Bauwelt

Der Großtempel im Gewerbegebiet



Text: İlk, Çağla, Berlin; Pressel, Dietrich, Siegen; Schwalbach, Gerrit, Siegen


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Der Hindutempel „Sri Kamadachi Ampal“ in Hamm, einer ehemals industriell geprägten Großstadt am Rand des Ruhrgebiets, ist der größte seiner Art in Europa: Zu dem jährlich stattfindenden Tempelfest kommen bis zu 25.000 Menschen, vor allem aus der Schweiz, aus England, Frankreich und Holland.
Die Tempelanlage wurde von 1999–2002 im Gewerbegebiet Uentrop gebaut, zwischen Autobahn, Kraftwerk und Schlachthof – ein peripherer, im Bewusstsein der Bevölkerung kaum präsenter Ort, der auf den ersten Blick im Widerspruch steht zur internationalen Bedeutung des Tempels. Warum wählte die hinduistische Gemeinde keines der von der Stadt angebotenen Grundstücke in der Innenstadt?
Die herkömmliche räumliche Logik von Sakralbauten, dass viele Gemeindemitglieder in unmittelbarer Nähe leben, trifft für den „Sri Kamadachi Ampal“ nicht zu: Von den 180.000 Einwohner Hamms haben weniger als 0,2 Prozent einen Pass aus Sri Lanka. Sie gehören jener Gruppe an, die in den achtziger Jahren vor dem dortigen Bürgerkrieg geflohen war. Der heutige Tempel ging aus mehreren provisorischen Gebetsstätten in Hamm hervor, die sich zuerst im acht Quadratmeter großen Kellerabteil, dann auf dem Dachboden eines Mehrfamilienhauses und später in einer ehemaligen Gaststätte mit Kegelbahn befanden.
1992 nahmen mehrere hundert, und 1996 bereits 3000 Menschen an den Festen in den improvisierten Tempeln teil. Die Anwohner empfanden dies zunehmend als Störung, weil sie durch die Prozessionen den innerstädtischen Verkehr behindert sahen. Der Priester der Gemeinde, Siva Sri Arumugam Paskarakurukkal, stellte schließlich Bedarf für einen großen Tempel fest und machte sich auf die Suche nach einem Architekten und einem Grundstück für einen Neubau. In den Gelben Seiten fand er den ortsansässigen Architekten Heinz-Rainer Eichhorst, für den die Bauaufgabe ein völliges Novum war. Für die Wahl des Baugrundstücks waren pragmatische Gründe entscheidend: die Vermeidung von Nachbarschaftskonflikten, die verkehrsgünstige Lage nahe der Autobahn und der Kaufpreis. So fand die Gemeinde im Gewerbegebiet von Hamm, unweit des stillgelegten Forschungsreaktors Hamm-Uentrop und des Schlachthofs der Firma Westfleisch, ein finanzierbares Grundstück. Die Nähe zum Datteln-Hamm-Kanal wurde als Vorteil gesehen, da dieser für hinduistische Waschungsrituale genutzt werden kann. Ausschlaggebend war allerdings die nahe gelegene A2, und damit der Anschluss an das europäische Fernstraßennetz.
Ein Tempel im Gewerbegebiet? Nach der Baunutzungsverordnung können Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke in Gewerbegebieten ausnahmsweise zugelassen werden. Von den zu beteiligenden Bürgern wurden keine abwägungsrelevan­ten Bedenken formuliert, und nach längerer Diskussion stimmte auch der Stadtrat zu.
Zur Vorbereitung des Tempelbaus reisten Architekt und Priester zunächst nach Indien. Traditionell werden dort nur Priester mit der Planung von Tempeln betraut. Wegen des deutschen Bauplanungs- und Bauordnungsrechts war diese Regel nicht anwendbar, sodass die Gemeinde dem Architekten die Skizze eines indischen Prie­sters als Vorlage gab. Der Tempel ist der erste und größte Hindutempel in Europa, der im traditionellen südindischen Stil erbaut wurde. Er hat eine Grundfläche von 27 x 27 Metern, die Maße basieren auf der für Hindus göttlichen Zahl Neun. Zwei Pagodentürme, siebzehn und neun Meter hoch, ragen aus der eingeschossigen Anlage. Örtliche Unternehmen führten den Rohbau und die technische Gebäudeausstattung aus. Für Stuckarbeiten und weitere Verzierungen waren jedoch Tempelbauer aus Indien notwendig, die achtzehn Monate in Hamm arbeiteten.
Der Bauablauf verzögerte sich wegen Finan­zierungsproblemen mehrfach. Als besonders schwierig erwies sich die Kreditaufnahme bei Banken, die in der Regel keine Sakralbauten finanzieren. Erst mit umfangreichen Garantien wurden Darlehen gewährt, teilweise zu sehr ungünstigen Bedingungen. Hinzu kamen Spendengelder und private Darlehen.
2002 konnte der Tempel schließlich eingeweiht werden. Rückblickend nimmt sich der Architekt weniger als Entwerfer des Tempels wahr, sondern vielmehr als Organisator und Moderator. Anfängliche Vorbehalte der lokalen Mehrheitsgesellschaft sind einer Anerkennung als Sehenswürdigkeit der Stadt gewichen: Der Tempel wird mittlerweile auf der Website von Hamm präsentiert, und die Gemeinde bietet gut besuchte Führungen an. Jüngst hat sie ein Nachbargrundstück erworben, um ein Kulturzentrum mit Hochzeitshalle, Bücherei und Museum zu bauen.




Adresse Uentrop 59071 Hamm


aus Bauwelt 12.2012
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