Campus Center
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Seit über einem Jahrzehnt beschäftigen sich av-a Veauthier Meyer Architekten mit dem Campus der Universität des Saarlandes. Das neue Empfangsgebäude ist ein deutliches Plädoyer für einen differenzierten Umgang mit dem heterogenen Ensemble – und zugleich eine deutliche Geste.
Die zweisprachige Universität des Saarlandes (UdS) wurde 1947 als Dependance der Université Nancy im saarländischen Homburg gegründet. Ein Jahr später verlegte man den Lehrbetrieb, mit Ausnahme der Medizinischen Fakultät, nach Saarbrücken, auf das Gelände der früheren Below-Kaserne, etwa vier Kilometer nordwestlich des Hauptbahnhofs. Die 1938 fertig gestellten Kasernenbauten waren nahezu unbeschädigt durch den Krieg gekommen – im Gegensatz etwa zur Innenstadt. Neben praktischen Gründen dürfte bei der Wahl des Hochschulstandorts auch die Symbolkraft eine Rolle gespielt haben. Die Umwandlung der ehemaligen Wehrmachtsanlage in eine Universität war ein zivilisierender Akt, ein Signal des gesellschaftlichen Neubeginns.
Bald schon waren die Kasernengebäude für die drei Fakultäten – Philosophie, Jura, Naturwissenschaften – zu klein geworden. 1952 sollte ein internationaler Wettbewerb die städtebauliche Gestalt künftiger Erweiterungen festlegen sowie Vorschläge für wichtige Einzelbauten liefern. Ein erster Preis wurde nicht vergeben. Dem Zweitplazierten Richard Döcker wurde der Drittplazierten André Remondet zur Seite gestellt, beide errichteten hier mit der Universitätsbibliothek und der Philosophischen Fakultät wichtige Bausteine. Döckers städtebauliche Planung hielt den von Unterkunftstrakten gefassten ehemalige Exerzierplatz frei und schloss südlich davon ein Gegengewicht im Gewand der Moderne an, das „Neue Forum“. Während Letzteres heute noch durch klare Platzkanten erfahrbar ist, wurde das Kasernenfeld mit den Jahren durch zusätzliche Bauten verstellt und die Symmetrie der Anlage zerstört, wurden Proportion verzerrt und Achsen gekappt. Den in diesem Sinne wohl gravierendsten Einschnitt stellt ein sechsgeschossiges Institutsgebäude von 1978 dar. Es steht an der Nahtstelle von Kaserne und Forum. Der Betonfertigteilbau namen-
loser Provenienz zeigt durch seinen umlaufenden Fluchtbalkon mit vorgehängtem Stahlrohr-Gestänge, dass er ein typisches Kind seiner Zeit ist; später hinzugekommene Moospolster und Betonausblühungen tragen zum morbiden Charme bei. Weil kein Ersatz für die Räume in Sicht ist, steht ein Abriss bislang nicht zur Debatte.
Ein Terminal?
Andreas Veauthier, der Architekt des neuen Campus Centers, ist mit dem Saarbrücker Campus seit langem vertraut. Sein Vater hatte hier einst eine Professur für Philosophie inne, er selbst war zwei Jahre an der Juristischen Fakultät eingeschrieben, bevor er wegen der Architektur nach Berlin ging. Er hat das Areal verinnerlicht, ein kleineres Institutsgebäude errichtet (Bauwelt 38.2005) und betrachtet die gebauten Zeugnisse früherer Jahrzehnte, die hier wie in einem Hochschul-Freilichtmuseum ablesbar sind, ohne ideologische Vorbehalte. Vor zehn Jahren war er federführend an der Erarbeitung des Rahmenplans beteiligt, der die Campus-Entwicklung fortschreibt. Der Plan sieht langfristig die bauliche Verdichtung der historischen Kernbereichs vor – Wachstum nach innen statt weiteres Ausfransen in die Landschaft.
