Besucherzentrum Archäopark Vogelherdhöhle
Das Erste Haus 2015: Preisträger
Text: Ritter Jokisch
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Das Besucherzentrum ist Ausgangspunkt des Rundgangs durch den archäologischen Park
Foto: Brigida Gonzalez
Das Besucherzentrum ist Ausgangspunkt des Rundgangs durch den archäologischen Park
Foto: Brigida Gonzalez
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Kilian Jokisch, Olga Ritter
Kilian Jokisch, Olga Ritter
Die Vogelherdhöhle bei Niederstotzingen im Lonetal der Schwäbischen Alb gehört zu den wichtigsten Fundplätzen des Jungpaläolithikums in Europa. Hier fanden Archäologen der Universität Tübingen in den 1930er Jahren und bei Nachgrabungen seit 2006 mehrere kleine, bis zu 40.000 Jahre alte Tierskulpturen aus Mammutelfenbein. Sie gehören zu den ältesten erhaltenen Kunstwerken der Menschheit. Um einige der Funde in unmittelbarer Nähe des Grabungsortes ausstellen zu können und die Lebenswelt des Aurignaciens, das Zeitalter ihrer Entstehung, erlebbar zu machen, lobte die Stadt Niederstotzingen in Zusammenarbeit mit dem Städtebau-Institut der Universität Stuttgart im April 2011 eine Mehrfachbeauftragung zur Vorentwurfsplanung eines Besucherzentrums einschließlich Ausstellungsszenografie aus. Der nun realisierte Entwurf wurde von dem Gutachtergremium einstimmig zur weiteren Beauftragung empfohlen.
Das Besucherzentrum
Das neue Ausstellungsgebäude liegt 200 Meter südöstlich der Höhle in einer Talsenke. Die Vernetzung von Ausstellungsflächen und Umgebung steht im Vordergrund der Gestaltung. Das Gebäude ist als landschaftliches Element konzipiert, das sich ins Lonetal einfügt. Seine typologische Eigenständigkeit und raumbildende Wirkung entwickelt der Baukörper im Zusammenspiel von Topografie und Wegeführung. Die Ausstellungsfläche ist in einen sich sanft aus dem Gelände erhebenden, sichelförmigen Graswall eingebettet, der sich zum Vogelherdhügel hin öffnet. Der zentrale Platz im Inneren des Walls dient als Ausgangspunkt für den Rundweg durch den Park und zur Höhle. Großformatige boden- und deckenbündige Verglasungen zu diesem Hof lassen Innen- und Außenraum ineinander übergehen. Das Panorama des Vogelherdhügels begleitet die Besucher durch Foyer, Cafeteria und Ausstellungsräume. Das Gebäude aus Sichtbeton ist Teil der Topografie und Referenz an den Fundort der Kunstwerke.
Die Ausstellung
Im Eingangsbereich der Ausstellung befinden sich zwei von der Decke abgehängte satinierte Plexiglasschalen, die auf der Innenseite mit den wichtigsten Informationen zu Ort und Zeit bedruckt sind. Auf der Rückwand des Eingangsbereiches wird in einem Animationsfilm ein Überblick über die erdgeschichtlichen Zeitalter und die Entstehung des Lonetals gegeben. Einer Rampe folgend, gelangen die Besucher in einen höhlenartigen Raum. Hier werden zwei der originalen Fundstücke, darunter das einzig vollständig erhaltene Stück, ein 3,5 cm kleines Mammut, präsentiert. Diese Funde sind das Herzstück der Ausstellung. Eine Projektion zeigt als Close-up die Entstehung einer Elfenbeinskulptur. Letzte kontemplative Station vor dem Parkbesuch ist das Auditorium. Vor der Kulisse des Vogelherdhügels befindet sich eine zur Wand hin ansteigende Reihe von Sitzstufen. Hier können die Besucher aus mehreren kurzen, anekdotischen Hörgeschichten zu eiszeitlichen Themen auswählen und beim Zuhören das Treiben auf dem Platz beobachten.
Der Park
Auf dem Weg sein heißt, aufmerksam sein, die Umwelt wahrnehmen. Auf den Weg zur Höhle tauchen in unregelmäßigen Abständen mit Fragen beschriftete Eichenholzbohlen auf. Sie beschäftigen sich mit Thesen der Paläontologie und der Anthropologie und laden zum inneren Dialog. Wissenschaftliche oder philosophische Hinweise findet man links und rechts des Weges auf schwarzen Kautschukblöcken. An fünf, um eiszeitliche Feuerstellen angeordneten Themenplätzen lassen sich Feuerschlagen, Zeltbau oder Speerwerfen erproben. Höhepunkt des Rundweges ist jedoch die Erkundung des Originalschauplatzes, der Vogelherdhöhle selbst.
