Erste-Bank-Campus in Wien
Die Architektur des Hauptquartiers einer großen Bank mit Sinnlichkeit und sogar Emotionalität zu verknüpfen, erscheint aberwitzig. Dass die beiden weichen Begriffe beim Erste-Bank-Campus in Wien zutreffen, ist der klaren Konzeption von Henke Schreieck Architekten zu verdanken. Auch für den Arbeitsplatz der Zukunft setzt der jüngste Exponent Wiener Architektur neue Maßstäbe
Text: Kasiske, Michael, Berlin
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Die Form der Baukörper ergab sich aus zwei Prämissen: Die Zugangsebene sollte öffentlich erreichbar sein und den Büros sollte ein Bezug zum benachbarten Freiraum geboten werden.
Foto: Werner Huthmacher
Die Form der Baukörper ergab sich aus zwei Prämissen: Die Zugangsebene sollte öffentlich erreichbar sein und den Büros sollte ein Bezug zum benachbarten Freiraum geboten werden.
Foto: Werner Huthmacher
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Die offenen, bepflanzten Höfe gliedern das Atrium. Sie werden teilweise von einer Galerieebene umgeben.
Foto: Werner Huthmacher
Die offenen, bepflanzten Höfe gliedern das Atrium. Sie werden teilweise von einer Galerieebene umgeben.
Foto: Werner Huthmacher
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Unter dem Garten liegt das alles verbindende, 4000 m2 einnehmende Atrium mit eingefügten unterschiedlchen Sondernutzungen
Foto: Werner Huthmacher
Unter dem Garten liegt das alles verbindende, 4000 m2 einnehmende Atrium mit eingefügten unterschiedlchen Sondernutzungen
Foto: Werner Huthmacher
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Für die unterschiedlichen Bürokonzepte wurden die Berliner Architekten Kinzo beauftragt; Beispiel mit frei im Raum stehenden Büroboxen mit Steh- oder Sitz-Arbeitsplätzen.
Foto: Werner Huthmacher
Für die unterschiedlichen Bürokonzepte wurden die Berliner Architekten Kinzo beauftragt; Beispiel mit frei im Raum stehenden Büroboxen mit Steh- oder Sitz-Arbeitsplätzen.
Foto: Werner Huthmacher
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Äußere Galerieebene des Auditoriums
Foto: Werner Huthmacher
Äußere Galerieebene des Auditoriums
Foto: Werner Huthmacher
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Im Gebäudekomplex sind 4620 Desk-Sharing-Arbeitsplätze für rund 5000 Mitarbeiter untergebracht. Gewünscht war eine haptisch erfahrbare Struktur der Textilien in den wohnlichen Sitzgruppen.
Foto: Werner Huthmacher
Im Gebäudekomplex sind 4620 Desk-Sharing-Arbeitsplätze für rund 5000 Mitarbeiter untergebracht. Gewünscht war eine haptisch erfahrbare Struktur der Textilien in den wohnlichen Sitzgruppen.
Foto: Werner Huthmacher
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Die Vorstandsetage im 11. Obergeschoss und das Executive Meeting Geschoss im 12. Obergeschoss mit der durchgehenden, sehr leicht wirkenden Lärchenholz-Fensterfront
Die Vorstandsetage im 11. Obergeschoss und das Executive Meeting Geschoss im 12. Obergeschoss mit der durchgehenden, sehr leicht wirkenden Lärchenholz-Fensterfront
Formal mit Konventionen zu brechen, materiell die gewohnten Sinne anzusprechen, hat Tradition in der österreichischen Hauptstadt. So taten es weiland Adolf Loos mit dem Michaelerhaus, Josef Frank mit dem Haus Beer und Hans Hollein mit dem Kerzengeschäft Retti. In dieser Folge formulierten Dirk Henke und Marta Schreieck, die in Wien studiert haben und dort seit 1982 ein gemeinsames Büro betreiben, eine Konzeption für die Zentrale der Ersten Bank, die einen befremdenden Städtebau mit der einer erstaunlich vertraut wirkenden Innenausstattung verbindet.
