Bauwelt

Der Park auf der M30


Die Öffnung des Río-Park


Text: CC, BC, MC


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    Zeichnung: Burgos & Garrido Arquitectos

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    Zeichnung: Burgos & Garrido Arquitectos

In einer gewaltigen finanziellen Anstrengung hat Madrid einen Teil der Ringautobahn M30 überdacht und den parallel dazu verlaufenden Fluss Manzanares freigelegt. Das Planerteam Burgos & Garrido, MRIO und WEST 8 hat auf dem Deckel und entlang der Ränder einen Park konzipiert, der im Sommer eröffnet wurde. Die Autoren beschreiben, mit welchen Mitteln dieser Park in die angrenzende Stadt geöffnet wurde.
Der Río-Park in Madrid ist als eine fast sieben  Kilometer lange Folge von Parkanlagen konzipiert, unter der sich ein ehrgeiziges Tiefbauprojekt verbirgt: der südwestliche Abschnitt der Madrider Ringstraße M30. Während jeden Tag Tausende von Fahrzeugen die Tunnelstraße befahren, ist oben, an beiden Ufern des Manzanares, ein neuer öffentlicher Raum entstanden. Dieser Raum nimmt Kontakt zu den beiden Fassaden der Stadt auf, die sich entlang der tiefen Wunde, die der Bau der Autobahn in den 1970er Jahren geschlagen hatte, unterschiedlich entwickelt haben. Die Fahrbahnen nahmen beide Ufer des Flusses ein, das Flussbett war isoliert, unzugänglich und unsichtbar.
Ziel des Projekts war es, einen Freizeit- und Erholungskorridor zu schaffen, der Madrid mit seiner Umgebung verbindet: mit der Casa de Campo und dem Monte del Pardo im Norden, mit den fruchtbaren Ebenen im Süden oder auch mit dem von Ricardo Bofill gestalteten Parque Lineal del Manzanares. Darüber hinaus wird der Bezug zwischen Stadt und Fluss wiederhergestellt, der, wenn auch nicht sehr breit, für die Geschichte Madrids bedeutsam und eines der Symbole der spanischen Hauptstadt ist.
Eine anspruchsvolle Aufgabe auch deshalb, weil das langgestreckte Gelände ansteigt und abfällt, ohne dass die umliegenden Straßen darauf Bezug nehmen. Im Viertel Arganzuela, wo der Park zu einem innerstädtischen Strand wird, liegt er auf Straßenniveau, in den meisten Abschnitten zeigen sich aber beträchtliche Höhenunterschiede und topografische Einschnitte. An diesen Stellen ist der Park nur über Rampen und Treppen zugänglich. Beim Betreten des spannungsreich von Bäumen gesäumten Weges präsentieren sich den Bürgern gezielt eingesetzte landschaftliche Einkerbungen, sodass die Spaziergänger ihr Gehtempo ändern.
Als Hauptelement zieht sich der sogenannte Salón de Pinos (Pinienraum) über die gesamte Länge des Parks. Mit seinen Tausenden von Bäumen kann er als eine kontrollierte Ausweitung der Pinienwälder verstanden werden, die die Berge nördlich von Madrid überziehen. So können, wie die Autoren des Projekts erklären, die Menschen aus dem Viertel unweit ihrer Häuser picknicken und brauchen nicht erst in die Berge hinauf zu fahren. Als Kontrast zu dem langgestreckten Weg ist die rhythmische Gliederung des Raumes durch querende Wege zu verstehen – historische Brücken und moderne Fußgängerstege, mit denen der Versuch unternommen wird, die beiden unterschied­lichen geprägten Ufer miteinander zu verbinden.
Autobahn vor der Haustür