Olga Ritter, Kilian Jockisch, der Auftrag für das Besucherzentrum Archäopark Vogelherd ging aus einem Wettbewerb hervor. Wie ist Ihnen die Teilnahme gelungen – war es ein offener Wettbewerb, oder mussten Sie sich bewerben?
Alle Teilnehmer wurden vom Betreuer des Verfahrens, dem Lehrstuhl für Städtebau und Entwerfen der Uni Stuttgart, vorgeschlagen.
Trat Ihnen Ihr Bauherr offen oder eher skeptisch gegenüber?
Wir hatten eine gute Ausgangsposition, denn das Gutachtergremium, dem auch der Bürgermeister angehörte, gab eine einstimmige Empfehlung der Arbeit ab.
Hat sich Ihr Wettbewerbsentwurf noch weiter entwickelt, oder konnten Sie ihre Arbeit quasi ohne Abstriche realisieren?
Einiges musste auf Grund des Kostendrucks umgeplant werden. Gewölbte Decken wurden begradigt, die ursprünglich frei auskragende Konstruktion wurde mit Stahlstützen in der Fassadenebene unterstützt. Für den Winterbetrieb mussten Cafeteria und Kassenbereich zusammengelegt und zum öffentlichen Bereich geöffnet werden. Die Ausstellungsräume und die Gesamtgeometrie blieben allerdings unverändert.
Was war das größte Hindernis der Realisierung?
Die meisten Schwierigkeiten standen mit der Finanzierung in Zusammenhang. Ein EU-Mittel-Förderantrag „zur Stärkung des ländlichen Raumes“ war Grundlage der Planung. Durch die in diesem Antrag festgeschriebenen Bauwerkskosten musste jeder Quadratmeter gebauter Fläche hinterfragt und jede Verteuerung an anderer Stelle kompensiert werden.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den Fachplanern?
Die Begeisterung, ein kleines Projekt mit hohen inhaltlichen und gestalterischen Anforderungen aber sehr knappem Budget zu unterstützen, war unterschiedlich ausgeprägt. Als Bereicherung haben wir die gemeinsame Entwicklung der Szenografie mit den Künstlern Lutzenberger und Lutzenberger und die Zusammenarbeit mit den Archäologen von der Uni Tübingen empfunden.
Wenn Sie aufs Studium zurückblicken, gibt es Lehrinhalte, die Ihnen in der Praxis fehlen?
In unserer Ausbildung fehlte die analytische Betrachtung von Entwurfsmethodik und die Anleitung, die richtigen Fragen zu stellen. In dieser Hinsicht waren die ersten Jahre Berufserfahrung die bessere Ausbildung. Es mag paradox scheinen, aber gerade durch die ständig wachsenden technischen, wirtschaftlichen und koordinativen Anforderungen an Architekten halten wir das Hinterfragen des Berufsbildes und der Motivation der Studenten für besonders wichtig.
Haben Sie schon Gelegenheit gefunden, die bei diesem Projekt berührten architektonischen Fragen weiter zu verfolgen?
Die Themen, die uns bewegen, sind nicht ursprünglich architektonischer Natur. Die Möglichkeit, in andere Disziplinen einzutauchen, betrachten wir als Motor unserer Entwicklung und als Privileg dieses Berufs. 2014 haben wir an mehreren Wettbewerben teilgenommen, darunter waren ein Haus der Katholischen Kirche, die deutsche Botschaft in Kairo und die Erweiterung der „Dokumentation Obersalzberg“. Momentan arbeiten wir an Büroumbauten in München und Frankfurt und an einem Wettbewerb für ein Wohn- und Geschäftshaus in München.
Was ist das größte Hindernis, um sich als Architekt in Deutschland selbstständig zu machen?
Die größte Herausforderung scheint derjenige auf sich zu nehmen, der sich am ernsthaftesten mit seiner Aufgabe auseinandersetzt. Wir wünschen uns eine größere Anzahl offener Wettbewerbe und mehr Transparenz bei öffentlichen Verfahren. Dies würde nicht nur den jungen Büros zu einer besseren Startposition verhelfen, sondern auch den Architekturdiskurs hierzulande bereichern.
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