Bauwelt

Die sicherste Villa Polens



Text: Piątek, Grzegorz, Warschau


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Die Villa vor den Toren von Warschau lässt den Betrachter zunächst erstarren. Sie wirkt wie eine abweisende Festung mit einer Sicherheitsschleuse als Entree. Der Architekt Robert Konieczny sieht es anders, denn viele Teile des Blocks lassen sich großzügig öffnen. Alles nur Staffage?
Wohnhäuser, die ihre Innenräume völlig von der Straße abschirmen, sind keine neue Idee. Dies war bereits beim römi­schen Atriumhaus der Fall. Bei der Villa des Architekten Robert Konieczny wurde das Isolationsbedürfnis jedoch auf die Spitze getrieben. Der Bauherr, dessen Name nicht genannt wird, wollte sich möglichst sicher fühlen, und so hat der Architekt, der in Polen für seine maßgeschneiderten Entwürfe bekannt ist, dieses Bedürfnis mit vollem Ernst behandelt. Er ordnete sogar das gesamte Konzept des Gebäudes der sonderbaren Besessenheit des Bauherrn unter und erzielte so ein einzigartiges, hyperrationales Ergebnis.
Sperrholz
Der Gebäudeblock, ein einfacher Kubus, wurde am Rande einer Wiese in einem nur locker mit simplen kubischen Wohnhäusern der sechziger Jahre bebauten Warschauer Vorort errichtet. Die Fassade, die Umzäunung sowie die „Fensterläden“ bestehen aus den gleichen Materialien – imprägnierte, eingefärbte Erlen-Sperrholzplatten bzw. zementgebundene Spanplatten, die ein Pendant zum geschwärzten Holz der in der Nachbarschaft zu findenden Stallgebäude darstellen sollen. Die Platten verkleiden eine leichte, mit Mineralwolle gedämmte Stahlfachwerkkonstruktion. Die Straßenfassade hat keine Fenster. Es gibt nur eine mit der Wandfläche bündige Eingangspforte und eine Garageneinfahrt. Die Seitenfassaden sind offen, können aber auf Knopfdruck mit verschiebbaren Platten verschlossen werden. Nach dem Einfahren der Gebäudeteile entsteht innerhalb von nur einer halben Minute ein kompaktes, nicht zu durchdringendes Volumen. Die Gartenfassade ist zwar komplett verglast, kann aber auch verschlossen werden. Dazu dient eine speziell angefertigte, 14 Meter breite und sechs Meter hohe Metallrollade, die normalerweise bei Garagentoren oder Lagerhallen eingesetzt wird. Bei der vom Eigentümer auch als Projektionswand für Filme genutzten Fläche kursierte in der Nachbarschaft lange das Gerücht, dass sie von einem Hersteller angefertigt wurde, der auch für das Militär, die Flugzeugindustrie und sogar für die NASA arbeitet. Inzwischen steht fest, dass es sich um die Firma Günther aus Neunkirchen im Westerwald handelt, die „innovative Premiumtore“ herstellt.
Die Ziehbrücke
Von der Straße aus ist das Haus durch eine dunkelgraue Mauer, ebenfalls aus Sperrholz, abgetrennt. Zwischen der Umfriedung und dem Gebäude befindet sich eine Art Schleuse. Dort wird der Besucher vor dem Betreten des Hauses, bis sich der Eigentümer vergewissert hat, wer da vor der Tür steht, angehalten. Nachdem die Eingangspforte an der Straße passiert ist, betritt die „zu prüfende Person“ die Schleuse und wartet, bis sie ins Haus eingelassen wird. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass die im Garten spielenden Kinder nicht unbeaufsichtigt auf die Straße gelangen. Denn diese Zone wird auf der Ost- und Westseite von zwei beweglichen Hauswänden mit einer Länge von 15 bzw. 22 Metern und einer Höhe von 2,2 Metern definiert. Ein weiterer Mechanismus, der die Atmosphäre einer auf eine Belagerung vorbereiteten Festung noch erheblich steigert, ist die kleine Ziehbrücke, die zugleich als Wandfragment dient. Sie verbindet das Obergeschoss des Wohnhauses mit der Dachterrasse des nebenstehenden niedrigen Pavillons mit einem Swimmingpool.
Auch mit Blick auf die Ziehbrücke gewinnt man den Eindruck, dass die Sicherheit des „Sicher-Hauses“ vor allem symbolisch gemeint ist. Sie hat einen psychologischen Wert für den Eigentümer. Die Regel, nach der das Haus funktioniert, ähnelt dem aus amerikanischen Aktionsfilmen bekannten panic room. Darunter ist ein Raum zu verstehen, der mit allem zum Überleben Nötigen ausgestattet ist. Die belagerte Person kann sich verbarrikadieren, gut geschützt auf Bildschirmen die Ereignisse draußen verfolgen und auf Hilfe warten. In diesem Falle muss das gesamte Haus nebst Umgebung als ein panic room verstanden werden. Überlegenswert ist, ob das festungsartige Gebäude in Wirklichkeit eine entgegengesetzte Wirkung erzeugt. Ist es nicht wie bei einem schwarzen SUV mit verdunkelten Fenstern, der theoretisch den Insassen nur ein Maximum an Sicherheit und Distanz suggerieren soll? Die Gestalt des Hauses schreit jedoch viel mehr: Mein Besitzer ist reich! Entführ’ ihn und fordere Lösegeld!
Die zu öffnenden Fassadenelemente und die bewegli­chen Mauern konnten nicht aus Beton oder Stahl gefertigt werden. Hätte der Architekt diese Materialien verwendet, wären diese mobilen Elemente zu schwer, um sie zu bewegen. Die deutlich leichtere Sperrholz-Konstruktion ist somit gar keine Panzer-Karosserie, sie bietet nur begrenzt Schutz. Sie kann das Private vor Neugierigen (diese werden auch weiterhin bestimmt nicht fehlen) oder ungefährlichen Eindringlingen schützen, verwandelt die Villa aber nicht in eine unbezwingbare Festung. Das Haus ist somit eine Inszenierung. Es erinnert mit der Blickweise des Architekten auch an etwas ganz anderes, auf das man erst einmal kommen muss: an Prozesse, die in der Natur stattfinden, an eine im Tag-Nachtzyklus funktionierende Pflanze.



Fakten
Architekten Robert Konieczny, Kattowitz
aus Bauwelt 44.2010
Artikel als pdf

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