In dieser Hinsicht ist das Campus Center, in dem Läden und diverse Service-Einrichtungen für die Studierenden untergebracht sind, programmatisch und kann als Referenz für das weitere Vorgehen auf dem Areal gelten. Es erfüllt darüber hinaus die Aufgabe, eine städtebauliche Problemzone in ein vorzeigbares Entree zu verwandeln. Der lang gestreckte L-förmige Baukörper, der genau genommen aus zwei Teilen besteht, besetzt eine vormals als Stellplatz genutzte Restfläche und formuliert eine klare Kante zu dem verbliebenen Kasernenhof. An dieser Stelle schlägt – das ist spätestens jetzt unverkennbar – das logistische Herz des Campus, denn hier halten alle Busse in Richtung Stadt. Das weit auskragende Dach, das die beiden Bauteile zusammenfasst, erweckt in diesem Zusammenhang den Eindruck, es handele sich bei dem Gebäude um ein Terminal. Seine Bedeutung wird noch unterstrichen, indem die gesamte Unterseite des Daches illuminiert ist, eine leicht verständliche Geste, die großzügig, einladend und angemessen zugleich wirkt. Es ist außerdem ein bergendes Gebäude, das unter seinem Dach einen neuen öffentlichen Raum aufspannt, in dem viel mehr möglich sein wird, als nur auf den nächsten Bus zu warten.
Aufwertung durch Annäherung
Die Arrondierung bezieht aber auch das problematische Nachbargebäude mit ein, das weiterhin zugänglich bleiben musste. Die Wege zu seinen Eingängen blieben erhalten, das neue Gebäude verstellt sie nicht, sondern teilt sich hier in zwei Hälften auf und weitet sich zu einem Portal auf, durch das man in das dahinter liegende Institutsgebäude gelangt. Eine Durchlässigkeit, die Respekt ausdrückt. Das Verbindende tritt auch bei der Fassadengestaltung des Campus Centers in den Vordergrund. Als habe der Nachbar auf ihn abgefärbt, trägt der Neubau eine Variation der dort vorgehängten Metallstreben vor. Wie Taktstriche zeichnen Aluminiumblenden die drei unterschiedlichen Formate der Vollverglasung nach, die „synkopisch“ gruppiert sind. Andreas Veauthier erwähnt in diesem Zusammenhang frühe kinetische Arbeiten Victor Vasarelys als Inspirationsquelle. Was für sich genommen wie eine von vielen möglichen Fassadenlösungen klingt, führt angesichts dieser prekären Nachbarschaft zu einem unerwarteten Dialog zwischen Alt und Neu: Der Siebziger-Bau wirkt dadurch, obwohl so vernachlässigt, würdig, erhalten zu werden. Erst der passgenaue Bezug des Campus Centers schreibt den ungeliebten Nachbarn fest wie ein Abguss; sein Abriss ist damit eigentlich undenkbar. Irgendwann wird er modernisiert werden, und es wäre interessant zu verfolgen, wie das Büro von Veauthier einen solchen Umbau ausführen würde.
Farbe von innen
Nach zahlreichen Entwurfsphasen ist die Fassade nicht nur immer filigraner geworden, sondern auch immer mehr entfärbt worden. Farben kommen allein noch im Inneren des Gebäudes vor, etwa als Wandanstrich (mintgrün und auberginefarben) und als Vorhangstoff (graublau und hellgelb). Diese aparte Farbpalette wird schließlich, durch raumhohe Glasflächen gefiltert, außen sichtbar. So könnte das zu erwartende Unbehagen so mancher Mitarbeiter, der Wunsch nach einer blickdichten Arbeitsumgebung, am Ende noch zur Zierde des Hauses beitragen.
Es überrascht, dass dieser wichtige Beitrag zu einer nachträglichen Urbanisierung der „Universität im Wald“, der nicht wie üblich vom Land, sondern von der Universität finanziert wurde, nur knapp 1700 Euro pro Quadratmeter gekostet hat. Die knappen Mittel wurden offensichtlich klug eingesetzt, und man erkennt, dass es bei Bauherr und Generalunternehmer den Willen zur Architekturqualität gab.
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