Das Grundstück besetzt die der Stadt zugewandte Nordostecke des Belvedereviertels. Der neue Gewerbestandort liegt auf einem Teil des einstigen Südbahnhofs. Der zweifache Kopfbahnhof und seine umfangreichen Frachtumschlagsflächen sind zugunsten des neuen Wiener Hauptbahnhofs aufgegeben worden; auf der südlichen Seite der nun diagonal durch das Areal führenden Gleistrasse entsteht das Sonnenwendviertel. Begrenzt wird das Areal im Norden durch den breiten Wiedner Gürtel, im Osten durch die Prinz-Eugen-Straße, hinter der sich die Parkanlage Schweizergarten erstreckt.
Der Form des Baukörpers lagen zwei Prämissen zugrunde: Die Zugangsebene sollte soweit als möglich öffentlich erreichbar sein und den Büros für immerhin rund 5000 Mitarbeiter sollte ein Bezug zum benachbarten Freiraum offeriert werden. Daraus entwickelten Henke Schreieck einen zweigeschossigen Sockel, auf dem drei schlanke, bis zu zwölf Geschosse aufragende Volumina in Windungen erstarrt zu sein scheinen. Insgesamt 117.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche erscheinen spielerisch geformt, sind freilich exakt austariert. Weder Blockrandbebauung noch freistehender Solitär, dieser Ambivalenz verdanken die in den Glaskörpern liegenden Büros ihre Aussichten. Fast beiläufig leiten zwei ihrer Flügel die aus der Stadt oder vom Hauptbahnhof kommenden Besucher zum Haupteingang.
Mit den zu diesem Zeitpunkt bereits realisierten Projekten „Bürohochhaus hoch zwei“, ebenfalls in Wien, und dem Bürohaus „Borealis“ in Linz wiesen Henke Schreieck Referenzen auf, mit denen sie die Effizienz nicht rechteckiger Grundrisse nachweisen konnten. Anders lagen die Dinge bei dem Sockelbereich, wo sie den Vorstand von größtmöglicher Zugänglichkeit überzeugen mussten. Gewöhnlich kann die Öffentlichkeit allenfalls in die Foyers von Banken schauen und das Standardmobiliar aus Chrom und schwarzem Leder bestaunen. Dirk Henke und Martha Schreieck argumentierten, dass eine angenehme Atmosphäre die bessere Repräsentation sei als kühle Noblesse und große Signets. „Im Idealfall sollten die Nutzer und Besucher des Erste-Bank-Campus die Marke nicht allzu sehr sehen, sie sollten sie spüren.“ Letztlich erfolgreich, bezogen sie sich damit doch auf die der breiten Bevölkerung dienenden Herkunft der Erste Bank Group aus den Sparkassen, die heute mit den in den letzten zwei Dezennien erworbenen Kundenbanken in Kroatien, Rumänien, Serbien, Slowenien, Tschechien und Ungarn die Säulen der Holding bilden.
Das Engagement der Bank in den Ländern, die einst zur k.u.k.-Monarchie gehörten, findet sich in der Auswahl der Künstler für die Baukunst wieder. Henke Schreieck stellte den Bezug materiell her: Sie ließen dem geschliffenen Estrich im Erdgeschoss Donaukies zuschlagen, da der Fluss das nahezu alle verbindende Element bildet. Dieser dunkelgraue Boden stellt selbstredend die Verkehrsfläche dar, über die Restaurants, Beratungs- und Konferenzbereiche sowie der Betriebskindergarten erschlossen werden. Im Zentrum liegt das Atrium, das durch zwei angrenzende, in die beiden Sockelgeschosse eingeschnittene Innenhöfe sowie filigrane Treppen und Galerien überraschend luftig und offen wirkt. Von dort aus erahnt man bei dem Blick nach oben den Garten, der auf dem Dach des Sockels angelegt wurde und entgegen den ursprünglichen Absichten nur den Mitarbeitern vorbehalten ist. Der von den ortsansässigen Landschaftsarchitekten Maria Auböck und János Kárász gestaltete Garten bildet sowohl die Zäsur zwischen dem breiten Sockel und den schlank aufragenden Glaskörpern als auch die Fortführung des Schweizergartens. Mit der Verschmelzung von innerem und äußerem Freiraum zeigt sich eine bewusst intendierte Ambivalenz, kongenial zur städtebaulichen Figur, die kein vorne und kein hinten definiert.
