Bauwelt

Casa della Memoria in Mailand


Die Stadt Mailand hat gemeinsam mit Partisanenverbänden ein Haus der Erinnerung an die Widerstandskämpfer errichtet. Die Fassaden mit den Portaits anonymer Bürger finden große Beachtung


Text: Vielhauer, Cordula, Berlin


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    Das Haus steht in unmittelbarer Nähe der beiden Wohntürme Bosco Verticale von Stefano Boeri. Südlich und östlich ragen neue Bürotürme empor. Die Fassaden des Neubaus sind in verschiedene Felder untergliedert. Sie zeigen u.a. Porträts anonymer Mailänder Bürger, die man von Fotos aus Archiven übernommen hat.
    Foto: Stefano Graziani

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    Das Haus steht in unmittelbarer Nähe der beiden Wohntürme Bosco Verticale von Stefano Boeri. Südlich und östlich ragen neue Bürotürme empor. Die Fassaden des Neubaus sind in verschiedene Felder untergliedert. Sie zeigen u.a. Porträts anonymer Mailänder Bürger, die man von Fotos aus Archiven übernommen hat.

    Foto: Stefano Graziani

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    Die bündig in die Fassade eingefügten Fenster lockern den 20 x 35 x 17,5 m großen Block auf. Er steht an der Via de Castillia unmittelbar an der Kante zum neuen Stadtviertel Porta Nuova. Im oberen Teil der Fassaden werden historische Szenen gezeigt, die das Ringen um Freiheit und Demokratie illustrieren. Für die Architekten stehen die polychromen Ziegelfassaden in der Lombardischen Tradition, z.B. des Ospedale Maggiore und der Kirche Santa Maria delle Grazie.
    Foto: Stefano Garziani

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    Die bündig in die Fassade eingefügten Fenster lockern den 20 x 35 x 17,5 m großen Block auf. Er steht an der Via de Castillia unmittelbar an der Kante zum neuen Stadtviertel Porta Nuova. Im oberen Teil der Fassaden werden historische Szenen gezeigt, die das Ringen um Freiheit und Demokratie illustrieren. Für die Architekten stehen die polychromen Ziegelfassaden in der Lombardischen Tradition, z.B. des Ospedale Maggiore und der Kirche Santa Maria delle Grazie.

    Foto: Stefano Garziani

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    Fassadendetail mit einem der anonymen, 4,6 x 4,6 m großen Porträts, das sich aus 5,5 x 5,5 cm kleinen Steinen in sechs Farbtönen zusammensetzt.
    Foto: Giulio Boem

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    Fassadendetail mit einem der anonymen, 4,6 x 4,6 m großen Porträts, das sich aus 5,5 x 5,5 cm kleinen Steinen in sechs Farbtönen zusammensetzt.

    Foto: Giulio Boem

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    Innen hat der Block sehr stark den Charakter eines schlichten Studier-, Verwaltungs- und Archivzentrums.
    Foto: Stefano Graziani

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    Innen hat der Block sehr stark den Charakter eines schlichten Studier-, Verwaltungs- und Archivzentrums.

    Foto: Stefano Graziani

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    Allein die markante Spiraltreppe mit flachen und tiefen Stufen hebt sich deutlich ab. Das Erdgeschoss steht für Vorträge und Ausstellungen zur Verfügung.
    Foto: Stefano Graziani

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    Allein die markante Spiraltreppe mit flachen und tiefen Stufen hebt sich deutlich ab. Das Erdgeschoss steht für Vorträge und Ausstellungen zur Verfügung.

