Eigentum in der Werkssiedlung
Text: İlk, Çağla, Berlin; Pressel, Dietrich, Siegen; Schwalbach, Gerrit, Siegen
Die "Thyssen-Siedlung" in Remscheid ist eine der vielen Werkssiedlungen, die im vergangenen Jahrzehnt privatisiert worden sind. Die multiethnische Bewohnerschaft bringt neues Leben in ein Ensemble, das bereits aus der klassischen immobilienwirtschaftlichen Verwertungskette herausgefallen war.
Die „Thyssen-Siedlung“ in Remscheid ist eine der vielen Werkssiedlungen in Deutschland, die im vergangenen Jahrzehnt privatisiert worden sind. Die drei- bis viergeschossige Zeilenbebauung aus den dreißiger Jahren, die nach Kriegszerstörungen zum Teil wieder aufgebaut wurde, gehörte bis 2003 zum Bestand der Gemeinnützigen Kleinwohnungs-Baugesellschaft Remscheid. Diese bot Ende der neunziger Jahre die unsanierten Wohnungen zunächst den Mietern zum Kauf an. Da jahrelang keine Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen mehr durchgeführt worden waren, konnte keine einzige Wohnung an einen Mieter verkauft werden. Besonders eklatant waren, wegen drückenden Wassers, nasse Wände in den Kellergeschossen. Fachleute empfahlen schließlich den Abriss der heruntergewirtschafteten Siedlung.
Im Jahr 2003 kaufte ein Immobilienhändler 25 Mehrfamilienhäuser der Siedlung und verkaufte die Häuser einzeln und im unsanierten Zustand gezielt an Familien mit Migrationshintergrund weiter. Dafür wurde im Stadtviertel ein Verkaufsbüro eingerichtet, in dem sich Interessenten auch in türkischer Sprache beraten lassen konnten. Die Käufer setzten die Häuser instand und trugen damit nicht nur zur Erhaltung des baulichen Erbes, sondern auch zur sozialen Stabilisierung in einem Stadtteil bei, der von starker Fluktuation und dem Wegzug der Bewohner gekennzeichnet ist. Vor der De-Industrialisierung wohnten viele Mitarbeiter des nahegelegenen Stahlwerkes im Arbeiterviertel Rosenhügel. Heute hat von den 4000 Bewohnern die Hälfte einen Migrationshintergrund, etwa ein Drittel sind Nichtdeutsche. Im Jahr 2002 wurde das Gebiet in das Programm „Soziale Stadt“ aufgenommen und bekam ein Quartiersmanagement.
Die neuen Eigentümer entschieden sich aus einer Vielzahl von Gründen für einen Hauskauf an diesem Ort, wegen des günstigen Preises, der innenstadtnahen, gut angebundenen Lage, wegen der Nähe zu Freunden und Familie und nicht zuletzt wegen der Möglichkeit, Wohnungseinheiten zusammenzulegen und dadurch mit mehreren Generationen in einem Haus wohnen zu können. Die Gebäude wurden von den Besitzern vorrangig in Eigenleistung saniert. Ihre informellen baulichen Eingriffe sind marginal, aber doch als Überformungen der Fassaden aus den dreißiger Jahren zu erkennen. Teils sind neue Nutzungstypologien sichtbar: Größere Fensteröffnungen mit Balkontüren bilden die Grundrissänderungen nach außen ab. In einigen Häusern wurden die Dächer angehoben, um Wohnraum im ehemaligen Trockenboden zu schaffen. Viele Käufer haben den Umfang der notwendigen Sanierungsleistungen unterschätzt, zumal vor dem Kauf keine Fachgutachten zum Erhaltungszustand eingeholt oder professionelle Planer beauftragt wurden.
Die Eigentumsbildung und ihre Bautätigkeit hat den türkischen, italienischen und russischen Familien in den letzten Jahren Anerkennung auch bei den Nachbarn „ohne Migrationshintergrund“ eingebracht. Sie nehmen die Kaufentscheidung, die Instandsetzungsleistungen und die oft informelle Raumaneignung der neuen Eigentümer positiv wahr und können sich mit der instandgesetzten Siedlung heute gut identifizieren. Die multiethnische Bewohnerschaft bringt neues Leben in ein Gebäudeensemble, das bereits aus der klassischen immobilienwirtschaftlichen Verwertungskette herausgefallen war.
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