Bauwelt

Die Architekturschule



Text: Chacou-Othmani, Mariam, Algier


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Oscar Niemeyer hatte in Algieren zahlreiche Projekte. Die Ecole Polytechnique d’Architecture et d’Urbanisme von Algier (heute Ecole Nationale Supérieure d’Architecture E.N.S.A.) wurde in Teilen nach seinen Plänen errichtet. Sie liegt in der Nähe der von ihm gebauten Universität. Die „schwebenden Dächer“ über den Wegen kann man heute nur erahnen.
Freiheit war das große Leitmotiv für die Arbeiten von Oscar Niemeyer, eine Freiheit, die sich in allen seinen architektonischen Gesten wiederfindet. Sie ist auch die Grundlage seines gesamten Denkens. Und eben diese Auffassung vermittelte der Architekt dem Staatspräsidenten Boumediene, der ihn in den sechziger Jahren auch mit dem Entwurf für die Ecole Polytechnique d’Architecture et d’Urbanisme d’Alger (EPAU) betraute. Die 1970 eröffnete EPAU entstand auf einem Areal, das zuvor vom Institut National d’Agronomie genutzt wurde. Es gehört zum Hochschulkomplex von Beaulieu el Harrach, der bei der Osterweiterung von Algier entstand.
Ursprünglich wurde Architektur in Algerien, wie in den meisten anderen Ländern auch, nur an den Kunstakademien gelehrt. Doch mit der Unabhängigkeit des Landes gliederte man die Disziplin aus den Akademien aus, um den Lehrplan mit dringend für notwendig erachteten technischen Fächern erweitern zu können. Folgerichtig wurde die EPAU als Politechnikum konzipiert, als eine Hochschule, die die Ingenieurwissenschaften in die Ausbildung der Architekten einbezog. Oscar Niemeyers Entwurfskonzept übersetzte diese technikorientierte Ausrichtung in Gebäude mit architektonisch gewagten Konstruktionen. Ein Beispiel hierfür ist die Überdachung der zentralen Allee (Allée Aoudjhane) vom Campusder EPAU, deren flaches Dach mit großer Spannweite über „Haken“ aus Beton in das Dachtragwerk der Zeichensäle ein-gehängt war. Leider mussten später Rundstützen ergänzt werden. Die ursprüngliche Idee ist nicht mehr wahrnehmbar (Fotos Seite 22).
Atelier unique
Das Nutzungsprogramm, das Oscar Niemeyer für die Schule vorschlägt, besteht aus einem einzigen, sehr großen Saal, dem „Atelier unique“. In diesem Saal, der von einer Allee flankiert wird, befinden sich nach oben offene gläserne Innenhöfe. Nur sie gliederten den Raum. Heute ist der Saal in einzelne Ateliers unterteilt und die ursprüngliche Raumidee kaum noch er-fahrbar. Ergänzend schlug der Architekt einen Verwaltungskomplex für die Hochschulleitung vor. In diesem Gebäuderiegel, er liegt gegenüber den Ateliers entlang der Allee, sind heute die IT-Abteilung und der Laden der Hochschule untergebracht. Der Entwurf umfasste außerdem drei Hörsäle, von denen der dritte nie fertiggestellt wurde. Lediglich Armierungseisen bezeugen diese Planung. Die halb in die Erde eingelassenen zylindrischen Hörsäle erinnern an die „Grand et Petit Volcan“ aus dem Entwurf für das Kulturzentrum in Le Havre, die kurze Zeit nach dem Bau der Architekturschule, (1972–82), realisiert wurden (Bauwelt 45.2005).
Befasst man sich näher mit dem Werk von Oscar Niemeyer wird deutlich, dass er kein neues Konzept für die EPAU entwickelt hatte. Er wiederholte vielmehr seinen Entwurf für das CEPLAN (Centro de Planificação) in Brasilia. „Eine einfache und kostengünstige Konstruktion mit Innenhöfen, die in Brasilia“, so Niemeyer, „seit mehr als zehn Jahren gut funktioniert und die von allen wegen ihrer besonderen Atmos-phäre, dem vertraulichen Miteinander ... geschätzt wird.“ Wenn man die Bilder aus Brasilia betrachtet, wird die große Ähn-lichkeit deutlich. Zwar wurden nicht alle Details des CEPLAN übernommen, aber es fällt nicht leicht, die vorgespannten Stahlträger in den Ateliers oder die verglasten, mit Kletterpflanzen überwucherten Innenhöfe den jeweiligen Bauten zuzuordnen.
Studiert man die Skizzenbücher von Niemeyer, wird deutlich, dass bei der Bauausführung die Anweisungen des Architek-ten nicht selten missachtet wurden. So wird etwa die Überdachung der Hauptallee nicht, wie im ursprünglichen Entwurf vorgesehen, als plane Fläche, sondern als in zwei Richtungen geneigtes Dach ausgeführt. Auch wurden im Verwaltungsgebäude, das im Kontrast zu den Ateliers und Hörsälen ursprünglich vollverglaste Erker erhalten sollte, vorgefertigte Fassadenelemente verbaut, die nur in der oberen Partie kleine Fenster aufweisen.
 „Station Naftal“
Etwa um 1978 erfolgte eine erste Erweiterung der EPAU durch den Architekten und Dozenten Jean Jacques Deluz. Sie umfasste den Bau eines Verwaltungskomplexes. Heute liegen hier die Unterrichtsräume der Abschlussklassen, eine Bibliothek und weitere Entwurfsstudios. Hinzu kamen auch zwei Gebäude mit Seminarräumen für das CRAU (Centre de Recherche en Architecture et Urbanisme), in denen jetzt die Forschungs- zentren für Denkmalschutz und für Nachhaltige Städteplanung untergebracht sind. 1999 realisierte das Bauingenieurunternehmen BEREG einen weiteren Verwaltungsbau und ein Lehrgebäude mit drei Hörsälen. 2004 folgte die Neugestaltung der Zone zwischen den Bauten von Niemeyer und Jean Jacques Deluz. Es entstand ein überdachter Platz für Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen, den die Studenten spöttisch „Station Naftal“ tauften – die große Ähnlichkeit des Baus mit Algeriens Standardtankstellen ist nicht zu übersehen. Derzeit noch in Planung ist ein Neubau für fünf weitere Forschungsgruppen, für den wir von der Architekturschule uns ein umweltneutrales Klimakonzept wünschen. 
Aus dem Französischen von Agnes Kloocke



Fakten
Architekten Niemeyer, Oscar,(1907-2012)
aus Bauwelt 27.2013
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