Von ebenso bestechender Klarheit ist das Konzept für den Innenraum. Seine durchweg konsequente Realisierung verdankt sich dem sogenannten „Mood Book“, das kurz nach der Beauftragung entstand. In der Einleitung schreibt das aus Vertretern der Bank und den Architekten gebildete Entwicklungsteam „Uns liegt daran, unsere Gedanken zu bestimmten Sachverhalten, unsere Sichtweisen zu vermitteln.“ Die Kompilation von Stichwörtern zu Atmosphäre, Farben und Materialen diente zum einen als Inspiration, genau so wichtig war freilich ihre Leitfunktion, die in dem beinahe achtjährigen Planungs- und Bauprozess mit wechselnden beteiligten Personen unabdingbar war. Etwa in Bezug auf Oberflächen: „Das Material bestimmt die Farbe, nicht umgekehrt“, notierte das Entwicklungsteam. „Das Gefühl für Authentizität und Aufrichtigkeit ist uns wichtig.“ So wurden die Wände mit „Kalkglätte“ gespachtelt. Bei dem in Vergessenheit geratenen Verfahren wird gebrannter Kalk mit Wasser gelöscht, wodurch er zu Pulver zerfällt. Mit Zuschlägen aus Marmormehlen unterschiedlicher Körnung, Farbpigmenten und zuweilen Flachs als Armierung, kann die Masse fugenfrei aufgebracht werden. Sie wird durch die Verarbeitung verdichtet und erreicht eine außergewöhnliche Festigkeit. Nach dem Glätten wird der noch feuchte Kalkverputz eingeseift, wodurch er wasserfest wird. Neben dieser Eigenschaft hat der Putz eine unglaubliche intensive Wirkung, zum einen wegen der Färbung, zum anderen wegen der erkennbar „händischen“ Verarbeitung.
Die Materialhomogenität setzt sich fort bei den eingebauten Möbeln, die mit Lehm-Kasein (Kasein ist ein Milcheiweis) überzogen wurden. Der warm und weich wirkende Werkstoff ist strapazierfähig und wird auch als Fußbodenbelag verwendet. Wie die Kalkglätte ist die Lehm-Kasein-Mischung in Vorarlberg wieder entdeckt und neu belebt worden; im Erste-Bank-Campus wurde beides das erste Mal großflächig eingesetzt, was für eine in dem Maßstab ausnehmende Sinnlichkeit sorgt.
Auch das Verwenden von Holz für die Fassade gibt dem Baukörper eine haptische Dimension. Die hinter einer rahmenlosen Glasscheibe liegende Rahmenkonstruktion aus Lärche strahlt nach außen und innen Behaglichkeit aus, was ob der Dimension von 40.000 Quadratmeter Fassadenfläche in keiner Weise anbiedernd wirkt. Hier erweisen sich die Architekten im Übrigen als Schüler von Roland Rainer, über den es heißt, dass er „die strenge Ökonomie und Rationalität mit einem sicheren Gefühl für den jeweiligen Ausdruck einer Bauaufgabe“ vereinigt.
In den Bürogeschossen wird Arbeit so entschieden neu definiert, dass man sich kaum in einer Bank wähnt. Die Geschosse sind außerhalb der Aufzugsschächte und Treppenräume vollkommen frei gestaltbar. Auf ihnen wurden gemäß dem Ausstattungskonzept des Berliner Büros Kinzo unterschiedlich gestaltete, offene Arbeitsbereiche eingerichtet. Das Image einer integrierten Büro- und Wohnlandschaft sowie das Angebot, im Home-Office zu arbeiten, gehen von der Annahme aus, dass hier eigenständig gearbeitet und nicht fremdbestimmt Arbeitszeit abgesessen wird.
Die konzeptuelle Herangehensweise überzeugt im Ergebnis und zeigt einmal mehr, dass sich Abstraktes, wie hier die Gebäudeform, und Traditionelles, wie das Material und seine Verarbeitung, trefflich ergänzen können und dann etwas auslösen, was Architektur nicht oft gelingt: Bewegung.
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