Bauwelt

Dokumentationszentrum der Stiftung Topographie des Terrors



Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Christian Gahl

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Der Neubau von Heinle, Wischer und Partner hat seinen Dienst angetreten. Nach drei Jahrzehnte der Diskussion ist etwas Dauerhaftes auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände entstanden – kein Grund zur Zufriedenheit.
Am 6. Mai wird der Bundespräsident zur Eröffnung erwartet. Vier Wochen vorher zeigt sich das Gelände an Wilhelm- und Niederkirchnerstraße, das als „Topographie des Terrors“ bekannt ist, wohl zum letzten Mal in einer Form, die Berlin seit Jahrzehnten gewohnt ist: als große Baustelle. Da kommt Wehmut auf. Könnten nicht Planstellen für einige Baggerfahrer
geschaffen werden, die hier ganzjährig Abraum bewegen, einfach nur so, hin und her und wieder zurück? Damit wenigstens ein Hauch jener grotesken Stimmung übrig bleibt, die diesen Ort lange Zeit zu etwas Besonderem gemacht hat? Denn mit der finalen Gestaltung des Geländes und der Eröffnung des Dokumentationszentrums ist diese von dynamischer Stagnation geprägte Phase vorüber. Die jüngste Schicht liegt wie eine Bleidecke über der 4,5 Hektar großen Diskussionsfläche.

Am Ende kommt der Bundespräsident

Nach 1945 hat eine Generation versucht, jenen Ort zu vergessen, an dem der NS-Staat ab 1933 seinen Repressionsapparat ausbaute. Weder durch Zertrümmerung noch durch Überschreibung oder Verschiebung der übrig gebliebenen Materie gelang dies. Dann kamen die engagierten Bürger. Seit Ende der siebziger Jahre arbeitete sich die nächste Generation daran ab, den Ungeist dieses belasteten, wüst gefallenen Ortes zu markieren. Auch das misslang. Ein nicht begonnener Entwurf von 1983 (Wenzel/Lang) und ein nicht zu Ende gebrachter Entwurf von 1993 (Zumthor) stehen zu Buche. Zwischendurch kamen Provisorien und Interimslösungen. Sie gehörten wohl zum Sinnvollsten, was an diesem Ort passierte, der da­mit ein Ausgangspunkt für Architekturdiskussionen blieb, die immer das Selbstverständnis der Gesellschaft umkreisten – der alten Bundesrepublik, um genau zu sein. Zudem stellte der Umgang mit der „Topo“ ein ergiebiges Vorbild für die alternative Geschichtswissenschaft dar. Und nun soll hier das deutsche Staatsoberhaupt vorfahren und vielleicht auch noch ein Band durchschneiden?
Der Bund führt seit dem Abbruch des Zumthor-Projekts 2004 das Baukommando an der Niederkirchnerstraße, nichtdas in dieser Angelegenheit oft unglücklich agierende Land Berlin. Knapp 16 Millionen Euro waren bereits verbaut und wieder abgerissen, als die „Basta!“-Politik durchgriff, um die verfahrene Situation zu lösen. Sie klang noch fünf Jahre später in der Richtfest-Rede des Staatssekretärs Engelbert Lütke Daldrup durch: „Das Zentrum wird dazu beitragen, dass wir nie vergessen, was hier geschah, damit sich etwas Ähnliches nie und nirgendwo in der Welt wiederholen kann.“
So nachvollziehbar die Entscheidung war, den Stiftungsmitarbeitern für ihre verdienstvolle Arbeit endlich angemessene Arbeits- und Ausstellungsbedingungen zu schaffen, so bedauerlich ist die damit einhergehende Simplifizierung der überaus vielschichtigen Situation. Das Gebäude selbst sollte qua Wettbewerb eine einzige Negation werden, die Architekten drücken es so aus: Es „will nicht Mahnmal sein“, „will nicht der Interpretation dienen“, „will nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken“, es „nimmt bewusst keine Kanten frühe­rer Bebauungen oder Straßenfluchten auf“. Das Anliegen der Architektur sei es hingegen, „die besten baulichen Bedingun-gen zu schaffen“, und zwar für das Vermitteln und Lernen. Die bestellten Flächen zu umbauen ist den Architekten gelungen, aber nichts auszudrücken, das eben nicht. Diese wunderliche Mischung aus Dienst nach Vorschrift und Verweigerung wurde 2005 in der Auslobung des dritten Wettbewerbs verlangt, und sie hat sich hier ganz folgerichtig materialisiert.
Vergleicht man die Grundrisse des Siegerentwurfs mit den Ausführungsplänen, fällt diese Haltung schnell ins Auge: eine quadratische Grundfläche von 54 x 54 Meter, unterteilt in neun Quadranten à 18 x 18 Meter, der mittlere davon als Lichthof ausgestanzt. Das Raumprogramm blieb frei disponibel wie auf einem Blatt Karopapier. Hier konnte der Nutzer nachträglich noch verschieben, was ihm nicht passte. Es erinnert an die jahrelang erprobte Bestückung des Geländes mit Containern, die je nach Raumbedarf kombiniert und positioniert werden konnten. So etwas prägt.
Weitere Motive aus zurückliegenden Phasen sind in das neue Gebäude diffundiert. Zum Beispiel das Sockelgeschoss: Jenes „In-die-Tiefe-gehen“, wie es die Architekten bezeichnen, war schon im ersten provisorischen Pavillon von 1987 angelegt, der auf den zufällig gefundenen Grundmauern ei­nes untergeordneten Küchengebäudes stand (siehe Seite 28). Das neue Untergeschoss dient der Nachbereitung und der Forschungsarbeit, bleibt also denjenigen vorbehalten, die es genauer wissen wollen. Hier unten könnte sich vielleicht die Ruhe finden lassen, die oben, im Ausstellungsgeschoss, bei erwarteten 500.000 Besuchern pro Jahr, fehlen wird. Oder zum Beispiel die Fassade: Der leicht wirkende Vorhang aus Aluminiumröhrchen darf wohl als Spurenelement von Peter Zumthors letztlich unbetonierbarer Stabwerkstruktur gelesen wer­den. Jegliche Himmelsrichtung ignorierend, filtert er das Licht allseitig auf ein und dieselbe Weise – der verglaste Hof wird dadurch nahezu blickdicht – und verzichtet darauf, Akzente zu setzen. Der Ausblick auf das Gelände, eigentlicher Zweck des Baus, wird durch das flimmrig-feinmaschige Netz eher gestört als gelenkt.
Was sagt uns ein Gebäude, das nichts aussagen will? Ich verstehe es als Versuch der Befriedung und als Erstarrung; andere, etwa die hergeführten Schulklassen aus ganz Europa, mögen das anders sehen. Bleibt uns als letzter historischer Zufall in dieser neuen deutschen Übersichtlichkeit womöglich nur noch die Person des Stiftungsdirektors? Andreas Nachama sitzt heute an dem Ort, von wo aus veranlasst wurde, dass seine Vorfahren 1943 aus Thessaloniki deportiert wurden. Sein Vater überlebte Auschwitz und den Todesmarsch, ließ sich nach der Befreiung in Berlin nieder, wo sein Sohn zur Welt kam, Historiker, Publizist und Rabbiner wurde und heute das Aufklärungsgeschäft leitet.
 



Fakten
Architekten Heinle, Wischer und Partner, Berlin
aus Bauwelt 16.2010

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