    Foto: Stefano Graziani

Es sind zwei gegensätzliche Welten, die am Standort der Casa della Memoria in Mailand aufeinandertreffen, auf der einen Seite das alte, verrufene Arbeiterviertel Isola mit seinem Wochenmarkt, die Hauptstraßen gesäumt von Cafés und kleinen Geschäften. Vom Kanarienvogel bis zur Espressokanne findet man hier alles. Auf der anderen Seite das hypermoderne Quartier der Porta Nuova, die parallel zur Expo errichtete neue Skyline Mailands, mit dem 230 Meter hohen Torre Unicredit von César Pelli und weiteren Bürotürmen. Besonders ins Auge fallen die beiden aufwendig begrünten Wohnhochhäuser von Stefano Boeri, die ihrem Namen Bosco Verticale inzwischen erstaunlich gerecht werden (Bauwelt 21.2013/47.2014). Dazwischen wogt ein Weizenfeld, angelegt von der amerikanischen Künstlerin Agnes Denes: „Feeding the Planet“ heißt schließlich das Motto der Expo. Aber der Acker ist nur ein Platzhalter für die „Bücherei der Bäume“, einen Teil des Grünraum-Masterplans, den der Landschaftsarchitekt Andreas Kipar unter dem Namen „Grüne Strahlen für die Stadt“ vorantreibt.
Die Casa della Memoria ist im Gewebe der dichten Bebauung des Stadtviertels Isola verortet. Im Jahr 2011 gewann das Architekturbüro baukuh (Mailand/Genua) den eingeladenen Wettbewerb, den die Stadt in Kooperation mit fünf Partisanenverbänden ausgelobt hatte: Sie wollen das Erbe der Widerstandskämpfer gegen faschistische und rechtsextreme Gewalt würdigen sowie der Erinnerung an deren Opfer einen angemessenen Rahmen geben.
Sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden, immer noch einen Schritt weiter gehen und dabei das große Ganze im Blick haben: Dazu passt, dass baukuh Mitherausgeber der architekturtheoretischen Reihe San Rocco Magazine ist, in der provokante Fragen eines kritischen, eigenwilligen Architekturverständnisses reflektiert werden. Von ihrem im Deutschen seltsam klingenden Namen baukuh sind die Architekten übrigens nicht abzubringen: Tatsächlich wollen sie mit dem Wortspiel neben einer gewissen Selbstironie auch ihre Wertschätzung der deutschen (Denk-)Kultur gegenüber ausdrücken. Mysteriös bleibt dabei die Rolle der Kuh, immerhin ist sie Teil des Bürologos. Das 2004 gegründete Büro versteht sich als kollektiver Zusammenschluss von sechs Partnern, ohne Hierarchien. Sie entwickeln Architektur in einem rationalen Gestaltungsprozess. Dieser Prozess fußt auf einem kritischen Verständnis historischer Architektur; aus den daraus gewonnen Erkenntnissen werden die Bauaufgaben bearbeitet.
Die Casa della Memoria bezeugt dies: So bescheiden sich der schlichte Kubus in seine städtebauliche Umgebung einfügt, so vielschichtig ist die Bedeutung seiner Fassadengestaltung. Sie besteht aus einem Mosaik unterschiedlich farbiger Backsteine, die sich von Weitem als großformatige Wandbilder identifizieren lassen. Aus der Nähe verschwimmen die Motive jedoch zu einem rötlich-bunten Pixelmeer. Die Architekten verstehen die Fassade als Metapher für den Gegensatz zwischen der Trägheit gebauter Architektur und der rasanten Geschwindigkeit moderner Medien; sie soll die ambivalente Spannung ausdrücken zwischen flüchtiger, individueller, oft unbewusster Erinnerung und einem statischen, als kollektivem Gedächtnisspeicher genutzten Monument, wie es die Casa della Memoria unmissverständlich ist.
19 Porträts
Die Steine der Außenschale mit einem Sondermaß von 5,5 x 5,5 x 12 Zentimetern sind in sechs verschiedenen Farbschattierungen gebrannt. Sie wurden für die Casa della Memoria entworfen und angefertigt. Eine eigens für die Sammlung der Fassadenbilder berufene Jury wählte die Motive aus: 19 Porträts anonymer Mailänder Bürger und acht historische Szenen, die das Ringen um Demokratie und Freiheit illustrieren. Gezeigt werden zum Beispiel die Befreiung vom Faschismus und das Attentat vom 12. Dezember 1969 auf der Piazza Fontana, das auf rechtsextremen Terror zurückgeführt wird. Alle Bilder wurden in einem digitalen Verfahren vereinfacht: Auf sechs Farbtöne reduziert, einer Matrix folgend den Zahlen 1 bis 6 zugeordnet, wurden diese Zahlen auf die Fassade projiziert und von dort aus die Farben der Steine zugewiesen.
Den Architekten kam zugute, dass die drei Bauherren, Stadt, Investor und Vereine, als einzige Richtschnur die Einhaltung des knappen Budgets von 3,6 Millionen Euro vorgegeben hatten. Diese Freiheit nutzten sie, um den Großteil des Budgets für die Fassade zu verwenden. Innenraum und Ausstattung hingegen sind äußerst sparsam gehalten. Hier wurde mit wenigen Ausnahmen auf Standardlösungen zurückgegriffen. Auch Volumetrie und Konstruktion des Baukörpers sind einfach. Dafür beträgt der Quadratmeterpreis der Baukosten bei einer Geschossfläche von rund 2500 Quadratmetern gerade einmal 1400 Euro.

Viele Nutzungen

Auf einer Fläche von 20 x 35 Metern und einer Höhe von 17,5 Metern spannt sich eine Stahlbetonskelettkonstruktion auf. Die kurzen Seiten sind schmale doppelte Schichten und definieren die Tiefe der beiden, niedrigen Eingangsbereiche. Darüber liegt auf der Südseite das Archiv, im Norden sind Service- und Sanitärräume untergebracht. Dazwischen öffnet sich eine über die gesamte Grundfläche reichende Halle, deren letztes Drittel die volle Gebäudehöhe einnimmt. Zwei achteckige Stützen, eine knallgelbe spiralförmige Treppe, ein polygonaler schwarzer Tresen – mehr braucht es nicht, um diesen vielfältig nutzbaren Raum zu gliedern. Unregelmäßig verteilte Fenster geben dem in kühles Halbdunkel getauchten Ort eine archaische Atmosphäre. Ein schöner Effekt ergibt sich auch aus der Gestaltung des fünfgeschossigen Archivs: Gleich einer  inneren Fassade öffnet sich dieser Bauteil zur Halle und lässt sie noch mehr wie einen öffentlichen Platz wirken. Betreten kann man das Archiv von der großen Treppe aus jedoch nicht, sie dient einzig der Erschließung der Büros und Leseräume. Auf drei Geschosse verteilt und organisiert um einen für Besprechungen und Stillarbeit konzipierten Innenbereich sowie einen offeneren Außenring, soll sich hier jede der fünf Organisationen die für sie passende Büroform wählen. Ein großer Lesesaal im obersten Geschoss steht allen Besuchern zur Verfügung.
Ist das Gebäude nun ein Museum, ist es ein Archiv, ein Kulturzentrum oder ein Verwaltungsgebäude? Nichts von alldem, und doch alles zusammen. Es lebt von der ambivalenten Spannung, die sich aus seiner Funktion als Hülle für unterschiedliche Zwecke ergibt und seinem objekthaften Charakter als Erinnerungsträger und Monument.



Fakten
Architekten baukuh architetti associati, Mailand/Genua
Adresse Via Federico Confalonieri, 14, 20124 Milano, Italien


aus Bauwelt 25.2015
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