Das zum Stadtrand gerichtete Ufer wird von einer Reihe benachteiligter Stadtviertel gesäumt. Hier verlief die Autobahn nur ein paar Meter vor der Haustür, ohne dass den Bewohnern auch nur ansatzweise Abhilfe in Form von Lärmschutzwänden geboten wurde. Jahrzehntelang waren sie Lärm und Verschmutzung ausgeliefert, sobald sie die Fenster öffneten. Dieser unterprivilegierte Rand wurde auch als „extra-río“ (jenseits des Flusses) bezeichnet. Inzwischen finden diese dicht an dicht verlaufenden Fassaden der Sozialwohnbauten ein völlig neues Ambiente vor der Haustür – ein roter Teppich à la Hollywood lädt die Bewohner in einen neu hinzugekommenen Teil der Stadt ein, einer Stadt, die ihnen bislang den Rücken zugekehrt hatte. Die vielleicht wichtigste neue Stelle ist jetzt die Verbindung mit der Casa de Campo über die Huerta de la Partida und die Avenida de Portugal. Hier enden die Wohn- und Bürobauten. Sanft abfallend öffnet sich heute ein weites Plateau mit spielerisch angelegten We­gen. Die Grenzen scheinen mit der dichten Vegetation des Campo del Moro am gegenüberliegenden Ufer und dem Bild der malerischen Fassaden des Palacio Real und der Almudena-Kathedrale zu verschmelzen. Ein neues, monumentales Szenario ist so entstanden, welches das historische Zentrum Madrids förmlich in die bisherigen Außenbereich ausdehnt.
Autobahn vor der Haustür
Auf dem linken, zum Zentrum der Stadt hin orientierten Ufer sind die Beziehungen zwischen Park und Stadt räumlich besonders komplex. Auf dieser Seite war die Stadt vor der lästigen Autobahn schon zuvor durch Gärten, Gewer­begebiete und öffentliche Infrastrukturen abgeschirmt, die ihrerseits dem Fluss den Rücken zudrehten. Grünflächen wie der Parque de Atenas oder die Jardines de Maestro Padilla, große Straßen wie der Paseo de las Yeserías oder La Chopera sowie die Konzerthalle La Riviera oder das Zentrum für zeitgenössische Kunst, das kürzlich auf dem Gelände des Mata­dero, des früheren städtischen Schlachthauses, angelegt wurde, sollen hier in naher Zukunft zu Teilen des Gesamtprojekts an der M30 zusammengefügt werden; das Landschaftsprojekt ist auch heute nicht abgeschlossen, sondern der Motor einer langfristigen Stadterneuerung und damit beispielhaft für die Sanierung weiterer Bereiche der Stadt. Gebiete mit bisher ungewisser Zukunft, wie zum Beispiel eine Reihe von Industriebrachen oder das Estadio Vicente Calderón sind Bestandteil dieser Strategie.
Zweifellos ist der Park ein Prestigeprojekt für die Stadt und ihren Bürgermeister. Die Kosten allein für die Untertunnelung betrugen vier Milliarden Euro, mit insgesamt 48 Kilometern Länge ist das größte innerstädtische Tunnelsystem Europas entstanden. Die Sanierung der Flussufer mit den neuen Parklandschaften wurde auf weitere 100 Millionen veranschlagt. Auf der konkreten Ebene hat man in vielen Meetings die Bewohner  der bis dato benachteiligten Stadtteile nach ihren Wünschen gefragt. 33 Fußgängerbrücken wurden gebaut, respektive saniert. Vor allem aber ging es um die Schaffung neuer Erholungsorte in einem Teil der Stadt, der bisher nichts davon zu bieten hatte.
In Spanien existiert eine Reihe von Beispielen für die Modernisierung bisher nicht- oder industriell genutzter urbaner Flussufer, zum Beispiel in Valencia, Saragossa oder Bilbao. Die Transformation an der M30 allerdings stellt mit einer Größe von beinahe 110 Hektar – das entspricht ziemlich genau der Fläche des Parque del Retiro – ein beispielloses Vorhaben dar. Das betrifft auch die großräumliche Verbindung von bewaldeten Zonen, Grünflächen, historischen Gärten und existierenden Stadtparks, die zu einer beispiellosen landschaftsarchitektonische Infrastruktur zusammengefügt wurden. Mit dem Projekt hat sich die Stadt nach Süden und Westen gewendet, die Stadtstruktur erneuert und den Manzanares zu einer neuen, bewohnbaren Achse gemacht – Madrid und sein Fluss gehören wieder zusammen.
Übersetzung aus dem Englischen: Christian Rochow



Fakten
Architekten Burgos & Garrido Arquitectos, Madrid, MRIO, WEST 8, Rotterdam
aus Bauwelt 36.2011

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