die Querung des Hauses als Etappe eines Spaziergangs durch den Park, geht also gleich hinunter ans Ende der Fläche, an der verspiegelten Box vorbei, die den Fahrstuhl verbirgt, und wird von einer weiteren, gegenläufigen Treppe an der Südseite des Hauses wieder nach unten geführt. All das, die beiden Aufgänge, die Dachfläche, ist öffentlicher Raum, am Tag wie in der Nacht für jedermann zugänglich. Auf diese Weise hätten sie den Platz, den das Haus auf dem Weinberg besetzt, den Parkbesuchern zurückgeben wollen, sagen die Architekten Gerhard Wittfeld und Kilian Kada.
Die 2000 Quadratmeter begehbarer Dachfläche sind ein gelungenes Kollateralvergnügen. Denn selbstverständlich hieß die Aufgabe des Ende 2011 von der Stadt Kassel ausgelobten Wettbewerbs nicht: Bauen Sie im Park auf dem Weinberg, dort wo einst die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Villa der Fabrikantenfamilie Henschel stand, für 20 Millionen Euro eine riesige Freitreppe. Es ging um den Neubau eines Hauses, in dem Leben und Werk der Brüder Grimm einer möglichst breiten Besucherschar nahegebracht werden können. Die Sprachwissenschaftler Jacob Grimm (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) verbrachten dreißig Jahre in Kassel. Zu den wertvollsten Gegenständen, die sie der Stadt hinterließen, gehören die Handexemplare ihrer Kinder- und Hausmärchen, seit 2005 Unesco-Weltdokumentenerbe. Die Ausstellung im neuen Museum, das im September als „Grimmwelt Kassel“ eröffnet hat, ersetzt die in die Jahre gekommene Schau im barocken Palais Bellevue.
Beim Wettbewerb hatten kadawittfeldarchitektur aus Aachen den zweiten Preis gewonnen, Sieger war das Kasseler Büro pool 2 Architekten (Bauwelt 6.2012). Doch das anschließende Verhandlungsverfahren, in dem es vor allem um die Flexibilität der Ausstellungsflächen gegangen sein soll, entschieden die Aachener für sich und erhielten den Auftrag. Die architektonische Idee ihres Hauses vermittelt sich am besten einige Meter weiter unten, am Fuß des Weinbergs, wo man auf der Frankfurter Straße von Süden in die Stadt fährt, direkt auf die imposanten Stützmauern und Treppen des terrassierten Weinbergs zu. Von dort scheint der sich abtreppende Neubau mit seiner Fassade aus unregelmäßig hohen Lagen von Grauinger Travertin nicht mehr zu sein als eine weitere Stützmauer, eine weitere Treppe, die von einer Terrasse zur nächsten führt – obwohl sich 2650 Quadratmeter Nutzfläche in dem Bau verbergen. Das ist das Bild, das die Architekten erzeugen wollten: ein Haus, das „natürlich“ aus dem Weinberg herauswächst.
Ein Stapel grob behauener Steine auf einem Berg: Im Zusammenhang mit den Brüdern Grimm darf einem da schon eine Märchenburg in den Sinn kommen. Eine solch große Geste wirft die Frage auf, wie man als Architekt im Innern auf das außen erzeugte Bild reagiert. Es dort weiterführen? Kadawittfeld sind es innen zurückhaltender angegangen: in Foyer, Museumsshop und Café weiße Wände, heller Terrazzo und an der Decke und einigen Wänden eine Verkleidung aus heller Eiche; Glasbrüstungen zum Luftraum des Treppenhauses und vor dem Panoramafenster an der Südseite. Das ist alles licht und hell und angenehm, aber den Räumen fehlt der unverwechselbare Charakter, den man erwartet hätte. Man könnte hier wohl auch im Foyer des Wellness-Bereichs eines guten Hotels stehen.
Aber wäre alles andere vielleicht zu viel gewesen? Vielleicht braucht es genau diese Neutralität, um die Besucher vor und nach ihrem Gang durch die Ausstellung nicht mit weiteren Inszenierungen zu überfordern. Die sehenswerte Dauerausstellung, die die Kuratorinnen Hürlimann + Lepp und die Ausstellungsarchitekten Holzer Kobler auf den unteren Ebenen des Hauses eingerichtet haben, ist inhaltlich wie räumlich enorm dicht.



Fakten
Architekten kadawittfeldarchitektur, Aachen; Holzer Kobler Architekturen, Zürich
Adresse Weinbergstraße 21, 34117 Kassel


aus Bauwelt 39.2015
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